Resilienz als Baustein einer starken Arbeitgebermarke – ein Praxisbericht
Unternehmen der Sozialwirtschaft müssen sich als attraktive Arbeitgeber positionieren, um im Wettbewerb zu bestehen. Der Fokus auf das Thema Resilienz kann ein wichtiger Baustein einer starken und erfolgreichen Arbeitgebermarke sein und somit auch ein Erfolgsfaktor bei der Gewinnung von Fach- und Führungskräften. Diese Erfahrung hat auch Wolfgang Muy gemacht. Er ist leitender Mitarbeiter der Diakonie Lahn Dill und dort in der Fachstelle Innovation, Entwicklung und Inklusion tätig. Parallel arbeitet er als freiberuflicher Supervisor und Coach mit Führungskräften und einzelnen Teams, u. a. zum Thema Resilienz. Simon Kalisch, Projektleiter bei conQuaesso® JOBS, hat mit ihm gesprochen.
Herr Muy, das Thema Resilienz ist zwar nicht neu, gewinnt aber für Unternehmen der Sozialwirtschaft angesichts sich wandelnder gesellschaftlicher Bedingungen, einer erhöhten Belastung der Mitarbeitenden – sowie auch veränderter Anforderungen gerade der jüngeren Mitarbeitenden stark an Bedeutung und Interesse. Stellen Sie doch kurz Ihre Arbeit zum Thema Resilienz vor.
Wolfgang Muy: Ich stelle mir stets die Frage, was eine Organisation weiterbringen kann, um mit heutigen Themen wie Verdichtung und Komplexität der Arbeit und schnellen Veränderungen konstruktiv umzugehen. Seit fünf Jahren habe ich in der Diakonie Lahn Dill den Auftrag, innovative Projekte aufzubauen und uns gleichzeitig auf gesetzliche Veränderungen wie das BTHG vorzubereiten. Ein wichtiger Teil des Auftrags war der Aufbau eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements. Dies hatte einen besonderen Stellenwert, denn laut einer Mitarbeitendenbefragung fühlten sich einige Beschäftigte in ihrem Arbeitsbereich be- und überlastet. Das führte nicht nur zu einem umfassenderen Angehen innerhalb des Unternehmens, sondern auch zu meiner erfolgreichen Bewerbung beim Programm „rückenwind“ des Europäischen Sozialfonds. Mir war es ein großes Anliegen, das Thema Resilienz und deren Stärkung im Mitarbeitenden-, Team- und Organisationsbereich anzugehen, was mit dem Resilienz-Projekt: „Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0“ umgesetzt werden konnte. Es umfasste u. a. Workshops und Trainings sowie kritische Bestandsaufnahmen in unserer Organisation.
Wie würden Sie Resilienz für sich definieren und wo ist der Unterschied zwischen einer resilienten Person und einer resilienten Organisation?
Für mich bedeutet Resilienz, dass ich die Fähigkeit habe, auf bestehende Herausforderungen sowie Veränderungen in meiner Umgebung und Arbeitswelt mit Gelassenheit zu reagieren, dass ich mit diesen umgehen kann, mich ihnen stelle und mich dabei nicht verliere. Beim Thema persönliche Resilienz geht es vor allem darum, wie ich Energie gewinne oder verliere. Welche Gedanken ziehen mich runter? Wo entzieht sich mir der Sinn? Aber auch Konflikte aktiv anzugehen spielt eine Rolle. Resilienz-Trainings schulen das Verständnis persönlicher, aber auch fremder Grenzen und den Umgang damit. Ein wichtiger Faktor, der in den Seminaren intensiv aufgekommen ist, sind die individuellen inneren Antreiber, wie „Sei nett“ oder „Streng dich an“. Diese zu erkennen und auszubalancieren ist ein Teil der persönlichen Resilienz.
Bei der resilienten Organisation geht es darum, zu schauen, was im Team und auch in der Führungsebene gut läuft, wo Schwierigkeiten sind oder welche Tabus es gibt. Wie kann mit diesen Negativ-Faktoren umgegangen werden? Durch die Resilienz-Trainings konnten bei uns Schulterschlüsse und Veränderungen erreicht werden. Dabei geht es auch immer um die Klarheit von Rollen und Grenzen dieser Rollen. Es gibt für jede Organisation einen Auftrag und der sollte bestmöglich erfüllt werden – zu überlegen: „Was hindert uns in diesem Moment daran, unseren Auftrag und unser Angebot in gutem Sinne zu leben?“ Das ist ein Vorgang, der über mehrere Jahre geht.
Wie sehen Sie aktuelle Themenschwerpunkte der Branche, BTHG und Digitalisierung, in Verbindung mit Resilienz?
Anfangs war ich kritisch: Wir führen gerade ein neues System mit Software ein, parallel zum „rückenwind+“-Programm, und dann kommt noch das BTHG auf, das enormen Aufwand bedeutet. Wir haben dann aber erkannt, dass die erarbeiteten Kompetenzen im Umgang mit Herausforderungen jetzt genau gebraucht werden. Wir haben unser ,Burgen-Denken‘ verlassen und alle Angebote, die wir in der Diakonie – speziell im Bereich psychisch erkrankte Menschen – anbieten, vernetzt. Das war eine entscheidende Vorbereitung, um innovativ mit dem BTHG umzugehen und es nicht als Bürde zu verstehen, sondern vielmehr unsere Angebote zu flexibilisieren. Die Resilienz-Trainings helfen dabei, sich Veränderungen zu stellen und neue Wege auszuprobieren.
Der Fokus auf Resilienz kann zur Gestaltung einer förderlichen Unternehmenskultur beitragen – welche Erfahrungen haben Sie dazu gemacht?
Der ,Kulturwandel‘ ist bei uns insbesondere durch ein vernetztes Angehen von einzelnen Schritten und Faktoren entstanden – angefangen damit, dass die Steuerungsgruppe, die das Projekt begleitet hat, aus ,normalen‘ Mitarbeitenden im Betreuungsdienst, Mitarbeitervertretung, Leitungskräften und auch der Geschäftsführung bestand. Zahlreiche Mitarbeitende waren in die Schulungen eingebunden, in denen gemeinsam überlegt wurde, wie das Team und auch die Mitarbeitergesundheit gestärkt werden könnten. Die Schulungen haben Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen zusammengebracht. Das Resultat ist eine stärkere Verbundenheit untereinander. Zudem haben wir ein neues Projekt angefangen – „Stark für den Start“. Wir haben neue Mitarbeitende einen Tag eingeladen und verschiedene unserer Häuser besucht. Im Anschluss haben sie berichtet, dass es ein bereicherndes Erlebnis war, über den Tellerrand zu schauen und zu spüren, wie engagiert jede und jeder Einzelne ist.
Was raten Sie anderen Trägern, die das Thema Resilienz ebenfalls aufnehmen möchten?
Wichtig ist die Bereitschaft dafür, wirklich etwas zu ändern. Dafür muss bei der ,obersten Etage‘ angefangen werden, dann muss der Standpunkt der Mitarbeitenden mit ihren Belastungsfaktoren und Ressourcen ermittelt werden und auch die Einrichtung selbst ist ein wichtiger Faktor. Hier muss in verschiedenen Dimensionen gedacht werden, es sollten auch Faktoren wie Gesundheit oder Life-Balance Beachtung finden. Es ist wichtig, wie die Prozessorganisation abläuft: Wo sind Schwachstellen? Diese einzelnen Elemente, über mehrere Jahre aufeinander aufbauend, können eine Veränderung der Kultur anstoßen.
Welche Erfahrungen haben Sie im Zusammenhang mit Ihrer Resilienz-Arbeit im Hinblick auf die Gewinnung neuer Mitarbeitender gemacht?
Wir erleben ganz oft, dass die jungen Mitarbeitenden positiv von uns in ihrem Bekanntenkreis erzählen. Es besteht viel mehr Interesse – auch durch einen Zeitungsbericht über unser Projekt – und wir bekommen mehr Initiativbewerbungen. Unsere Arbeitgeberattraktivität ist also deutlich gestiegen, auch weil wir ganzheitlich schauen, was Mitarbeitende an Unterstützung benötigen. Außerdem ist das Interesse an den Resilienz-Schulungen gestiegen – sogar ganz normale Betriebe, wie eine Autowerkstatt, fragen nach, ob ich gegen eine Spende Schulungen durchführen kann.
Zum Abschluss: Wie beeinflusst das Projekt die Arbeit Ihrer Organisation und die Schwerpunktsetzung für die nächsten Jahre?
Es ist deutlich geworden, dass besonders die Interessen von jungen Mitarbeitenden ganz anders sind. Den veränderten Bedürfnissen möchten wir uns stellen. Deshalb steht auch das Thema Flexibilität von Arbeitszeiten oder Inselzeiten auf der Agenda. Geld zu verdienen ist nicht mehr (allein) entscheidend, sondern auch die Möglichkeit, einmal für mehrere Monate oder Jahre auszusteigen. Mitarbeitende möchten beteiligt werden und Mitverantwortung tragen. Hier möchten wir Lösungen schaffen. Denn als Mitarbeitende mit Wünschen und Bedürfnissen und ihren Ressourcen und Potentialen gesehen zu werden, ist wesentlich in einer Organisation. Dazu gehören Mut, neue Wege und Vertrauen. Resilienz ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Diakonie und Grundgerüst unserer Arbeit geworden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Muy!
Interview: Simon Kalisch © Rawpixel.com/ Adobe StockSimon Kalisch
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