Teilhabeplanverfahren in WfbM: Vorbereitung ist alles
Die Bundesregierung aus SPD, Grüne und FDP hat die konsequente und zügige Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und die Stärkung der Inklusion als wichtige Ziele in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Insbesondere die Forderung der Ampel nach einem Abbau bürokratischer Hürden, die z. B. das Wunsch- und Wahlrecht einschränken, deutet darauf hin, dass die umfassende Umsetzung des BTHG und damit auch die Einführung des Teilhabeplanverfahrens noch nicht in allen WfbM angekommen ist. Wir fassen noch einmal das Wichtigste über das Teilhabeplanverfahren und seine Bedeutung für WfbM für Sie zusammen.
Teilhabeplanverfahren in WfbM: Veränderte Anforderungen rund um den Reha-Prozess
Das im Zuge des BTHG am 1. Januar 2018 eingeführte Teilhabeplanverfahren trägt dem Gedanken der personenzentrierten Leistungserbringung Rechnung. In diesem Zusammenhang haben sich insbesondere auch die Anforderungen rund um den Reha-Prozess verändert. Im Rahmen der trägerübergreifenden Zusammenarbeit bei aufeinanderfolgenden Leistungen mehrerer Reha-Träger (Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich/Arbeitsbereich in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen/Andere Leistungsanbieter) ergeben sich neue Anforderungen und Prozesse. Kerngedanke ist auch hier, dass der Mensch mit Behinderungen mit seinen Wünschen und Vorstellungen zu den eigenen Teilhabebedarfen im Zentrum der Planung steht. Entsprechend wird die Planung auch bei laufenden Bestandsfällen in WfbM angewandt und mit dem oder der Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung der individuellen Lebenslage zusammen durchgeführt.
Die neue Ausrichtung der Teilhabeplanung, die in den Werkstätten den bisherigen Fachausschuss ersetzen wird, stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen: Was früher im Fachausschuss detailliert argumentiert werden konnte, muss jetzt über die Maßnahmenplanung und Dokumentation der Förderung ersichtlich werden. Kurz: Je besser und ausdifferenzierter die geplante Förderung von Seiten der WfbM begründet und dokumentiert ist, desto schneller und unkomplizierter wird sie bewilligt werden. Heißt auch: Je besser die Mitarbeitenden im Umgang mit der ICF und dem jeweiligen Bedarfsermittlungsinstrument geschult sind, desto reibungsloser läuft der Übergang in die Teilhabeplanung.
ICF im Teilhabeplanverfahren: Kein Assessmentinstrument
Die personenzentrierte Bedarfsermittlung muss die Individualität des bzw. der Antragsteller*in nicht nur im Instrumentarium selbst, sondern auch hinsichtlich der Form der Ermittlung berücksichtigen. Dies wird in aller Regel nur durch ein persönliches, leitfadengestütztes und dialogorientiertes Gespräch gewährleistet, in dem die Wünsche des oder der Leistungsberechtigten zu Ziel und Art der Leistungen erhoben und die aus der Diagnose ableitbaren funktionsbezogenen Beeinträchtigungen von Aktivität und Teilhabe in den betroffenen neun Lebensbereichen der ICF gemeinsam herausgearbeitet werden.
Bei der ICF gilt es zu beachten, dass diese eine umfangreiche Klassifikation zur Beschreibung von Krankheitsfolgen, aber kein Assessmentinstrument selbst ist. Der Bundesgesetzgeber hat bewusst auf die Vorgabe eines einheitlichen Instruments verzichtet. Mit der Entwicklung eines jeweils landeseinheitlichen Bedarfsermittlungsinstruments, z. B. BEI_NRW, B.E.Ni in Niedersachsen oder dem Integrierten Teilhabeplan (ITP), z. B. in Thüringen, wurden die rechtlichen und fachlichen Vorgaben zur Bedarfsermittlung im Teilhabeplanverfahren umgesetzt. In diesem Zusammenhang sind auch im Bereich der Reha-Leistungen übergeordnete Besprechungsformate zwischen allen Reha-Trägern und den Leistungserbringern notwendig und werden regional zwischen den Partnern vereinbart.
Mitarbeitende schulen: Neue Bedarfsermittlung in WfbM stellt hohe fachliche Anforderungen
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die Mitarbeitenden der Leistungserbringung im Bereich Werkstatt in der Anwendung des bio-psycho-sozialen Modells der ICF und ihrem strukturellen Aufbau nach neun Lebensbereichen zu schulen. Ziel dieser Schulungen sollte sein, ein tiefes Verständnis für das Teilhabeplanverfahren zu wecken und dabei eine Anwendungssicherheit in der Arbeit mit den landeseinheitlichen Bedarfsermittlungsinstrumenten zu schaffen. Eine der größten Umstellungen ist es, die Kultur der Personenzentrierung nicht nur im Angebot auf dem Papier, sondern auch in der Praxis zu leben – angefangen bei der Bedarfsermittlung. Dabei reicht es nicht aus, wenn nur der Sozialdienst entsprechend geschult ist. Damit dieser gewaltige Change-Prozess bei allen beteiligten Mitarbeitenden gelingt, ist neben den strukturellen Anpassungen der Arbeit auch die Auseinandersetzung mit der Wertekultur wichtig. Hier braucht es eine kontinuierliche Begleitung der Mitarbeitenden z. B. in Form eines Coachings, um ein einheitliches Verständnis und eine gemeinsame Haltung aller beteiligten Akteure für das Recht auf Teilhabe zu schaffen.
Das SGB IX sieht eine Darstellung von Wirksamkeit vor. Um diese zu erzielen, müssen alle – auch Gruppen- und Anleiter*innen – in die Bedarfsermittlung und Gesamtplanung einbezogen werden. Den Prozess begleitende, umfassende und immer wiederkehrende Mitarbeiterschulungen können Orientierung dahingehend bieten, wie personenzentriertes Arbeiten aussieht und wie dies intern gesteuert wird. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Sie Ihren Mitarbeitenden folgende Inhalte vermitteln:
- Hintergründe zum Teilhabe- und Gesamtplanverfahren/zum BTHG
- Erarbeitung eines einheitlichen Verständnisses von Personenzentrierung
- Wissen über Aufbau und Struktur des landeseinheitlichen Bedarfsermittlungsinstruments
- Basiswissen ICF und Bio-psycho-soziales Modell
- Ziel- und Maßnahmenplanung
Ein besonders wertvoller Nutzen von Schulungen dieser Art – neben dem eigentlichen Lerneffekt der Teilnehmenden – ist die Partizipation der Mitarbeitenden an der Entwicklung hin zu einer personenzentrierten Leistungserbringung. Das Feedback der durch contec geschulten Kollegen und Kolleginnen in einer großen Lebenshilfe Einrichtung hat gezeigt: Die aktive Auseinandersetzung mit mehr Teilhabe für Leistungsempfänger*innen führt auch zu mehr Teilhabe der Mitarbeitenden an der Organisationsentwicklung.
Kernkompetenzen fördern
Die Einbeziehung der Leistungsberechtigten in Teilhabeplanung und Bedarfsermittlung ist das A und O. Die umfassende Beteiligung von Personen auch mit erheblichen Kommunikationsproblemen muss wertgeschätzt und befürwortet werden. Dafür müssen entsprechend geeignete Kommunikationsformen identifiziert und angewendet werden. Für die Eruierung der Bedarfe sind bei den Mitarbeitenden Kompetenzen in (fall-)verstehenden und biografischen Methoden und die Grenzen solcher Vorgehensweisen erforderlich. Auch hier können Schulungen helfen, die entsprechenden Kompetenzen auszubilden oder zu fördern.
☛ Personenzentrierte Förderung in Werkstätten ist nur möglich, wenn die Unternehmenskultur auch auf dieses System ausgerichtet ist. Der Gedanke der Teilhabe des und der Einzelnen muss seinen Platz im Werkstattalltag haben. Die Werkstattkultur sollte daraufhin überprüft und mögliche äußere Zwänge, wie sie eine stark produktionsorientierte Ausrichtung schafft, abgeschafft werden.
Text: Eva-Maria Hoff/Marie Kramp© Rawpixel Ltd.
Birgitta Neumann
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