Teilhabe im U6-Bereich: Personenzentrierung in der Kita
Im Fachdiskurs um die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) liegt der Fokus oftmals auf erwachsenen Menschen mit Behinderungen und Angeboten für diese Zielgruppe – nicht ganz zu Unrecht, hat das BTHG doch die durchschlagendsten Veränderungen für diese Zielgruppe mit sich gebracht. Aber es darf nicht vergessen werden, dass auch Kinder mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung (noch) durch die Eingliederungshilfe des SGB IX begleitet werden. Teilhabe, Personenzentrierung und Partizipation sind also auch Schlagworte, die in der U6-Betreuung von Kindern mit Behinderungen mit Leben gefüllt werden müssen. Konkret heißt das auch für Kita-Träger: Fachkonzepte ausarbeiten, Leistungen einer Wirksamkeitsprüfung unterziehen und vor allem: Fachkräfte für die Teilhabe von Kindern – mit und ohne Behinderungen – sensibilisieren.
Kinder in den Fokus rücken
Kinder und ihre Rechte rücken dieser Tage mehr und mehr in den Fokus der öffentlichen und fachlichen Diskussionen, nicht zuletzt durch die schweren Missbrauchsskandale und die darauf folgenden Gesetzesinitiativen der Bundesregierung. Mit dem Referentenentwurf für ein novelliertes SGB VIII, der schon einige Stellungnahmen von Fachverbänden nach sich zog und in vielen Punkten Zustimmung findet, hat das BMFSFJ die Diskussion um die Teilhabe und den Schutz von Kindern weiter nach vorn gebracht. Auch die Forderungen nach einem inklusiven SGB VIII werden dadurch wieder lauter, weil der Referentenentwurf dieses große Unterfangen um acht Jahre in die Zukunft verschoben hat. Bis 2028 werden sich die schwierige Differenzierung und der Streit um die Zuständigkeit für Kinder mit Behinderungen also wohl noch hinziehen. Ein Grund mehr, in den vorhandenen Strukturen für die bestmögliche Teilhabe von Kindern mit und ohne Behinderungen zu sorgen – und da sind auch Kita-Träger gefragt.
Alltag in Kitas: Einrichtungsorientiert statt personenzentriert
Kindern in der Kita bereits so viel Selbstbestimmung wie möglich einräumen – das ist weder für Kinder mit noch ohne Einschränkungen in Gänze gelebter Alltag. In den vergangenen Jahren sind die Kinderrechte deutlich in den Fokus der pädagogischen Arbeit gerückt, vielerorts finden Initiativen statt, Kindern ihre Rechte näher zu bringen und Fachkräfte für den Partizipationsgedanken zu sensibilisieren und zu schulen. Moderne Konzepte, die auf eine starke Teilhabe der Kinder ausgerichtet sind, haben bei vielen Trägern bereits Einzug gehalten.
Dennoch darf noch einiges dafür getan werden, diese Bestrebungen weiter voranzutreiben. Der in der Eingliederungshilfe so oft kritisierte Fürsorgegedanke, der durch den Teilhabegedanken abgelöst werden soll, schlägt sich in vielleicht noch stärkerem Maß bei der Kinderbetreuung nieder, und zwar, weil man Kindern allzu oft per se die Fähigkeit abspricht, Entscheidungen zu ihrem Wohle selbst treffen zu können. Dies wird durch eine diagnostizierte Behinderung noch verschärft. Aber die Regelungen des neuen SGB IX gelten auch für Kinder mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung. Kitas, die Plätze für Kinder mit einer Beeinträchtigung zur Verfügung stellen, müssen also genauso wie alle anderen Anbieter von Leistungen der Eingliederungshilfe ein Fachkonzept für ihre Einrichtung ausarbeiten, das auch die Wirksamkeitsprüfung der erbrachten Leistungen ermöglicht sowie die Zielgruppe ausdefiniert. Personenzentrierung, Selbstbestimmung und Teilhabe müssen spätestens jetzt verstärkten Einzug auch in die Angebote der Kindertagesbetreuung finden.
Personenzentrierung für Kinder mit und ohne Behinderung
Personenzentrierte Konzepte im U6-Bereich zu erstellen und umzusetzen ist nicht leicht. Die Haltung, dass Kinder, insbesondere Kinder mit Behinderungen, in großem Umfang auf die Unterstützung und zum großen Teil auch auf die Übernahme bestimmter Handlungen durch Erwachsene angewiesen sind, hält sich hartnäckig in den Köpfen vieler Fachkräfte und auch der Führung. Von mehr Selbstbestimmung und Teilhabe in einer Kita würden letztlich alle Kinder profitieren, auch die, die keine diagnostizierte Einschränkung haben. Deshalb sollte ein personenzentriertes Kita-Konzept sich nicht auf die heilpädagogischen Fachleistungen beschränken, sondern auch die pädagogischen Leistungen kritisch hinterfragen. Ein Beispiel: In den meisten Kitas gibt es eine feste Zeit für das Mittagessen, alle Kinder essen gleichzeitig. Ein personenzentrierter Ansatz würde den Kindern aber erlauben, selbst zu bestimmen, wann sie zu Mittag essen möchten. Warum soll beispielsweise ein fünfjähriges Kind nicht noch eine halbe Stunde länger bei einer Beschäftigung bleiben, die es motiviert und die ihm Spaß macht? Aus logistischen und praktischen Gründen werden in Kitas viele Leistungen gebündelt als Gruppenleistungen erbracht und dabei missachtet, dass das ggf. an den Wünschen der Kinder vorbei geht. Ein erster Ansatz für mehr Personenzentrierung in der Kita – für alle Kinder – wäre also zum Beispiel die gleitende Mittagszeit, in der zwei Fachkräfte von 12 Uhr bis 14 Uhr dafür zuständig sind, den Essensraum zu betreuen, sodass die Kinder flexibler sind.
Fachkonzept und Wirksamkeit in der Kita
Das Problem mit dem Fachkonzept: Bis heute ist nicht ganz geklärt, wie genau dieses auszusehen hat, es sind nur grobe Eckdaten vorgegeben, die dort verankert werden müssen: Die konkrete und angestrebte Leistung, der zu betreuende Personenkreis sowie der notwendige Personalbedarf. Kitas sollten deshalb ihr Konzept so gut wie möglich nach diesen drei Aspekten ausrichten und auch jetzt schon beginnen, die Entwicklung der Kinder so zu dokumentieren, dass der Wirksamkeitsnachweis im Zweifel erbracht werden kann – denn die Leistungsträger werden diese entsprechend der Vorgabe des Gesetzes überprüfen. Bei der Fachkonzepterstellung für eine Kita gilt es besonders sorgsam die Zielgruppe zu definieren und auszudifferenzieren, welche Leistungen überhaupt im Rahmen der Eingliederungshilfe notwendig sind, und welche ggf. einfach nötig sind, weil es sich bei der Zielgruppe eben um Kinder handelt, kurz gesagt: Die Abgrenzung zwischen heilpädagogischen und pädagogischen Leistungen. Steht das Thema Personenzentrierung oben auf der Agenda der Kita – für alle Kinder – dann werden gleich mehrere positive Ergebnisse erzielt.
Teilhabe umsetzen, Fachkräfte schulen
Eine Möglichkeit für mehr Teilhabe in der Kita stellen z. B. sogenannte Kinder-Parlamente dar. Ältere Kinder können als Vertreter*innen der Betreuten gewählt werden und über bestimmte Aspekte im Kita-Alltag mitbestimmen. So zum Beispiel, wenn es um die Beschaffung von neuem Spielzeug geht, um den Speiseplan, die Karnevalsfeier etc. Kinder fühlen sich so nicht nur in ihren Belangen und Bedürfnissen ernst genommen, sie lernen auch noch spielend, was Demokratie bedeutet.
Alle Ansätze, die mehr Personenzentrierung und Teilhabe in der Kita ermöglichen, müssen von den Einrichtungsleitungen und den Erzieher*innen getragen werden. Deshalb kann gar nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, das Personal in dieser Hinsicht zu schulen. Mitarbeitende in Einrichtungen für erwachsene Menschen mit Behinderungen werden im Zuge des BTHG bereits vielfach in den menschenrechtlichen Aspekten des Gesetzes geschult und müssen einen Kulturwandel gemeinsam mit ihrem Träger durchleben. Gleiches gilt für Kitas, insbesondere inklusive Kitas, von denen es sogar rechtlich gefordert wird. Schulungen für Erzieher*innen hinsichtlich der Personenzentrierung und Teilhabe (behinderter) Kinder sollten deshalb folgende Aspekte umfassen:
- Grundlagen des BTHG und der UN-BRK: Was wird fachlich gefordert, was für Werte stehen dahinter?
- Grundlagen der Bedarfsermittlung: Auch wenn die Bedarfsermittlung in der Verantwortlichkeit der Träger der Eingliederungshilfe liegt, hilft es den Erzieher*innen, das Modell der ICF zu verstehen, auf dem der personenzentrierte und nicht länger defizitorientierte Ansatz beruht
- Welches Bild vom Kind liegt der pädagogischen Arbeit zu Grunde und welche Haltung wird den Kindern im Bereich Teilhabe entgegengebracht?
In Workshops können Mitarbeitende anhand scheinbar banaler alltäglicher Tätigkeiten in der Kita erarbeiten, wie eine personenzentrierte Ausübung derer aussehen könnte. Was im Einzelnen umgesetzt werden kann, hängt auch immer von der Personaldecke und dem nötigen Aufwand für die Umsetzung ab. Mit ein paar strukturellen Anpassungen lassen sich aber einige personenzentrierte Ansätze gut in einer Kita umsetzen. Werden diese und möglicherweise die zugrundeliegenden Werte dann noch schriftlich in einem neuen Fachkonzept verankert, ist die Kita auch der Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs ein Stück näher.
Text: Marie Kramp
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