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Verbände und Organisationen der Sozialwirtschaft stehen vor tiefgreifenden Veränderungen: Fachkräftemangel, Digitalisierung, der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, steigende Investitions- und Personalkosten sowie eine unsichere Refinanzierung belasten die Branche. Gleichzeitig wachsen die inhaltlichen Anforderungen an die Soziale Arbeit – eine Situation, die aktives Handeln verlangt und das Gestalten ermöglicht.
Organisationen passen sich über die Zeit sukzessive an veränderte Umweltbedingungen an. Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn man eine Organisation in einem größeren Zeitverlauf beobachtet. In der Sozialwirtschaft fallen dabei sofort die großen Verbände oder kirchlichen Organisationen ins Auge. Betrachtet man eine Zeitperiode von z.B. 100 Jahren, haben einzelne Gesetzesänderungen oder bestimmte akute Bedarfe keine Bedeutung mehr, obwohl sie zu einem bestimmten Zeitpunkt die Führungskräfte und Entscheidungsträger*innen in den Organisationen massiv beschäftigt haben. Es stellt sich daher die Frage: Wie wichtig sind die aktuellen Themen aus einer Big-Picture-Perspektive? Sind grundlegende Veränderungen nötig? Was lernen wir aus der Beobachtung, dass Organisationen sich im Laufe der Zeit immer wieder an verschiedene Umweltgegebenheiten anpassen? Welche Schlüsse lassen sich für das Management sozialwirtschaftlicher Organisationen ziehen?
Zunächst ist festzuhalten, dass die genannten Themen – Fachkräftemangel, Digitalisierung, KI, steigende Kosten, wachsende fachliche Ansprüche – nicht organisationsexklusiv sind, sondern die gesamte Branche der Sozialwirtschaft und somit alle Organisationen betreffen. Gleichzeitig gibt es keine pauschale Lösung. Jede Organisation muss eine eigene Lösung finden.
Beispiel aus der Praxis
Wie diese Herausforderungen aussehen können, zeigt der Fall eines Leistungserbringers für Besondere Wohnformen. Dieser verzeichnet seit einiger Zeit sinkende Erträge trotz guter Auslastung. Eine Analyse der Einrichtung – inklusive Dokumentenanalyse, Begehung und Interviews mit Leitungskräften sowie ausgewählten Mitarbeiter*innen – zeigt, dass sich die Bedarfslage in den letzten Jahren verändert hat und die Leistungsanforderungen an das Team deutlich gestiegen sind. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch, was immer öfter zu krankheitsbedingten Ausfällen und letztlich zu einer erhöhten Fluktuation führt.
Um die Mitarbeiter*innen zu entlasten und die Betreuung der Bewohner*innen mit zum Teil hohem Versorgungsaufwand sicherzustellen, setzt die Organisation vermehrt Leasingkräfte ein. Dies führt zu einem massiven Anstieg der Personalkosten, was ein wesentlicher Faktor für die finanzielle Schieflage ist. Das Problem wird dadurch allerdings nicht gelöst, sondern verschärft. Sowohl die Beziehungsarbeit mit den Bewohner*innen als auch der Zusammenhalt im Team leiden unter den ständigen Wechseln. Trotz steigender Ausgaben sinkt die Qualität der Dienstleistung.
Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass das Personalthema ein Symptom für tiefer liegende Probleme ist. Die kontinuierlich angestiegene Bedarfslage überfordert das nicht im gleichen Maße gewachsene Angebot, sodass eine umfassende Organisationsentwicklung notwendig ist, um auf die veränderten Bedarfe zu reagieren und die Rahmenbedingungen anzupassen.
Das Beispiel macht deutlich: Es gibt Situationen, bei denen ein „Weiter so“ mit herkömmlichen Methoden und Strukturen nicht funktioniert. Es braucht ein aktives Gestalten, es müssen Entscheidungen getroffen werden, aufgrund derer zukünftiges Handeln in der Organisation anders erfolgt als bisher. Niklas Luhmann würde es so formulieren: Man verändert die Prämissen für zukünftige Handlungen und Entscheidungen. Versteht man in diesem Sinne Organisationen als Systeme, die ihre Identität durch die Kontinuität erwartbarer Handlungen erhalten, dann wird deutlich, dass ein solches aktives Gestalten, also Dinge zukünftig anders zu machen, ein riskantes Unterfangen ist. Überspitzt gesagt, läuft man Gefahr, nicht mehr wiedererkannt zu werden. Seine Identität zu verlieren. Nicht mehr das zu tun, wofür man steht. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Für das langfristige Bestehen und den Erhalt einer Organisation ist es notwendig, regelmäßig Dinge anders zu machen, um so auf die veränderten Bedingungen der Umwelt zu reagieren. Nur so kann man langfristig überleben.
In der Geschichte finden sich zahlreiche Beispiele für Organisationen, die signifikante Veränderungen in ihrer Identität vorgenommen haben. Das Interessante daran ist, dass in der Regel nicht eine Entscheidung zur großen Veränderung führt, sondern vielmehr eine kontinuierliche Bewegung stattfindet, die als Ergebnis vieler einzelner Entscheidungen verstanden werden kann. Ein solches Set von Entscheidungen ermöglicht eine evolutionäre Drift zur Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. In einem größeren Zeitverlauf kann es so zu bemerkenswerten Veränderungen kommen. Nokia wurde zum Beispiel 1865 gegründet, aber sicher nicht mit der Intention, Mobiltelefone herzustellen.
Bleiben wir bei dem zugrunde gelegten systemtheoretischen Framework von Luhmann, lassen sich drei Arten von gestalterischen Entscheidungen unterscheiden
Was bedeutet das für das Management? Wie soll es sich in einer unsicheren Umwelt verhalten? Für eine flexible Adaption an die Umwelt ist es maßgeblich, dass die Entscheidungsprämissen innerhalb der Organisation locker genug sind, um auf die Anforderungen reagieren zu können. ‚Locker‘ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass Dinge unentschieden bleiben, sondern dass eine grundsätzliche Offenheit besteht, die Prämissen bei Bedarf auch anders zu setzen. Nur weil eine bestimmte Tätigkeit in der Vergangenheit von einer bestimmten Person mit einem bestimmten Profil erbracht wurde, heißt das nicht, dass dies in Zukunft auch so sein sollte. Nur weil bestimmte Kommunikationsformen in der Vergangenheit eine bestimmte Form hatten, folgt daraus nicht, dass dies auch in Zukunft so sein muss. Nur weil bestimmte Prozesse in einer bestimmten Art und Weise erbracht wurden, bedeutet es nicht, dass dies auch für die Zukunft richtig ist.
Beispiel – Fortsetzung
Wie diese Flexibilität und ein „Set aus Entscheidungen“ aussehen können, zeigt unser Beispiel: Um die wirtschaftliche Schieflage zu überwinden, reicht es nicht aus, die Teamgröße konstant zu halten. Dies würde nur zu weiteren Kosten und einer kontinuierlichen Destabilisierung führen. Vielmehr zeigt die Analyse, dass sich im Laufe der Zeit (seit der Eröffnung bis heute) die Bedarfe der Zielgruppe signifikant verändert haben. Obwohl verschiedene Organisationsentwicklungsprozesse versucht wurden, sind nie gestalterische Entscheidungen zur Veränderung des Angebotes getroffen worden. Gestalterische Entscheidungen im Sinne des ausgeführten Ansatzes wären zum Beispiel:
➡️ Einsatz anderer Qualifikationen: Steigt das Alter der Bewohner*innen, steigt der Pflegebedarf. Steigt der Pflegebedarf, braucht es Pflegekompetenz. Steigt der Anteil psychischer Erkrankungen, steigt der Bedarf an Mitarbeiter*innen mit einer entsprechenden Lösungskompetenz.
➡️ Veränderung der Kommunikation: Bestimmte Bedarfslagen erfordern eine andere Form der Abstimmung. Ein „Pflege-Blitzlicht“ ist etwas anderes als eine pädagogische Fallbesprechung.
➡️ Veränderung der Abläufe: Das ist sicherlich der wichtigste Faktor. Eine veränderte Bedarfslage benötigt andere Abläufe. Ein steigender Pflegebedarf erfordert andere Abläufe als ein Anstieg an selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten.
Die vermeintliche wirtschaftliche Krise der Organisation entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als inhaltliches Problem des Leistungsangebotes. Dieses hat sich aufgrund fehlender gestalterischer Entscheidungen nicht ausreichend weiterentwickelt. Die Aussage, dass Organisationen sich im Sinne einer evolutionären Drift an ihre Umweltbedingen anpassen, beinhaltet nämlich leider auch die Schattenseite der Evolution, dass bei fehlender adaptiver Anpassung an veränderte Umweltbedingen ein Fortbestand unwahrscheinlich ist.
Es geht nicht darum, morgen alles anders zu machen. Entscheidend ist, den Wandel zu ermöglichen und ihn aktiv anzugehen. Wofür entscheiden wir uns und was machen wir vielleicht auch nicht (mehr) ? Ziel ist es, flexibel und offen zu bleiben. Dann bleibt man auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig – und kann auf die Ansprüche der Gesellschaft, der Politik, der Kund*innen und der eigenen Mitarbeiter*innen reagieren. Ob man all diesen Erwartungen gleichzeitig gerecht werden kann, ist eine andere Frage.
Letztendlich ist der Wandel die Voraussetzung für den Erhalt der Identität. So lässt sich auch die Frage beantworten, wie die Identität trotz Veränderung bewahrt werden kann: Nur wer entscheidet, gestaltet aktiv und kann so auf veränderte Umweltbedingung reagieren und damit die Organisation über eine langen Zeitraum sichern und weiterentwickeln.
ℹ️ Unser Tipp für Sie: Wussten Sie schon, dass Sie öffentliche Fördermittel zur Weiterentwicklung Ihrer Organisation in Anspruch nehmen können? Wir beraten Sie gerne und helfen Ihnen bei der Antragsstellung.
Text: Sebastian Matysek / Annette Borgstedt
Foto: ©Freepik
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