Prof. Jörg Martens: „Personalentwicklung fängt bei der Personalauswahl an“
Jörg Martens ist Professor für Sozialmanagement und Personalarbeit an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. Beim 16. contec forum hat er zum Thema „Good Job! Personal als strategischer Erfolgsfaktor“ referiert. Im conZepte-Interview erzählt er, wie Unternehmen der Sozialwirtschaft auf die heutigen Herausforderungen des Arbeitsmarkts reagieren sollten. Das vielbeachtete Buzzword New Work ist nur eines der wichtigen Themen.
Herr Prof. Martens, wieso ist es in der heutigen Zeit so wichtig, über neue Konzepte der Arbeit zu sprechen?
Die Welt ändert sich aktuell grundlegend und rasant, das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen des Arbeitens – sowohl in der Privat- als auch in der Sozialwirtschaft. Da sind neue Technologien, Digitalisierung, aber eben auch gesellschaftliche Veränderungen wie der Eintritt der jungen Generationen in und der massenhafte Austritt der älteren aus dem Arbeitsmarkt. Im sozialwirtschaftlichen Bereich sind natürlich die sozialgesetzlichen Veränderungen wie die Einführung des BTHG oder die drei PSG, die generalistische Pflegeausbildung mit ihren Konsequenzen für die Personalgewinnung zu nennen oder ganz aktuell die QPRs, das neue Qualitätsprüfungsverfahren in der Pflege. Als Personaler schaue ich ganz genau auf das Thema Kompetenzen und frage: Welche Kompetenzen erfordert der rasante Wandel der Arbeitswelt von Fach- und Führungskräften, was genau benötigt man in den Betrieben und am Bett? Die richtigen Antworten hierauf lassen sich über Kompetenzmodelle finden, die sowohl die Herausforderungen abbilden, die von außen an uns herangetragen werden, als auch die notwendigen organisationalen Kompetenzen, um flexibel darauf zu reagieren.
Im Hinblick auf die Personalgewinnung und -bindung ist der Begriff New Work in vieler Munde. Können Sie das Konzept kurz erläutern und wie es in Branchen wie der Pflege überhaupt zum Einsatz kommen kann?
New Work ist im Prinzip kein Konzept, sondern steht für eine Haltung oder eine Haltungsänderung von Unternehmen, um den Veränderungen in den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden. Da geht es um ein höheres Maß an Selbstbestimmung und Verantwortung, um flachere Hierarchien, um mehr Gestaltungsspielraum und um eine neue Führungskultur. Konkret auf die Pflege bezogen können neue Arbeitszeitmodelle relevant sein. Beispielsweise die mit dem schlimmen Namen betitelte ,Mutti-Tour‘, die im Kern aber etwas Gutes ist, weil sie beispielsweise die Bedürfnisse alleinerziehender Mütter in der ambulanten Pflege stärker berücksichtigt. Oder Dienstplanmodelle und digital unterstützte Dienstplanung, die den Pflegekräften Sicherheit gewähren und ein „Holen aus dem Frei“ minimieren, denn insbesondere die nachfolgenden Generationen legen zunehmend Wert auf eine gute Work-Life-Balance. Und wer sagt außerdem, dass eine PDL ihrer Dokumentationspflicht nicht auch aus dem Home Office nachgehen kann, solange dies DSGVO-konform abgesichert ist?
Sie forschen und entwickeln u. a. zu Kompetenzmodellen. Heißt das, dass die jüngeren Mitarbeitenden nicht nur andere Kompetenzen brauchen als vielleicht vor zehn, zwanzig Jahren, sondern dass sie sich auch mehr Kompetenzen wünschen? Wie geht man dieses Thema richtig an?
Im Prinzip geht es darum, zu wissen, welche Kompetenzen meine Mitarbeitenden brauchen, um die neuen Anforderungen des Wandels gut zu bewältigen. Meine Antwort: ein klares Kompetenzmodell für das Unternehmen und spezifische Kompetenzprofile für bestimmte Funktionen – insbesondere für Leitungskräfte. Das jedoch ist in der Sozialwirtschaft noch weitgehend Neuland. Ich vermute, dass aufgrund des akuten Fachkräftemangels in der Pflege oft nicht das Hauptaugenmerk auf die Kompetenz von Bewerber*innen gelegt wird, sondern aus der Not heraus quasi jede Person eingestellt wird, die examinierte Fachkraft ist. Der Arbeitsmarkt ist hier sehr angespannt. Und es geht schon lange nicht mehr um eine Auswahl der besten Bewerber*innen. Vor diesem Hintergrund wird heute nicht selten schon bei der Personalauswahl die Frage nach Kompetenzentwicklung und Entwicklungspotenzial gestellt. Kurz gesagt, mit Hilfe von Kompetenzprofilen habe ich als Personaler eine Art Richtschnur, um das vorhandene Potenzial zu erkennen, sodass ich bereits bei der Einstellung grob weiß, wohingehend ich eine neue Person entwickeln muss. Personalentwicklung fängt also bereits bei der Personalauswahl an.
Steckt das hinter dem Schlagwort Personalentwicklung 4.0?
Ja, auch. Dieser Begriff ist aus jüngsten Studien gewachsen und basiert darauf, dass sich bei der Transformation zur Wissensgesellschaft eben bestimmte Kompetenzen verändern und damit Personalstrategien angepasst werden müssen. Da gibt es eine Erhebung vom Bundesarbeitsministerium im Rahmen von Arbeiten 4.0, die aufzeigt, dass Menschen sich eben mehr Eigenverantwortung wünschen, mehr Kreativität und Sinnhaftigkeit und eine andere Art der Führung mit mehr Augenhöhe. Ein schönes Beispiel sind hier die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg mit dem „grazie-Projekt“. Die haben ein Intrapreneuship-Programm auf die Beine gestellt, bei dem Mitarbeitende ihre eigenen Ideen für Dienstleistungen, Angebote o. Ä. einbringen können und somit aktiv an der Ausrichtung und der Gestaltung der Organisation mitwirken können.
Im Rahmen dieser Personalentwicklung schaut man nicht nur auf die Personalgewinnung und welche Kompetenzen man dadurch ins Unternehmen holt, sondern blickt verstärkt auch nach innen: Welche Potenziale schlummern in der Organisation und wie kann ich diese fördern – klassisches Talentmanagement: Aufbau von Führungskräften im eigenen Unternehmen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Martens!
Interview: Marie Kramp© You X Ventures/Unsplash
Silvia Breyer
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