Teilhabeplanverfahren: Kulturschock für Träger der Eingliederungshilfe?
Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll die Eingliederungshilfe personenzentrierter werden. Das betrifft die Leistungserbringung genauso wie die Leistungsbewilligung. Leistungserbringer stehen u. a. vor diesen Herausforderungen:
- Fachkonzept
- Leistungstrennung
- Personenzentrierung in allen Leistungsangeboten wie Wohnen, Beratung oder WfbM
Aber auch die Träger der Eingliederungshilfe müssen die Leistungsgewährung von Grund auf neu denken und konzipieren, da die Bedarfsermittlung im Rahmen des Teilhabe- bzw. Gesamtplanplanverfahrens zukünftig in ihre alleinige Verantwortung fällt und Leistungserbringer nur noch bei Bedarf oder auf Wunsch der leistungsberechtigten Person hinzugezogen werden. Die dafür sinnvolle Zusammenarbeit innerhalb der Behörde von Verwaltung, also den Sachbearbeiter*innen für die Eingliederungshilfe, und sozialer Arbeit, meist Fallmanager*innen genannt, führt oft zu Missverständnissen und Konflikten, wenn dieser Veränderungsprozess nicht aktiv und durchdacht angegangen wird.
Paradigmenwechsel BTHG: Haltungsänderung in allen Bereichen
Wenn im Zuge des BTHG von einem Paradigmenwechsel gesprochen wird, dann ist das – bei aller berechtigten Kritik – durchaus zutreffend. Denn möchte man dem Gesetz entsprechen – egal ob auf Leistungserbringer oder auf Leistungsträgerseite – dann reicht es nicht, Strukturen und Angebote lediglich anzupassen. Eine personenzentrierte Bedarfsermittlung und Leistungserbringung erfordern eine neue Grundhaltung. Wo auf Leistungserbringerseite oftmals noch immer der Fürsorgegedanke stärker als der Teilhabegedanke ist, da ist auf Kostenträgerseite oftmals noch der Verwaltungsgedanke stärker als der sozialarbeiterische Ansatz. Die Umstellung auf ein Eingliederungshilfesystem, das dem BTHG und dem Gedanken der personenzentrierten Teilhabe entspricht, erfordert also zunächst einmal eine Haltungsänderung und ein Umdenken. Ist dieses erreicht, müssen notwendige Strukturen und Angebote neu justiert werden. Die Schwierigkeit liegt darin, diesen Kulturwandel aktiv zu gestalten und Mitarbeitende mitzunehmen, die zum Teil über Jahre und schon in ihrer Ausbildung auf Basis eines anderes System gearbeitet haben.
Sachbearbeitung vs. soziale Arbeit? – Nicht gegen-, sondern miteinander!
Für die Bedarfsermittlung im Zuge des Teilhabeplanverfahrens wurden bei vielen Trägern der Eingliederungshilfe für das Fallmanagement gleich mehrere neue Stellen geschaffen, die von Sozialarbeiter*innen besetzt werden. Diese ermitteln anhand des entsprechenden Instruments den Bedarf einer leistungsberechtigten Person und sprechen Empfehlungen für die Leistungsgewährung aus. Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass hier zwei Welten aufeinanderprallen, die von Haus aus nicht gewohnt sind, als ein Team zu arbeiten. Sachbearbeiter*innen, die zuvor auf Basis von Sachgründen oder Aktenlage über Fälle entschieden haben, fühlen sich unter Umständen in ihrem Wirken eingeschränkt, während sozialarbeiterische Mitarbeitende, deren Empfehlungen nicht in Gänze umgesetzt werden, sich wiederum in ihrer Kompetenz beschnitten fühlen. Es geht um die Deutungshoheit vor dem Hintergrund völlig unterschiedlicher Herangehensweisen und Wertungen – ein Spagat, der zum Wohl des Menschen mit Behinderung gelingen muss. Dafür setzen Sie am besten auf zwei Ebenen an:
- 1. Positives kulturelles Klima schaffen
- 2. Prozesse und Verantwortlichkeiten im Teilhabeplanverfahren definieren
Positives kulturelles Klima schaffen
Die erste Ebene ist Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Sozialarbeiter*innen und Sachbearbeitung der Eingliederungshilfe und damit essenziell für die gelingende Teilhabeplanung von Menschen mit Behinderung. Sie ist aber auch die komplexere. Einen kulturellen Change kann man nicht von heute auf morgen umsetzen. Und von selbst wird dieser schon gar nicht gelingen. Es braucht gezieltes Vorgehen. Coachings und Workshops, sowohl mit Sachbearbeiter*innen als auch mit den Sozialarbeiter*innen aus der Bedarfsermittlung, können hier ein Anfang sein. Dabei gilt es, z. B. durch gezielte Befragungen herauszufinden:
- Welche Herausforderungen erkennen die Mitarbeitenden beider Gruppen durch das BTHG für sich?
- Welche fachlichen Voraussetzungen erachten sie für sich wie auch für die je andere Gruppe als notwendig?
- Wie wünschen bzw. stellen sie sich die Zusammenarbeit zwischen Fallmanagement und Sachbearbeitung vor?
- Was beinhaltet der Begriff Personenzentrierung für sie?
- Wie stellen sie sich die Einbindung der leistungsberechtigten Personen in den Prozess vor?
In diesen Coachings muss ein einheitliches Verständnis und eine gemeinsame Haltung aller Mitarbeitenden für das Recht auf Teilhabe im Sinne des Bundesteilhabegesetzes geschaffen werden. Dahinter steht ein Wertegefüge der Teilhabe, das Verbindlichkeit haben sollte, um zu gelingen. Ein kultureller Change ist schwierig, aber möglich. Je eher Sie damit beginnen, desto besser gelingt er.
Verantwortlichkeiten und Prozesse im Teilhabeplanverfahren definieren
Nichtsdestotrotz wird es immer auch eine Arbeit mit Kompromissen sein. Nicht jede angedachte Leistung muss unreflektiert genehmigt werden, aber die Devise darf auch nicht sein, zu sparen, wo es eben geht. Im Zentrum steht schließlich der Mensch. Damit es also zu weniger Reibungspunkten und Widersprüchen kommt, braucht es einen klaren Prozess des Teilhabeplanverfahrens und Verantwortlichkeiten für die jeweiligen Prozessschritte. Dadurch erreicht man:
- Transparenz
- Effizienz
- Orientierung
Diese Vorteile werden erreicht, indem der Prozess des Teilhabeplanverfahrens feingliederig festgehalten wird mit jeweils einer Angabe, wer für einen Schritt die Verantwortung hat, wer mitwirkt und wer informiert werden muss. Hilfreich für die Ressourcenplanung und die tatsächlich zu bewerkstelligende Fallzahl ist es, die Schritte mit Zeitangaben zu hinterlegen. Der Übergang „Diagnose versus Leistung“, also die Übersetzung von Handlungsbedarfen in die tatsächliche Leistungsgewährung als Schnittstelle zwischen Sachbearbeitung und Fallmanagement, leidet häufig am meisten unter fehlender Transparenz. Diese herzustellen liegt aber im Interesse aller Beteiligten, natürlich nicht zuletzt der leitungsberechtigen Person. So etwas kann beispielsweise über ein Punktesystem gelingen oder einen anderen Rahmen, der vorgibt, inwieweit von Empfehlungen abgewichen werden kann, ohne die Teilhabeziele zu gefährden.
Diese zwei exemplarischen Prozessschritte zeigen, wie eine Darstellung mit Verantwortungszuweisungen aussehen kann. Die Zeitangaben sind von Fall zu Fall zu ermitteln und die Materialien und Hilfsmittel von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – diese Abbildung dient nur der Visualisierung. In diesem Beispielprozess würden den beiden Schritten „Bericht zur Bedarfsermittlung“ und „Abstimmungstermin“ mindestens sieben weitere Schritte vorausgehen, unter anderem die sozialraumorientierte Beratung, die Antragstellung, die Übertragung der Daten in den Basisbogen und die Bedarfsermittlung selbst. Der Prozess des Teilhabeplanverfahrens kann mitunter aus mindestens sechszehn einzelnen Schritten mit jeweiliger Verantwortungszuteilung und Zeitangaben sowie den benötigten Materialien bestehen. Ihn zu visualisieren und zu dokumentieren ist aufwändig, aber es lohnt sich für alle Beteiligten.
Teilhabeplanverfahren bei Trägern der Eingliederungshilfe: Keine pauschale Lösung
Dass Träger der Eingliederungshilfe von der Umsetzung des BTHG genauso sehr gefordert sind wie Leistungserbringer, zeigt sich bei näherer Betrachtung schnell. Möchten sie dem BTHG entsprechen und jedem Menschen mit Behinderung das Recht auf eine Teilhabe- bzw. Gesamtplankonferenz ermöglichen, führt das automatisch zu einer höheren Bearbeitungszeit. Dafür braucht es Ressourcen, insbesondere wenn man von ca. einem Tagwerk Arbeit pro Berufsgruppe – also Sachbearbeitung und Fallmanagement – und Fall ausgeht, was durchaus realistisch ist. Eine pauschale Lösung gibt es nicht, der Träger der Eingliederungshilfe muss hier individuelle Lösungen finden. Ein klar durchdefinierter Prozess, eine effiziente, weil nicht durch persönliche Befindlichkeiten gestörte Kommunikation innerhalb der Behörde sowie ein hohes Maß an Fachwissen aller Beteiligten bilden eine gute Grundlage für den erfolgreichen Change.
Text: Marie Kramp© contrastwerkstatt
Birgitta Neumann
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