Organisationsanalyse in der Lebenshilfe Braunschweig: Nachfolgeplanung mit Strategie
Eine strategische Nachfolgeplanung auf Geschäftsführungsebene geht im Idealfall auch immer mit einer Organisationsanalyse und möglicherweise -weiterentwicklung einher. Was für den Moment viel Aufwand scheint, kann wegweisend für den Erfolg kommender Jahre sozialer Organisationen sein. Ein Beispiel guter Praxis ist die Lebenshilfe Braunschweig. Wir sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden Marco Spiller.
Mitte des Jahres 2020 fand sich die Lebenshilfe Braunschweig, deren Vorstand und Aufsicht aus rein ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, vor einer Situation, die viele soziale Organisationen derzeit erleben: Der Renteneintritt des Geschäftsführers stand nach 21 Jahren kurz bevor. Um die ,großen Fußstapfen‘ des scheidenden Geschäftsführers angemessen auszufüllen, entschied der Vorstand, conQuaesso® JOBS mit dem Nachbesetzungsprozess zu beauftragen, um eine möglichst hohe Transparenz und Objektivität zu gewährleisten. „Als uns im Sommer 2020 klar wurde, dass unser derzeitiger Geschäftsführer Anfang 2022 in den Ruhestand geht, suchten wir eigentlich nur Unterstützung bei der Ausschreibung. Doch im Austausch mit contec stießen wir unmittelbar auf die Frage: Wen suchen wir denn eigentlich? Schnell war klar: Ein profundes Anforderungsprofil lässt sich nur erstellen, wenn man tiefe Einblicke in die Organisation und vor allem eine klare Strategie für die kommenden Jahre hat“, so Marco Spiller, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Braunschweig. „Nach 21 Jahren exzellenter Führung mussten wir uns die Frage stellen: Soll es genauso weitergehen – also in einer Einzelspitze – oder braucht es vielleicht eine Doppelspitze aus kaufmännischer und pädagogischer Geschäftsführung? Die Anforderungen an Organisationen der Eingliederungshilfe steigen massiv an – nicht zuletzt durch das BTHG, die Chancen durch das KJSG im Bereich der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe oder durch Auswirkungen des Fachkräftemangels. Um herauszufinden, welche Organisation wir in Zukunft sein wollen und welche Führungspersönlichkeit wir dafür benötigen, mussten wir erst einmal herausfinden, was für eine Organisation wir genau sind.“
Organisationsanalyse als Basis des Anforderungsprofils
Die Organisationsanalyse bestand aus einem mehrdimensionalen Prozess. Die contec-Beraterinnen führten Interviews über alle Unternehmensbereiche und Hierarchieebenen hinweg, analysierten Satzungen, Verträge und die Rollenprofile der Leitungskräfte und führten Workshops zum Strategieaudit, dem Zielbild und der Organisationsstruktur durch. Um die größtmögliche Transparenz bei einer solchen Organisationsanalyse zu schaffen, ist es wichtig, alle Ebenen der Organisation einzubinden und klar zu kommunizieren, dass die Analyse nötig ist, um die bestmögliche Entscheidung für die kommende Führungsstruktur der GmbH zu treffen. Marco Spiller betont: „Nach 21 Jahren eine neue Geschäftsführung zu finden, ist immer eine Zäsur, auch für die Kultur im Unternehmen. Objektivität schien uns hierbei das Gebot der Stunde zu sein und das haben wir über die Beauftragung der contec GmbH sichergestellt.“ Am Ende der Organisationsanalyse stand die Empfehlung für eine Organisationsform mit einer starken Einzelspitze mit kaufmännischem Know-how. Die Wahl fiel schlussendlich auf eine Person, die sowohl ein kaufmännisches als auch ein pädagogisches Profil aufweist. Die Überzeugung ist, so der Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe, dass mit dieser Kombination die Ziele der Organisation in den kommenden Jahren erreicht werden können und gleichzeitig ausreichend Kontinuität in der Führung und bei dem Kontakt auf Augenhöhe mit Selbstvertreter*innen und Eltern gesichert ist.
Strategie: Innovationstreiber bleiben, Kinder- und Jugendbereich ausbauen
Von Anfang an stand für Marco Spiller fest: „Wir wollten weg von jeder Form des Bauchgefühls und weg von etwaigen Befindlichkeiten. Wir wollten die am besten geeignete Person für diesen Posten finden. In der langen Phase der Nachfolgeplanung gab mir dieses Credo stets eine eigene Erdung.“ Die Strategie, die diese Person umsetzen soll, ist gleichermaßen geprägt von Stabilität und Wandel. Was widersprüchlich klingt, liegt darin begründet, dass die Lebenshilfe Braunschweig bereits ein renommierter Träger in Niedersachsen ist, ein innovatives und seit langem personenzentriertes Angebot in den Bereichen Arbeit und Wohnen vorhält. Diesen Status will der Träger pflegen und auch künftig Innovationsführer sein. „Bei uns steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Bevor wir eine Hilfe vorschlagen, schauen wir genau hin, welche Wünsche und Bedürfnisse der Mensch hat und suchen die beste Passung in unseren Angeboten.“ Gleichzeitig aber steckt viel Potenzial in einem möglichen Ausbau des Kinder- und Jugendbereichs, was Marco Spiller auch ein persönliches Anliegen ist. „Ich sehe zwei Gründe dafür, den Kinder- und Jugendbereich auszubauen. Erstens den Hilfegedanken: Die Lebenshilfe ist schließlich eine Selbsthilfeorganisation und Eltern und ihre Kinder mit Beeinträchtigung benötigen die meiste Hilfe direkt nach der Geburt, im Vorschul- und Schulalter. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wertvoll es ist, direkt einen kompetenten Ansprechpartner für Frühförderung, Kita und Schulbegleitung zu haben. Der zweite Grund ist die Möglichkeit, uns auch als Dienstleister attraktiver zu positionieren. Eltern und deren Kinder, die wir von Anfang an professionell begleiten, werden uns auch in aller Regel langfristig, bis ins Erwachsenenalter, treu bleiben, möglicherweise ihr Leben lang unsere Mitglieder sein“, so Marco Spiller. „Die Attraktivität steigt nicht zuletzt mit einer großen Angebotsvielfalt und ihrer Präsenz in der Stadt.“
Appell aus der (Beratungs-)Praxis: Organisationsanalyse als Basis der strategischen Nachfolgeplanung
Das Beispiel der Lebenshilfe Braunschweig zeigt, wie strategische Nachfolgeplanung gelingen kann. Der Kunde hat frühzeitig alle Maßnahmen ergriffen, als klar war, dass der Renteneintritt des Geschäftsführers bevorsteht, und hat sich offen und engagiert mit notwendigen Veränderungen auseinandergesetzt. Zäsuren an der Spitze eines Unternehmens wie in diesem Fall sind ein guter Zeitpunkt, um sich mit der Strategie der eigenen Organisation auseinanderzusetzen. Nachfolgeprozesse scheitern oft daran, dass zwar eine geeignete Person für die Nachfolge gefunden werden kann, danach jedoch die Vorstellungen über die Weiterführung auseinandergehen. „Als wir gemeinsam mit conQuaesso® JOBS das Anforderungsprofil entwickelt haben, wurde uns im Vorstand die einfache und doch so wichtige Frage gestellt: ,Was müsste der neue Geschäftsführer tun, damit Sie ihn sofort wieder entlassen?‘ Für uns wäre ein solches No-Go, wenn die neue Führungskraft von heute auf morgen im Alleingang alles umkrempeln würde“, so Marco Spiller. Das Entscheidende war, sich im Vorfeld mit derartigen Fragen auseinanderzusetzen und die Organisationsanalyse voranzustellen. „Was unser scheidender Geschäftsführer in seinen 21 Jahren aufgebaut hat, ist herausragend und wert, gewürdigt zu werden. Eine strategische Weiterentwicklung darf nicht zu Lasten dessen gehen, für was wir seit langer Zeit stehen.“
Deshalb ist es wichtig, dass soziale Organisationen im Blick haben, wann welche Schlüsselpositionen im Unternehmen freiwerden, welche Rolle ihnen im Strategieprozess zukommt und dann zeitnah die Maßnahmen ergreifen, um den Wechsel reibungslos über die Bühne zu bringen.
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Aufsicht als zentraler Erfolgsfaktor
Und noch eins hat der Kunde aus dem umfangreichen Strategieprozess mitgenommen: „Es ist unglaublich wichtig, dass die Rollen, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen klar definiert sind. Als rein ehrenamtliches Gremium haben wir viel Verantwortung und brauchen eine hohe Fachlichkeit, gleichzeitig sind wir nicht zuständig für das operative Geschäft.“ Diese Rollen und Verantwortlichkeiten hat der Träger in einem anschließenden Strategieprozess mithilfe der contec systematisch aufgegriffen. „In einer Vorstandsklausur haben wir uns angeschaut, welche Aufgaben genau beim Vorstand verortet sind und welche eben nicht. Wir alle bringen unterschiedliche Kompetenzen in unser Ehrenamt mit ein und viel Engagement. Da ist es wichtig, mit sachlichem Blick hinzuschauen, um Diffusionen Abhilfe zu schaffen“, so Spiller. In einem ersten Schritt wurden die Erwartungen jedes und jeder Einzelnen an das Gremium, an die Zusammenarbeit untereinander und mit der Geschäftsführung sowie die eigene Motivation einmal erfasst und – auch unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben für Aufsichtsgremien – abgeglichen. Auf dieser Grundlage wurden in einem zweiten Schritt eine gemeinsame Vision und ein klares Rollenverständnis von Vorstand und Geschäftsführung entwickelt. Am Ende stand ein gemeinschaftlich aufgestellter Projektplan inklusive Zieldefinition, den die Lebenshilfe 2022 umsetzen wird. Spiller: „Die Vorstandsklausur hat den gesamten Strategieprozess abgerundet. Wir starten nun nicht nur mit einer neuen Strategie und einem neuen Geschäftsführer, sondern auch einem klaren Verständnis von Aufsicht in das neue Jahr.“
Text: Marie Kramp
© Rymden
Judith Hoffmann
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