Pflegeorganisation neu denken – für hohe Pflegequalität und zufriedene Mitarbeitende

Pflegeorganisation
Mittwoch, 01 Juni 2022 18:52

Überbeanspruchung, Entprofessionalisierung und Zeitmangel bilden ein Bermudadreieck, in dem sich engagierte Pflegende verlieren. Ein Lösungsweg liegt im Update der Pflegeorganisation – mit einem „Pflegeprozessmanagement 2.0“. Für Einrichtungen bedeutet das, Pflegeprozessmanagement als Grundlage für hohe Pflegequalität in den Mittelpunkt zu rücken, Führung im Team zu denken und Pflegefachpersonen kompetenzorientiert Verantwortung zu geben.

1. Es hakt in der Pflegeorganisation

Die stationäre Altenpflege hat sich in den vergangenen zehn Jahren massiv verändert. Der Unterbau des Pflegemanagement-Teams wird durch fehlende Pflegefachpersonen immer dünner. Die Position der Wohnbereichsleitung bleibt oft unbesetzt und die Pflegedienstleitung ist in der Regel an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt. Die Führungsstrukturen und die Aufbauorganisation sind vom Prinzip her jedoch gleichgeblieben.

Demgegenüber stehen Arbeitsabläufe, die immer komplexer, undurchsichtiger und schwerer zu bewältigen werden. Die vorhandenen Fachpersonen übernehmen nicht selten Aufgaben, die nicht mit ihrer Qualifikation im Einklang sind. Qualifizierte Pflegepersonen, die komplexe Prozesse mit ihrer Fachlichkeit gut umsetzen können, fehlen auch deshalb, weil Entwicklung oft nur vertikal, im Sinne einer Beförderung ,nach oben‘, gedacht wird und nicht in die fachliche Breite.

Vermehrt sind es durch den Fachkräftemangel auch Quereinsteiger*innen, die sich den komplexen Prozessen in der Pflegeeinrichtung stellen müssen. Eine Entprofessionalisierung in der Pflege steht damit der steigenden Komplexität entgegen. Diese Probleme müssen Einrichtungen jetzt an der Wurzel packen – und ganzheitlich behandeln.

Um eine hohe Pflegequalität sicherstellen zu können, mit zufriedenen Mitarbeitenden in einem motivierten Team, braucht es ein Update in der Pflegeorganisation. Einrichtungen müssen sich dafür von der alten hierarchischen Herangehensweise lösen. Stattdessen sollten jetzt Kompetenz- und Rollenklarheit in den Mittelpunkt rücken. Das gilt für die Führungsebene ebenso wie für die Fach- und Hilfskräfte.

Auch das neue Personalbemessungsinstrument (PeBeM) nach Rothgang – mit der nächsten Personalausbaustufe zum 1. Juli 2023 – erfordert zeitnah ein Umdenken. Denn PeBeM legt prozessuales Denken für den qualifikationsadäquaten Ansatz der Mitarbeitenden zugrunde.

In der praktischen Arbeit mit unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen haben wir zentrale Stellschrauben identifiziert, um die Pflegeorganisation nachhaltig umzugestalten. Dafür bietet sich ein „Pflegeprozessmanagement 2.0“ an.

2. Pflegeprozessmanagement im Fokus

Der Pflegeprozess beschreibt alle Schritte vom Einzug in die Einrichtung bis zum Auszug der Klient*innen – und sichert die Qualität der Pflege. Er sollte daher immer der Mittelpunkt des pflegerischen Handelns sein. Ein gutes Management der Prozesse ist damit entscheidend für eine hohe Pflegequalität. Obwohl die meisten Verantwortlichen die zentrale Bedeutung dieses Aufgabenbereichs sehen, kommt diesem in der derzeitigen Ausgestaltung der Organisationsstrukturen nicht die nötige Aufmerksamkeit zu.

Pflegeprozessmanagement, wie man es aktuell zumeist in der Praxis vorfindet, baut auf der Rolle der Pflegedienstleitung auf. Diese sieht sich jedoch zugleich vor der Herausforderung, mit den zunehmenden Anforderungen an die Qualität und der steigenden Komplexität der Versorgung umzugehen. Digitalisierung, internationale Pflegeteams und Gesundheitsmanagement sind nur einige der Themen, die das Aufgabenspektrum der PDL immer vielschichtiger machen. Gleichzeitig muss die PDL mit immer weniger Fachpersonal zurechtkommen – und hat oft nur die Möglichkeit, eine ,Personalmangelverwaltung‘ zu betreiben.

Das derzeitige Pflegeprozessmanagement setzt ebenso auf die Rolle der Wohnbereichsleitung. Doch auch die WBL ist einer starken Belastung ausgesetzt. Sie arbeitet mit einem veränderten Klientel – mit multimorbiden Bewohner*innen, kürzeren Verweildauern, medizinischen Anforderungen und komplexeren Erwartungshaltungen der Angehörigen und Betreuer*innen. Auch verändert sich ihre Rolle in Bezug auf die Mitarbeitenden. Hier muss sie mit weniger Fachkräften, unterschiedlichen Qualifikationslevels, höheren Ausfallquoten und Zeitarbeit umgehen.

3. Change schaffen mit dreidimensionaler Führung

Wie können Einrichtungen nun den veränderten Bedingungen und komplexeren Erwartungen Rechnung tragen? Die entscheidende Stellschraube für den benötigten Change in der Pflegeorganisation bietet sich, so zeigt es unsere Erfahrung, in der Führung – konkret im Bereich des mittleren Managements. Entscheidende Verbesserungen in der Organisation und im Arbeitsablauf lassen sich erreichen, wenn Einrichtungen die Führung an dieser Stelle neu aufstellen und stärken.

Dreidimensionale FührungPflegeeinrichtungen profitieren dabei von einem Management-Team, in dem klare Rollen und Verantwortlichkeiten bestehen. Verantwortung zu verteilen, ermöglicht es, Abläufe und Qualität zu sichern. Auf dieser, der mittleren Managementebene ist die für die Mitarbeitenden entscheidende und präsente Führungsinstanz verortet. Gestärkt kann diese Instanz dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden genau das bekommen, was sie für eine gute, zufriedenstellende Arbeit benötigen – allem voran mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Eine zentrale Chance zur Veränderung liegt darin, die Führung dreidimensional zu denken – und zu diesem Zweck die Wohnbereichsleitung auf zwei Rollen aufzuteilen. Daraus ergeben sich die neue Rolle „Pflegeprozessmanager*in“ ebenso wie die Rolle „Pflegeteamcoach*in“.

  • Ein*e Pflegeprozessmanager*in ist im Team für die Qualität in der Versorgung der Bewohner*innen zuständig. Die verantwortliche Person steuert die Prozesse, koordiniert die Pflegeplanung und sorgt dafür, dass die Pflegeinterventionen zu den Qualifikationen der Mitarbeitenden und den Abläufen passen.
  • Ein*e Pflegteamcoach*in kümmert sich währenddessen um die Kompetenzentwicklung und Befähigung der Mitarbeitenden einer Einrichtung. Es geht darum, die Potenziale der Mitarbeitenden systematisch zu erkennen und zu fördern und Entwicklung gezielt zu planen.

Beide Rollen bieten ein passendes Aufgabenspektrum für akademisch ausgebildete Personen, die ihre pflegetheoretischen Kenntnisse gewinnbringend einsetzen können. Sind die genannten Rollen etabliert, entlasten sie die PDL. Diese kann ihren eigentlichen Aufgaben wieder nachgehen. Sie kann sich vor allem konkret der Personalführung widmen. Dazu gehören beispielsweise jährliche Mitarbeitergespräche mit Zielvereinbarungen, die aktuell vielerorts noch nicht fester Bestandteil der Führung sind. Auch konzeptionelle Fragen oder das Belegungsmanagement bekommen wieder mehr Raum.

Der Aufbau einer Beziehungsebene zwischen Führung und Mitarbeitenden wird schließlich ebenfalls wieder möglich. Hier liegt großes Potenzial, denn die gute Kenntnis der Mitarbeitenden erweist sich in der Praxis immer wieder als zentraler Faktor für die richtige Förderung und Forderung, für Teamkultur und -zusammenhalt, aber auch für einen stimmigen, verlässlichen Dienstplan.

Neben der Aufstellung der Führung als Team ist ein weiterer Aspekt entscheidend: Im Bereich des mittleren Managements muss echte Verantwortlichkeit verortet sein. Konkret heißt das: Das Pflegemanagement-Team braucht tatsächliche Entscheidungskompetenz. Dies müssen Einrichtungsleitung und Träger gewährleisten, um eine kulturelle Transformation auf den Weg zu bringen. Je nach Bedarf kann vorab eine entsprechende Befähigung und Förderung der Führungskräfte, z. B. durch praxisnahe Begleitung, sinnvoll und hilfreich sein.

In einem dreidimensional aufgestellten Pflegemanagement-Team, wie hier beschrieben, teilen sich die Aufgaben wie folgt auf:

  • PERSONALFÜHRUNG
    Klassische Managementaufgaben • Personalführung: transformationaler-partizipativer Führungsstil • konzeptionelle Aufgaben • Belegungsmanagement
  • PFLEGEPROZESSMANAGEMENT
    Steuerung der Pflegeprozesse • Durchführung Pflegecontrolling • Pflegeplanungen koordinieren • Pflegeinterventionen an Qualifikationen und Abläufe/Touren anpassen • Einstufungsmanagement
  • PERSONALENTWICKLUNG
    Management der Personalentwicklung • Potenzialerhebung/-erkennung • Entwicklungsplanung  und -organisation • Befähigung

4. Eine starke Basis für das Management-Team

Ein neu gedachtes „Pflegeprozessmanagement 2.0“ auf Basis eines Management-Teams legt schließlich auch die Grundlage für einen qualifikationsadäquaten Einsatz der Mitarbeitenden in der Einrichtung. Denn durch die Fokussierung der Pflegeprozesse und der Personalentwicklung kann das Management-Team Aufgaben kompetenzbasiert zuordnen, klar definierte und zugeordnete Rollen sicherstellen und die Kompetenzen auf der Fachkraftebene erweitern und stärken.

Eine vertikal gedachte Förderung ist nicht der einzige – und nicht immer der beste Weg, um Mitarbeitenden attraktive Entwicklungsmöglichkeiten und Verantwortungsübernahme zu bieten. Vielmehr geht es darum, individuell zu fördern und auch in die horizontale Richtung eine starke Basis zu schaffen.

So können Fachkräfte beispielsweise durch Weiterbildung und Expertise im umfangreichen Themenfeld der Palliativversorgung eigene Verantwortung und koordinierende Aufgaben für diesen Bereich übernehmen. Dafür ist neben dem Fachwissen auch eine hohe kommunikative Kompetenz wichtig, sodass hier eine vielschichtige Entwicklung möglich ist.

  • Die strukturierte und nachhaltige Planung von Arbeitsabläufen – angelehnt an die Tourenplanung in der ambulanten Pflege – trägt entscheidend dazu bei, Mitarbeitende entsprechend ihrer Qualifikationen und Kompetenzen einzusetzen und darüber hinaus Handlungssicherheit zu schaffen. Einen ausführlichen Beitrag dazu lesen Sie in Kürze bei uns – bis dahin finden Sie hier bereits ein Praxisbeispiel aus unserer Beratung.

5. Pflegeorganisation: Wie kann die Umstellung in der Praxis gelingen?

Am Anfang einer solchen Veränderung in der Pflegeorganisation steht immer die IST-Analyse – der kritische und analytische Blick auf das, was gerade ist. Dazu gehört eine Dokumentenanalyse, der Blick auf Strukturen, Prozesse und Ergebnisqualität angelehnt an die Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR) sowie eine eingehende Analyse der internen Kompetenzen, Personalien und Rollen. Teil einer solchen Erhebung sind neben sachlichen Analysen immer auch Interviews, um ein rundes Bild zu erhalten.

Auf der Grundlage einer solchen Vorarbeit, lässt sich ein Modell entwickeln, das zu der jeweils individuellen Einrichtung passt – und auf den Voraussetzungen vor Ort aufbaut. Denn es gilt der Grundsatz: Kein Konzept lässt sich schablonenartig auf jede Pflegeeinrichtung übertragen.

Bedenken Sie auch, dass Änderungen eines gewohnten Systems fast immer zumindest mit Sorgen, oft aber auch mit Unzufriedenheiten bei den Mitarbeitenden einhergehen. Gerade den Menschen, die schon lange in den bisherigen Systemen arbeiten, fällt eine Umstellung oft schwer.

Denkbar sind in dieser Situation Rollenkonflikte oder Verantwortungsängste – auch Widerstand ist möglich. Für den erfolgreichen Veränderungsprozess ist es damit auch entscheidend, alle Mitarbeitenden mitzunehmen und von den Chancen der Veränderung zu überzeugen.

Praxis-Tipps zum Schluss:

  • Schaffen Sie Räume für Kommunikation und Projektarbeit.
  • Ihre Veränderungs-Kommunikation sollte transparent und offen sein.
  • Denken Sie darüber nach, den Prozess durch Coachings zu stützen und zu begleiten.
  • Feiern Sie (auch kleine) Erfolge, um die Motivation aufrechtzuerhalten.

Ein letzter Tipp: Auch beim 19. contec forum (18./19. Januar 2023 in Berlin) wird es Input zum Thema moderne Pflegeorganisation geben. Infos & Anmeldemöglichkeit ? gibt es hier.

Text: Diana Herrmann/Linda Englisch
Titelfoto: fizkes