Transaktionen von Pflegeeinrichtungen: Fallstricke und Erfolgsfaktoren
Transaktionen von Pflegeeinrichtungen, insbesondere in der Freien Wohlfahrtspflege, sind mit einigen Herausforderungen verbunden. Aus der Praxiserfahrung in der Begleitung von Transaktionsprozessen haben wir für Sie wichtige Schritte und Erfolgsfaktoren – aus Verkäufer- und Käufersicht – zusammengetragen. Ziel sollte ein Prozess sein, bei dem beide Seiten strategisch in die Verhandlungen gehen und an dessen Ende die Übergabe „in gute Hände“ sowie ein gut organisierter Übergang stehen.
Inhalt:
In den letzten Jahren sind immer mehr größere unternehmerische Einheiten auf dem Pflegemarkt entstanden. Getrieben wird diese Entwicklung vor allem durch Finanzinvestor*innen. Die Tendenz wird sich voraussichtlich fortsetzen – und sogar noch verstärken. Ein Blick auf die Entwicklung der Plätze großer Betreiber in Deutschland (z. B. Korian, Alloheim) zeigt, dass die Zahlen kontinuierlich gestiegen sind.
Verantwortliche kleinerer Träger oder alleinstehender Häuser stehen oft vor der Frage, ob und wie sie die veränderten Rahmenbedingungen in den derzeitigen Größenstrukturen bewältigen können. In der Beratungspraxis erleben wir zunehmend, dass insbesondere kleinere, konfessionelle Träger oder die verfasste Kirche kurzfristig eine Einrichtung veräußern wollen oder auch müssen. Bei solchen Transaktionsprozessen gilt es – auf beiden Seiten – Besonderheiten zu beachten, damit keine „David gegen Goliath“-Situation entsteht.
Auch wenn, wie es nicht selten der Fall ist, die Entscheidung zur Veräußerung einer Einrichtung kurzfristig kommt, sollte die verkaufende Seite in keinem Fall unvorbereitet in den Prozess einsteigen. Andernfalls werden Weichen falsch gestellt und im schlechtesten Fall die Einrichtung unter Wert verkauft. Hier kommt auch der wirtschaftlichen Optimierung des Betriebs bzw. der Betriebe vor dem Verkauf eine wichtige Rolle zu.
☞ VERKÄUFERSEITE | Empfehlungen für Träger und Häuser, die einen Verkauf in Erwägung ziehen:
Die richtigen Bedingungen schaffen: Sanierung und Restrukturierung
Viele Einrichtungen haben lange von der Substanz gelebt. Instandhaltungen und Investitionen sind nicht im nötigen Umfang erfolgt. Die eingesparten finanziellen Mittel sind oft auch nicht mehr vorhanden: Sie mussten herhalten, um Verluste im operativen Geschäft zu decken. Will – oder muss – die verkaufende Partei mit der Veräußerung eines Betriebs Verkaufserlöse erzielen, muss dieser jedoch zwingend gut aufgestellt sein. Das heißt: Aus den Bereichen Pflege, Unterkunft und Verpflegung müssen positive Ergebnisbeiträge erwirtschaftet werden.
Unsere Einschätzung ist, dass sowohl Investor*innen als auch Betreiber*innen bei einem Kauf verstärkt (wieder) darauf achten werden, ob die Immobilie und der Betrieb dauerhaft leistungsfähig sind bzw. ob sich die Kosten, die mit einer Restrukturierung verbunden sind, bezahlen lassen. In der Praxis zeigt sich daher: Gelingt es, die operativen Strukturen vorab wieder deutlich zu verbessern, wird sich dies im Kaufpreis widerspiegeln.
Empfehlungen:
- Eine operative Sanierung ist für alle Beteiligten ein Kraftakt. Veränderungen müssen konsequent umgesetzt werden. Dafür braucht es bei den verantwortlichen Führungskräften Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen und ausreichende Frustrationstoleranz.
- Nicht zu unterschätzen ist die Führungsaufgabe, die von der Restrukturierung betroffenen Mitarbeitenden für den notwendigen Veränderungsprozess zu gewinnen. Denn nur wenn die Mitarbeitenden an Bord sind, inhaltlich und emotional, kann der Prozess erfolgreich sein.
- Stellen Sie vorbereitend folgende Fragen: Sind die verantwortlichen Führungskräfte, in der Regel Einrichtungsleitung und Pflegedienstleitung, für die anstehenden Herausforderungen aufgestellt? Können und wollen sie den anstehenden Veränderungsprozess gestalten? Wenn daran Zweifel bestehen, sollten Sie als Verantwortliche*r auf unterstützende Maßnahmen, wie zum Beispiel externe Begleitungen, zurückgreifen und/oder im Rahmen von Schulungen mögliche Defizite angehen. In manchen Fällen kann es für die Sicherung des Gesamterfolgs der Unternehmung auch erforderlich sein, personelle Maßnahmen vorzunehmen.
☞ Mehr zu den konkreten Arbeitsschritten im Rahmen der Restrukturierung erfahren Sie in diesem Beitrag.
Transaktionen vorbereiten und systematisch durchführen
Zunächst einmal gilt aus Verkäufersicht: Je ausgereifter die Verkaufsentscheidung an sich ist, desto erfolgreicher sind Transaktionen. Weiter kommt es auf die Vorbereitung und die strategische und systematische Durchführung des Prozesses an. In der Praxis haben wir – verkäuferseitig betrachtet – sieben wichtige Schritte für einen (standardmäßigen) Transaktionsprozess identifiziert. Diese sind insbesondere beim Verkauf von Unternehmen kleinerer Träger hilfreich.
Dabei gilt natürlich, dass jedes Unternehmen Besonderheiten und eigene Rahmenbedingungen mitbringt. Diesen Faktoren sollte das Vorgehen immer individuell Rechnung tragen. Prüfen Sie in Vorbereitung einer Transaktion, ob innerhalb des Trägers die Ressourcen und Kompetenzen vorhanden sind, um diese professionell durchzuführen bzw. an welchen Stellen des Prozesses Sie Expertise von außen brauchen. Diese können u. a. Unternehmensberater*innen, Jurist*innen oder Steuerberater*innen einbringen.
Empfehlungen/Schritte:
- 1. Erstellung eines Verkaufsmemorandums bzw. eines „Teasers“: Der „Teaser“ sollte so gestaltet sein, dass fachkundige Leser*innen mit wenigen Blicken erkennen, ob das zu verkaufende Unternehmen zu den eigenen strategischen Vorstellungen passt. Dieses Dokument ist oft anonym gehalten – was aber kein Muss ist. Es enthält noch keine wirtschaftlichen Daten, aber die wichtigsten quantitativen Informationen: Leistungsangebot, Standort(e), Flächengrößen, Kapazität, Zahl der Mitarbeitenden etc.
- 2. Gezielte briefliche Ansprache einer begrenzten Zahl potenzieller Interessent*innen: Die Ansprache mittels „Teaser“ kann sich an eine größere oder auch erst einmal begrenzte Auswahl potenzieller Kaufinteressent*innen richten. Stellen Sie sich bei der Recherche dieser Zielgruppe Fragen zu Ihren Kriterien: Muss ein neuer Träger z. B. zwingend aus der Freien Wohlfahrtspflege, womöglich aus dem konfessionellen Bereich, kommen? Oder kommen auch privatgewerbliche Käufer*innen in Frage?
- 3. Interessensbekundung, Verschwiegenheitsverpflichtung (NDA) und Verkaufsexposé: Nach ersten Interessensbekundungen potenzieller Käufer*innen erhalten diese eine Verschwiegenheitsverpflichtung (Non-Disclosure-Agreement, NDA) und im nächsten Schritt ein Verkaufsexposé mit weiteren Details sowie wirtschaftlichen Eckdaten zu Betrieb und Immobilie (Vergangenheit/Zukunft). Auch die wichtigsten Eckdaten zur gewünschten Transaktionsstruktur auf Verkäuferseite sind hier enthalten.
- 4. Konkrete Interessensbekundung mit indikativem Kaufangebot: Auf das Verkaufsexposé folgen indikative Angebote. Auf dieser Basis bittet die Verkäuferseite diejenigen Interessent*innen in „die nächste Runde“, die am interessantesten erscheinen.
- 5. Detailprüfung (Due Diligence) und Abgabe eines konkreten bedingten Kaufangebots mit Festschreibung der Eckpunkte im Detail: Die relevantesten/passendsten Interessent*innen laden Sie ein, in den vertiefenden Prüfungsprozess, die Due Dilligence, einzusteigen. Nach Abschluss dieser Prüfung geben die Interessent*innen i.d.R. ein konkretes Kaufangebot ab. Diese Phase kann auch in mehrere Einzelschritte aufgeteilt werden. In weit vorangeschrittenen Prüfungsprozessen kann sie mit Exklusivitätsregelungen kombiniert werden.
☞ Hinweis: Die Due-Diligence-Prüfung wird in aller Regel käuferseitig durchgeführt. Wir raten aber auch der Verkäuferseite immer dazu, sich zu Beginn des Prozesses ein Bild vom Wert des Unternehmens zu machen – mit einer „Vendor Due Diligence“. So kann der*die Verkäufer*in selbstbewusst und zielorientiert in die Verhandlungen gehen. Dies schützt vor Überraschungen, wenn die Käuferseite den Wert ermitteln lässt. Dieser Weg bietet auch die Chance, mögliche Schwachstellen im Betrieb vor der Transaktion aufzudecken und zu beheben (s. oben, wirtschaftliche Optimierung).
- 6. Vertragsverhandlungsphase: Auf der Basis von Vereinbarungen zu den wichtigsten Eckpunkten der Transaktion, die im Einzelnen dokumentiert werden, folgt schließlich die Vertragsverhandlungsphase.
- 7. Vertragsabschluss: Ist die Vertragsverhandlungsphase erfolgreich, steht am Ende der Vertragsabschluss.
☞ KÄUFERSEITE | Empfehlungen für Investor*innen und Träger, die den Kauf einer Einrichtung in der freien Wohlfahrtspflege in Erwägung ziehen:
Strukturen und Werte in der Freien Wohlfahrtspflege mitdenken
In der Freien Wohlfahrtspflege geht es bei einem Verkauf von Einrichtungen oft nicht allein um monetäre Aspekte. Das Motiv, eine Einrichtung „in gute Hände“ abzugeben, kann eine ebenso wichtige Rolle spielen. Auch für potenzielle Käufer*innen ist diese Einsicht wichtig: Der Wert einer solchen Transaktion liegt sogar oftmals gerade nicht in erster Linie im Preis.
Machen Sie sich im Rahmen der Verhandlungen bewusst, dass die Akteur*innen der Verkäuferseite im Bereich der Wohlfahrtspflege oft wenige Erfahrungen mit Transaktionen haben. In ehrenamtlichen Aufsichtsstrukturen, aber auch im hauptamtlichen Management gerade kleinerer Trägerstrukturen besteht keine Routine in Sachen Unternehmensübernahmen. Dadurch werden mitunter auch Schwerpunkte im Transaktionsprozess anders gesetzt.
So legen Verkäufer*innen z. B. im Bereich der verfassten Kirche oft besonderen Wert darauf, dass ein*e Käufer*in die sozialräumliche Mitgestaltung einbezieht, ebenso wie die Weiterführung der christlichen Werte und Überzeugungen. Diesen Fokus erleben wir in der Beratung immer wieder. Kleinere Einrichtungen aus der Wohlfahrt zu übernehmen, heißt daher auch, die Kultur zu verstehen und diese, mit Zukunftsausrichtung, weiterzuleben.
Empfehlungen:
- Seien Sie sich in den Verhandlungen der (möglichen) Bedeutung wertebasierter Faktoren bewusst. Fragen der Verkäuferseite könnten sein: Gibt es einen Plan, wie Sie die Einrichtung im Sozialraum weiterentwickeln möchten? Stehen auf der Käuferseite Akteur*innen mit Bezug zur Region? In welcher Form wird die Einrichtung in Zukunft geführt und beaufsichtigt? Diese Kriterien können mitunter mehr Gewicht bei den Verhandlungen erhalten als das tatsächliche Angebot.
- Als Verkäufer*in benötigen Sie hinsichtlich dieser Fragen vor allem eines: echte Glaubwürdigkeit.
- Berücksichtigen Sie auch, dass Sie oftmals mit Menschen aus der Region verhandeln, die dort verankert und engagiert sind – und das auch nach einer Transaktion sein werden.
Wissen hilft: Was beim Übergang oft zu kurz kommt
In der Zusammenschau der Erfahrungen aus verschiedenen Transaktionsprozessen in der Pflege zeigt sich, dass auch auf Käuferseite einige Aspekte und Fragen zu kurz kommen oder vernachlässigt werden, die sich auf den Erfolg des Prozesses nachhaltig auswirken können. Einige dieser Punkte greifen wir in den folgenden Empfehlungen impulsartig auf.
Empfehlungen:
- Denken Sie neben den wirtschaftlichen Punkten einer Due Diligence auch an die Themen Technik, Instandhaltung und Wartung. Und richten Sie den Blick auch auf Aspekte im Rahmen behördlicher Prüfungen und Auflagen. Diese Themen kommen oftmals zu kurz.
- Beziehen Sie auch die gesamte innere Organisation der Betriebe mit ein: Wird der Betrieb zentral geführt (Personalabrechnung, Kundenabrechnung, Finanzbuchhaltung) oder dezentral? Welche Softwaresysteme werden genutzt (Kundenverwaltung, Bewohnerabrechnung, Dokumentation)?
- Klären Sie schon vorab zentrale pflegefachliche Fragen: Nach welchem Konzept wird gepflegt? Wie ist das QM strukturiert, welchen Stellenwert hat es? Gibt es interne Standards und eigene Audits? Wenn möglich auditieren Sie selbst. Wie werden Dienstpläne aufgestellt?
- Und noch wichtiger: Beim Erwerb von Pflegeeinrichtungen haben die neuen Betreiber*innen vorab oft zu wenige Kenntnisse über Abläufe, althergebrachte Bräuche, betriebliche Übungen, mündliche Abreden und Versprechungen, Leistungsträger*innen (und das Gegenteil). Dieses zum Teil auch implizite Wissen kann für den erfolgreichen Übergang von großer Bedeutung sein.
- Die Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden setzt oftmals viel zu spät ein und der Übergang wird nicht in ein adäquates Change Management eingebettet: Wichtig sind für die Mitarbeitenden Fragen wie: Wer ist der neue Träger? Wer sind die neuen Verantwortlichen? Welche Folgen gibt es für die Mitarbeitenden?
- Für den weiteren Verlauf, die Zeit der Post Merger Integration, PMI, sollte es für einen erfolgreichen Übergang eigene Formate und Prozesse geben, sodass im Sinne aller Beteiligten ein geordnetes Verfahren, transparent und vollständig, stattfinden kann.
Titelbild: © fizkes