WfbM zwischen BTHG und Marktwandel
Werkstätten im Wandel I Die Welt der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen befindet sich in einem Wandel, der nicht nur durch Inklusionsbestrebungen und das BTHG verursacht wird. Auch die Demografie erfordert neue Konzepte in der Betreuung der Beschäftigten. In unserer Reihe „Werkstätten im Wandel“ schauen wir uns die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für WfbM etwas genauer an und wollen am Ende einen Blick in die Glaskugel werfen. Heute geht es um konzeptionelle und finanzielle Aspekte, die mit dem BTHG und dem Marktwandel einhergehen.
Werkstattrat und Frauenbeauftragte – mehr als reine Formalität
Bisher waren die Änderungen durch das BTHG für die WfbM im Gegensatz zu anderen Bereichen der Eingliederungshilfe übersichtlich. Doch nun kommt auch die WfbM in Bewegung und braucht neue Konzepte, beispielsweise für die Zusammenarbeit mit dem Werkstattrat und der Frauenbeauftragten.
Der Werkstattrat hat bedeutende Rechte zur Mitbestimmung und Teilhabe. Inzwischen sitzen Werkstatträte den Geschäftsführungen oft auf Augenhöhe gegenüber. Was vielfach aber noch fehlt, sind Konzepte für die Einbeziehung sowie die notwendigen Dokumente in leichter Sprache für den Werkstattrat, um sein Recht zur Mitwirkung auszuüben. Hier braucht es gemeinsam erarbeitete Verhaltenskodizes und geeignete Dokumentationen.
Auch das Amt der zu wählenden Frauenbeauftragten gewinnt an Dynamik. In einzelnen Bundesländern bekommen die WfbM finanzielle Unterstützung, um geeignete Assistentinnen für die Frauenbeauftragte einzustellen. Die Werkstattleitung sollte hier Profile für die Assistentinnen erarbeiten, um die Stelle passgenau zu besetzen. Assistentinnen vermitteln in angemessener Sprache Rechte und Pflichten, begleiten Gespräche zwischen der Frauenbeauftragten und den Gesprächspartner*innen. Dafür benötigt sie z. B. fachliches Wissen sowie soziale und Kommunikationskompetenz.
Der Anstoß, der durch die Etablierung der Frauenbeauftragten durch den Gesetzgeber gegeben wurde, sollte aber vor allem genutzt werden, um aktiv die Förderung von weiblichen Beschäftigten voranzutreiben. Frauen machen in der Regel ca. ein Drittel der Belegschaft aus und sind Alltagsdiskriminierungen ausgesetzt, die früher eher im Verborgenen blieben. Außerdem werden sie häufiger Opfer von Gewalt. Hierfür braucht es praktikable Konzepte. Sprechstunden erreichen nur einen Teil der Frauen, wichtig ist der persönliche und vor allem aufsuchende Kontakt in den Gruppen sowie das vertrauliche und regelmäßige Jour Fixe mit der Leitung. Selbstverständlich sollte bei der Erarbeitung dieser Konzepte die Frauenbeauftragte eingebunden werden. Weiterbildung für die Frauenbeauftrage und deren Assistentin bekommen deshalb ein hohes Gewicht.
Höhere Kosten der WfbM jenseits der BTHG-Umsetzung und die Chancen einer Kostendeckung
Nicht dem BTHG zuzuschreiben ist hingegen die Erhöhung des Ausbildungsgeldes für die Teilnehmer*innen im Eingangsverfahren und dem Berufsbildungsbereich von 80 Euro auf 117 Euro monatlich. Ab dem 1. August 2020 erhöht sich das Ausbildungsgeld auf 119 Euro.
Mit dem Ausbildungsgeld steigt auch die Höhe des Grundbetrags für Werkstattteilnehmer*innen. Um die WfbM dadurch nicht in wirtschaftliche Bedrängnis zu bringen, erfolgt diese Erhöhung in vier Stufen. Seit Januar 2020 bis 2023 wird jährlich der monatliche Grundbetrag um 10 Euro erhöht, also von aktuell 89 auf dann 119 Euro monatlich.
Trotzdem zieht diese Änderung einen großen Handlungsbedarf nach sich, denn woher soll dieser Mehrbetrag bezogen werden? Werkstattleitungen müssen entscheiden:
- Mehr Umsätze durch mehr Aufträge? Wie generiere ich diese bei ohnehin schwieriger Akquise?
- Mehr Umsätze durch höhere Preise? Dann stellen sich Fragen der Kalkulation (Vollkosten, Deckungsbeitrag, Break-Even, Entscheidungsverantwortung)
- Kürzung des Steigerungsbetrags bei besserverdienenden Beschäftigten, um die Erhöhung aller anderen auszugleichen? Das wird schwer nachvollziehbar für die Betroffenen und nicht förderlich für deren Zufriedenheit am Arbeitsplatz
- Aussetzen bestimmter Investitionen, beispielsweise bei CNC-Maschinen. Das könnte geringere Produktion zur Folge haben und so wiederum negative Auswirkungen auf Auftragslage und Umsätze
- Zugriff auf Rücklagen? Nicht jede Werkstatt verfügt über ausreichend Rücklagen
Bei einigen dieser Überlegungen sollte, bei anderen Punkten muss sogar der Werkstattrat eingebunden werden. Eine pauschale Empfehlung gibt es nicht, das hängt sowohl von der individuellen wirtschaftlichen Situation als auch von dem Produktionsschwerpunkt der WfbM ab.
Wandel des Marktes: Budget-Verteilung erfordert Umdenken
Eine der zukünftig größten Herausforderungen für WfbM sind die Maßnahmen für die Öffnung des ersten Arbeitsmarkts für Menschen mit Behinderungen. Dass Werkstätten deshalb nicht mehr gebraucht würden, steht derzeit nicht zu befürchten, nichtsdestotrotz bedeutet dies eine Veränderung in der Belegschaft und erfordert weitsichtige Konzepte.
Das Budget für Arbeit unterstützt direkt solche Arbeitgeber, die eine*n beeinträchtigte*n Mitarbeitende*n einstellen. Diese*r erhält das ihm bzw. ihr zustehende Budget für Arbeit vom Kostenträger und der Arbeitgeber vereinbart einen üblichen Arbeitsvertrag. Eine Erweiterung dieser Möglichkeiten ergibt sich aus dem Budget für Ausbildung. Auch dadurch wird es, so die Hoffnung, zu vermehrten Plätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt kommen.
Für Werkstätten besteht hier eine Chance: Sie können verstärkt einen Dienst anbieten, der bisher für Außenarbeitsplätze galt: Eine „ambulante Arbeitsplatzbegleitung“. Doch was wird ein gewerblicher Arbeitgeber für eine Leistung dieses Dienstes anfragen? Die kleinteilige Zergliederung von Arbeiten und Handgriffen? Oder doch eher die Bearbeitung von sozialen, kommunikativen oder persönlichen Befindlichkeiten des oder der Beschäftigten mit Beeinträchtigung? Oder die Beantwortung von Fragen des neuen „inklusiven“ Kollegenkreises? Wer wird in Zukunft öfter zu den Außenarbeitsplätzen fahren: der bisherige Handwerker aus der Werkstatt oder der Sozialpädagoge / Heilerziehungspfleger? Diese Fragen zeigen: es müssen weitreichende Strategien entwickelt werden, wie diese neuen potenziellen Arbeitgeber angesprochen werden. Hier trifft Marketing auf Pädagogik in einem sich erst entwickelnden Markt – für viele Neuland – doch für die Zukunft immer wichtiger.
Werkstätten müssen sich außerdem auf diese Fragen einstellen: Wie viele der (potenziellen) Beschäftigten werden den Weg auf den ersten Arbeitsmarkt gehen und wer bleibt der Werkstatt erhalten? Wie wird das Verhältnis von Menschen mit hohem Förderbedarf und weitestgehend Selbstständigen aussehen? Wie bleiben die Beschäftigten in der Werkstatt zufrieden? Und wie viele Menschen werden außerhalb der Räumlichkeiten der WfbM betreut? Werkstätten müssen aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Betreuungskonzepte abhängig von der Entwicklung des ersten Arbeitsmarkts für Menschen mit Behinderungen anpassen.
Löhne in WfbM: Kostenträger sind in der Pflicht
Ein stets aktuelles Thema in den Werkstätten sind die Löhne der Beschäftigten. Hier muss es einen Wandel geben – inwiefern hier aber die WfbM selbst tätig werden können, ist fraglich. Die Kritik, Werkstätten seien oftmals verlängerte Werkbank für die Kunden, der Fokus liege zu sehr auf den Umsätzen und der Wirtschaftlichkeit, ist oft zu hören. Aber nur mit diesen Einnahmen erzielen Werkstätten derzeit die Löhne für die Beschäftigten. Werkstätten in strukturschwachen Regionen und solche mit einer hohen Produktvielfalt können oftmals nur deutlich geringere Löhne zahlen. Gleichzeitig sind die Arbeiten zumeist pädagogisch und unter Vielfältigkeitsgesichtspunkten sehr wertvoll.
Und noch ein Stein des Anstoßes: Werkstätten wirtschaften mit dem gewerblichen Umsatz in einen einzigen Topf, aus dem Löhne und – man glaubt es kaum – die Produktionsmaschinen bezahlt werden müssen. Werden also z.B. teure CNC-Maschinen angeschafft, die üblicherweise in Wirtschaftsbetrieben in drei Schichten laufen und so Geld verdienen, kommt es in den Werkstätten mit ihren Ein-Schicht-Modellen schnell zu kalkulatorischen Schieflagen.
Der Staat sollte vielmehr auf ein einheitliches Entlohnungssystem, ein Tarifwerk, achten. Eine erstrebenswerte Möglichkeit wäre: der Grundlohn wird vom Staat garantiert und der Steigerungsbetrag von den Werkstätten gezahlt.
Im nächsten Teil unserer Reihe werfen wir einen Blick auf den Einfluss, den der demografische Wandel auf die Belegschaft und das pädagogische Personal in Werkstätten hat und diskutieren Wege der Nachwuchsgewinnung.
Text: Bolko Seidel / Marie Kramp© Moon Safari
Birgitta Neumann
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