Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit: Tipps aus der Beratung

Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit
Mittwoch, 30 August 2023 17:57

Birgitta Neumann leitet bei contec den Geschäftsbereich Sozialwirtschaft und verantwortet die Beratung für Unternehmen der Eingliederungs- und der Kinder- und Jugendhilfe. Ihr Credo: Aktuelle sozialpolitische und demografische Entwicklungen erfordern eine strategische Neuausrichtung von sozialen Organisationen. Hier gibt sie Tipps für Ihre Strategieentwicklung im Bereich der Sozialen Arbeit und berichtet von ihren Beratungserfahrungen.

Strategieentwicklung: Soziale Arbeit unter Handlungsdruck

Warum braucht es Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit?

Erstens: Die Soziale Arbeit stand selten vor so großen gesetzlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen wie heute. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) und das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) verändern die Sozialgesetzgebung in ihren grundlegenden Strukturen und verschieben damit deutlich die Einflussmöglichkeiten sozialer Organisationen auf die Leistungsträger – sei es bei der Prüfung von Wirkung und Wirksamkeit innerhalb der Eingliederungshilfe oder bei den verschärften Kriterien für die Betriebserlaubnis in Teilen der Kinder- und Jugendhilfe.

Zweitens: Der Anspruch an Träger bezüglich bedarfsgerechter Konzepte sowie qualifizierten und effizienten administrativen Prozessen steigt und das bei gleichzeitig wachsendem Fachkräftemangel und einem Generationenwechsel – auch auf der ersten Führungsebene.

Drittens: Das Ziel der Inklusion stellt die bisherige Branchentrennung in Frage und wird mindestens im Elementarbereich zu einer Verschiebung des Marktes führen. Ab voraussichtlich 2028 fällt die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche in die Zuständigkeit der Jugendhilfe und Regelangebote müssen sich mehr und mehr auch für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen öffnen. Deren Betreuung wird dann nicht mehr die ausschließliche Hoheit der Eingliederungshilfe sein. Der Druck, der sich dadurch insbesondere für kleinere Träger verschärft, ist aber nur eine Seite der Medaille: Es bietet sich auch die Chance, als Träger in neue Märkte einzusteigen.

Für diese – zugegebenermaßen in aller Kürze zusammengefassten – Herausforderungen braucht es eine ausgereifte Strategie und eine Neuausrichtung sozialer Organisationen.

Strategieentwicklung statt Aktionismus: Gesamtorganisation im Fokus

Auch, wenn diese tiefgreifenden Veränderungen in den Teilbranchen der Sozialen Arbeit Träger in Zugzwang bringen, ihre Angebote und Strukturen neu auszurichten, warnen wir davor, in einen vorschnellen Aktionismus bei der Strategieentwicklung zu verfallen. Eine fundierte strategische Auseinandersetzung schafft Orientierung über mögliche und notwendige Maßnahmen und die Ressourcen, die es wirklich dafür braucht.

Neben einer langfristigen strategischen Ausrichtung mit der Gesamtorganisation im Fokus erfordert das Veränderungstempo des Marktes aber auch kurzfristigere, flexible Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit. Zudem müssen bestehende Strategien regelmäßig überprüft und ggf. angepasst werden. Bei der Strategieentwicklung sollten Sie außerdem unbedingt beachten, dass Strategien, die Sie ohne eine Beteiligung von Führungskräften und in Teilen auch Mitarbeitenden definieren, schlechtere Umsetzungschancen haben als solche, in deren Entwicklung Sie möglichst viele Organisationsmitglieder eingebunden haben. Bereits die dritte Führungsebene ist unserer Erfahrung nach oft nicht mehr in der Lage, die genaue strategische Ausrichtung ihrer Organisation zu benennen – ein Defizit, dem Sie mit einer professionellen und partizipativen Strategieentwicklung entgegenwirken können.

Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit: Klassiker unter den Irrtümern

Einige der häufigsten Fehler, die wir in laufenden Strategieprozessen in sozialen Organisationen beobachten, wenn wir zu einem späteren Zeitpunkt hinzugezogen worden sind, sind vermeidbar, wenn man sie sich vorher bewusst macht. Vielfach entwerfen Träger z. B. Fünf-Jahres-Pläne mit vielen, oft kleinteiligen Zielen oder Maßnahmen, die einzelne Abteilungen oder Geschäftsfelder betreffen, ohne das Gesamtziel der Organisation geklärt zu haben. In solchen Fällen drohen sie sich mit dem Prozess zu überfordern oder sich in ihm zu verlieren.

Bei einer strategischen Neuausrichtung beobachten wir außerdem immer wieder folgende Irrtümer oder Prozessfehler:

  • Es gibt zu wenig bis keine Zeit für einen guten Strategieprozess.
  • Notwendige Analysen der internen und externen Rahmenbedingungen werden oft sehr undifferenziert und „aus dem Bauch heraus“ erhoben. Dies hat eine verzerrte Einschätzung der internen Voraussetzungen zur Folge. Externe Dynamiken werden häufig zu wenig oder zu einspurig betrachtet. Zumeist richtet sich dabei der Blick auf unmittelbare Wettbewerber, während andere Dynamiken im Markt (Bedarfe der Zielgruppe, Demografie der Region etc.) aus dem Blick geraten.
  • Ein weiterer Fallstrick ist eine Vermischung von strategischer und operativer Ebene. Vielfach erfolgt die Strategieentwicklung im operativen Geschäft und wird dann auf Unternehmensebene abgebildet. Dies birgt die Gefahr, dass weniger die Gesamtorganisation als die einzelnen Geschäftsfelder im Fokus stehen, mögliche Kooperationen und Synergien in Teilen nicht beachtet werden oder Strategien einzelner Bereiche sogar in Konflikt miteinander geraten.
  • Häufig werden in aufwendigen Prozessen langwierige Strategiepapiere entwickelt, einzelne strategische Ziele sehr kleinteilig, aber oft unpräzise formuliert. Strategieprozesse werden statisch betrachtet und die notwendige Überprüfung, ggf. Anpassung und Korrektur, nicht vorgenommen.
  • Strategien werden von oben herab meist auf erster bis zweiter Führungsebene entwickelt und wenig bis gar nicht in die unteren Ebenen kommuniziert.

Die Strategie ist die Grundlage für die Struktur, die Struktur folgt der Strategie.
Eine Orientierung an der Ist-Struktur erschwert/behindert Innovation und vermittelt den Eindruck mangelnder Ressourcen, was vielfach gar nicht zutrifft.

Erste Schritte der Strategieentwicklung: Von der Zielsetzung zur SWOT-Analyse

Ein Strategieprozess und die Strategieentwicklung benötigen Zeit und personelle Ressourcen. Sie sollten fest integriert im Unternehmen sein und die Basis für die Jahresplanung des Unternehmens bilden. Um die Strategieentwicklung im Unternehmen voranzutreiben, kann es helfen, folgende Fragen zu bearbeiten:

  • Ziele: In welchen Hilfefeldern, Regionen, Kundenkreisen wollen/müssen wir zukünftig tätig sein?
  • Maßnahmen: Wie gelangen wir zu unserem Ziel und was benötigen wir dafür?
  • Steuerung: Welche Steuerungsinstrumente sind dafür notwendig?

Stehen die zukünftigen Ziele des Unternehmens fest, so können Sie die Parameter für die Analyse interner und externer Einflussfaktoren festlegen. Mithilfe einer Stärken-Schwächen-Analyse ermitteln Sie die Erfolgsfaktoren aus Sicht Ihrer Kund*innen. Die Kenntnis der Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens bzw. Geschäftsfelds helfen bei der Einschätzung, ob das Unternehmen oder die Geschäftsfelder in der weiteren Entwicklung von Chancen profitieren können oder doch eher von Risiken betroffen sein werden. Eine Möglichkeit dafür bietet die Swot-Analyse – Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Risiken). Diese Form der Analyse ist jedoch kein isoliertes Instrument der strategischen Planung, sondern ergänzt die Betrachtung externer Faktoren, z. B. gesellschaftliche Zukunftstrends, gesetzliche Entwicklungen, Möglichkeiten der Refinanzierung, Ersatz- oder Alternativprodukte.

Damit bei der SWOT-Analyse unternehmensweit vergleichbare Kriterien betrachtet werden und eine umfassende Analyse angegangen wird, sollten Sie einen Kriterienkatalog entwickeln.

Erfolgskritisch: Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Ressourcen definieren

Die Ist-Analyse ermöglicht eine klare Orientierung und Basis für die Strategieentwicklung. Sie ist aber nur der erste Schritt. In einem zweiten Schritt ist Kreativität gefragt: Nun geht es darum, zum Unternehmen passende Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie zu entwickeln. Hier gilt es – stets mit Bezug zu den Erkenntnissen aus der Ist-Analyse – den nötigen Raum zu lassen, um auch mal neue oder andere Wege zu gehen und Innovation zuzulassen.

„Raum“ ist auch das Stichwort für einen der Knackpunkte: Ressourcenplanung. Ohne die notwendige Ressourcendefinition kann es passieren, dass eine mögliche, gute Idee bereits im Keim erstickt wird und Demotivation bei den Beteiligten entsteht. Strategien sind nur dann sinnvoll, wenn die Ressourcen im Prozess geklärt und die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Für die Ressourcenplanung beachten Sie folgende Fragen:

  • Welche Kompetenzen werden für den Prozess benötigt?
  • Welche personellen Ressourcen braucht es? Wie stelle ich die Verfügbarkeit sicher?
  • Welcher finanziellen Mittel bedarf es?
  • Welche organisatorischen Voraussetzungen sind erforderlich?

Wichtig ist auch die Frage nach Verantwortungsverteilung und Zuständigkeiten. Diffusionen in diesem Bereich kosten wertvolle Ressourcen und im Zweifel auch Nerven bei den Beteiligten. Klären Sie also vorab:

  • Wer übernimmt die Projektleitung und wie werden die Maßnahmen gesteuert?
  • Welche Rahmenbedingungen gelten für die Projektleitung?
  • In welcher Form wird das Projekt geführt und umgesetzt?

Eine Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit birgt viele Stolpersteine, die sich aber durch eine gute Planung des Prozesses umgehen lassen. Ein fundierter und partizipativer Prozess deutet auf eine gute und weitsichtige Unternehmenskultur hin. Vor dem Hintergrund der massiven und unaufhaltsamen Entwicklungen des Marktes sozialer Dienstleistungen kommen freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie Leistungserbringer der Eingliederungshilfe nicht länger um einen wie oben skizzierten Strategieprozess herum.

Text: Birgitta Neumann
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