Zur notwendigen Reform der Kinder- und Jugendhilfe
Zu den derzeitigen Bemühungen von Kommunen und Ländern, die Kinder- und Jugendhilfe mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, wird vom Bund auch in der 19. Wahlperiode nicht viel an Unterstützung zu erwarten sein. Ohne Zweifel bedeutet dies für Familien mit Kindern einen erheblichen Standortnachteil in bildungspolitischen Fragen gegenüber dem benachbarten europäischen Ausland, bspw. in Bezug auf die Ausstattung der Kindertagesbetreuung. Der Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz, den es bereits jetzt gibt, der aber nicht immer erfüllt wird, stellt dabei nur die quantitative Seite der Benachteiligung dar. Auch qualitativ steht Deutschland im internationalen Vergleich schlecht dar: Laut Reformentwurf der NUBBEK-Studie (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit) ist der nach wie vor fehlende Ausgleich mangelnder familiärer Unterstützung in bildungsfernen bzw. armen Familien nicht durch sog. Billigangebote von Krippe oder KiTa zu bewältigen. Deutschland fällt in dieser Frage hinter den europäischen Standard zurück.
Bescheidene Mittel für einen gewaltigen Auftrag
Für diesen Bereich, in Anbetracht des Mangels an Plätzen, den es in vielen Kommunen nach wie vor gibt, sieht der Koalitionsvertrag ein bescheidenes Volumen von gerade einmal einer halbe Milliarde Euro im Jahr 2019 und einer Milliarde Euro im Jahr 2020 sowie weiteren zwei Milliarden Euro im Jahr 2021 vor. Der Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot im Hortalter ist schon jetzt im Gesetz verankert. Dennoch ist die endgültige Durchsetzung dessen sowie die Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes und alle anderen Regelungen in Bezug auf Qualitätsanforderungen und Aufgabenprofile der Kindertagesbetreuung im Koalitionsvertrag als Option erst für das Jahr 2025 vorgesehen.
Aus den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung geht hervor, dass sowohl das Qualitätsproblem wie auch die immer noch fehlenden Fachkräfte zur Betreibung ausreichend vieler Einrichtungen allein einen Finanzbedarf von 30 – 40 Milliarden Euro ausmachen werden. Die nun von der Koalition veranschlagten Summen stellen unter diesem Aspekt nur einen minimalen Schritt in die richtige Richtung dar. Die gesamte Auseinandersetzung um die Ressourcenausstattung der Kinder- und Jugendhilfe muss in diesem Land offensiv geführt werden und zwar im verfassungsrechtlichen Sinne. Nicht, um die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse an sich zu bekämpfen, sondern um die Art und Weise, wie Kommunen und Länder diese anwenden. Sowohl die Mehreinnahmen der öffentlichen Haushalte in Ländern und Kommunen, die je nach Steuerschätzung von Mal zu Mal höher ausfallen, als auch die Frage, wie die Prioritäten in den Haushalten zu setzen sind, gehören erneut in den politischen Diskurs. Dabei muss neu ausgehandelt werden, wie die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zur Bewältigung der sozialen Aufgaben geregelt werden soll. Von den 10 Milliarden Euro, die es zu verteilen gilt, wird wohl nur wenig in die Betriebshaushalte der für die Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Gebietskörperschaften fließen. Der Löwenanteil wird zum Ausbau des Straßennetzes und der Renovierung von Schulen eingehen. Schätzungen gehen davon aus, dass allein 8 Milliarden Euro in den Vermögenshaushalt insbesondere des Bundes und der Länder eingezahlt werden. Somit bewegen sich die Spielräume für die Mehrbedarfe der Kinder- und Jugendhilfe in dem oben genannten – kleinen – Korridor. Dieses Missverhältnis gilt es mit einer echten Reform zu korrigieren.
Große Lösung – keine Mittel?
Besonders deutlich wird dieses Missverhältnis durch die Tatsache, dass die Investitionskosten für die unter der dem Begriff der SGB VIII-Reform angestrebten „Großen Lösung“ – nämlich die Zusammenführung von Jugendhilfe und Eingliederungshilfe – noch gar nicht in den Finanzplanungen berücksichtigt sind.
Aber gerade dieser längst überfällige Reformschritt, der für die Anspruchsberechtigten einen schnelleren Leistungsempfang bedeuten, ihnen lästige Zuständigkeitsverfahren ersparen und somit eine bedarfsgerechte Förderung ermöglichen würde, steht nach wie vor unter einem gewissen Finanzierungsvorbehalt. Allein aus diesen Grundannahmen kann ein Mehrbedarf von mindestens 2 Milliarden Euro für ein „Inklusives – Modell“ ausgemacht werden. Die Bundesregierung hingegen spricht von Kostenneutralität. Eine Aussage, die bei Betrachtung der Fakten nicht haltbar ist.
Flüchtlinge fallen unter den Tisch
Unter den Tisch fallen zwischen den Verhandlungen von Bund und Ländern die gleichberechtigten Voraussetzungen für Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Mit der Begründung, dass die prägenden Erfahrungen während der Flucht die betreffenden Kinder und Jugendlichen so reifen ließen, dass die Grundleistungen der HzE nicht notwendig bzw. weniger erforderlich seien, bilden die Pläne der Koalition eine Jugendhilfe 2. Klasse, die über das 18. Lebensjahr hinaus nicht notwendig sei. Diese zynische Argumentationslinie soll im Übrigen auch für diejenigen gelten, die aus der Heimerziehung heraus das 18. Lebensjahr erreicht haben und somit künftig mit Anspruchsreduzierungen zu rechnen haben.
Es bedarf Bündnisse der klaren Worte
Eine Veränderung in dieser Qualität hat es in der Jugendhilfe bisher noch nicht gegeben. All diese Hintergrundorientierungen sind welche, gegen die die Fachwelt entschieden vorgehen muss. Aufgefordert sind die großen Fachverbände der Kinder- und Jugendhilfe, dieser politischen Haltung der Benachteiligung entschieden zu widersprechen. Es erfordert Leitungskräfte der öffentlichen und privaten Jugendhilfe, die engagiert und von der Warte des Kindes aus denken, die ihre Expertise dazu nutzen, tatsächliche Reformen der Kinder- und Jugendhilfe einzufordern. Leitungen großer kommunaler Jugendämter oder der Landesjugendämter sollten auf den Plan treten und nicht wie das Kaninchen vor der Schlange auf die Ergebnisse der Koalition warten. Man sollte erwarten können, dass zumindest die Jugendhilfeausschüsse oder Landesjugendhilfeausschüsse sich des Themas annehmen würden. Leider ist dies bisher nicht öffentlich wahrnehmbar.
Keine Jugendhilfe 2. Klasse!
Auch die akademische Professur an der Spitze eines Bündnisses, das Missstände und Fehlentwicklungen reformerischen Handelns aufgreift und klar und deutlich benennt, ist wünschenswert.
Die UN-Kinderrechtskonventionen sollten für uns Auftrag und Verpflichtung zugleich sein – sich für eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe einzusetzen, die diesen Namen auch verdient. Es darf keine Jugendhilfe 2. Klasse geben, Inklusion und Teilhabe müssen im Alltag der erzieherischen Hilfen tatsächlich möglich werden.
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Birgitta Neumann
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