Nachwuchs stärken, Pflege sichern: Strategien gegen Ausbildungsabbrüche

Montag, 02 September 2024 10:40

Die hohe Abbruchquote in der Pflegeausbildung ist ein ernstes Problem, das sowohl die betroffenen Auszubildenden als auch die Pflegeeinrichtungen stark belastet. Studien zeigen, dass etwa 25 bis 30 % der Auszubildenden in der Pflege ihre Ausbildung vorzeitig beenden (Mohr et al., 2022, S. 215). Im Vergleich zu anderen Berufsfeldern, in denen die Abbruchquote bei etwa 10 bis 15 % liegt, ist dieser Wert in der Pflege deutlich höher. Diese Tatsache unterstreicht die Dringlichkeit, die Ursachen für die hohe Abbruchquote in der Pflege gezielt anzugehen (Reiber & Friese, 2023, S. 60).

Um die Qualität der Pflege langfristig zu sichern und dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen, müssen wir die Ursachen für Ausbildungsabbrüche verstehen und gezielt reduzieren.

Belastungen in der Pflege: Warum Auszubildende frühzeitig aussteigen

Die Gründe für Ausbildungsabbrüche in der Pflege sind vielfältig und oft das Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Die Arbeit in der Pflege ist sowohl körperlich als auch emotional extrem herausfordernd. Viele Auszubildende sind von der Intensität der täglichen Anforderungen regelrecht überwältigt. Die ständige Konfrontation mit belastenden Situationen, wie dem Umgang mit Tod und Leid, führt häufig zu erheblichen psychischen Belastungen.

Hinzu kommen ungünstige Arbeitsbedingungen: Lange Arbeitszeiten, Schichtarbeit und unregelmäßige Dienstpläne erschweren den Alltag erheblich. Diese Faktoren führen oft zu Erschöpfung und einem Gefühl der Resignation. Eine bundesweite Befragung von Pflegeleitungen ergab, dass 60 % der Befragten die hohe Arbeitsbelastung als einen der Hauptgründe für die Unzufriedenheit unter den Auszubildenden nannten (Blum et al., 2019, S. 4). Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Mangel an Wertschätzung, sowohl finanziell als auch im zwischenmenschlichen Umgang. Diese fehlende Anerkennung verstärkt die Frustration und trägt dazu bei, dass Auszubildende ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen.

Ein besonders kritischer Punkt ist der sogenannte Praxisschock. Dieser beschreibt den Moment, in dem Auszubildende erstmals mit den harten Realitäten ihres Berufsfeldes konfrontiert werden und erkennen, dass die tatsächlichen Arbeitsbedingungen oft erheblich von den theoretischen Inhalten ihrer Ausbildung abweichen. Wenn dann noch die Unterstützung durch Ausbilder*innen und Mentor*innen fehlt, wird dieser Praxisschock verstärkt. Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis kann tiefgehende Frustration und Verunsicherung auslösen. In einer Studie zur beruflichen Identität gaben über 40 % der Auszubildenden an, dass der Praxisschock ihre Zufriedenheit mit der Ausbildung stark beeinträchtigt hat (Struck et al., 2023, S. 159).

Vielschichtige Ursachen: Wenn verschiedene Faktoren zusammenkommen

Nicht nur berufliche und ausbildungsbezogene Herausforderungen, sondern auch persönliche Umstände spielen eine entscheidende Rolle bei Ausbildungsabbrüchen in der Pflege. Gesundheitliche Probleme, familiäre Verpflichtungen oder finanzielle Engpässe können dazu führen, dass Auszubildende den Weg abbrechen. Zudem merken manche im Laufe der Ausbildung, dass der Pflegeberuf nicht zu ihren Vorstellungen oder Fähigkeiten passt. Diese Vielzahl an Gründen zeigt, dass Ausbildungsabbrüche häufig das Ergebnis einer komplexen Kombination von beruflichen und persönlichen Faktoren sind.

Ausbildungsabbrüchen vorbeugen: Was ist zu tun?

Da es keine einzelne Ursache für Ausbildungsabbrüche gibt, existiert auch keine einfache Lösung. Um die Abbruchquote effektiv zu senken, braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die strukturellen Rahmenbedingungen als auch die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden berücksichtigt.

Strukturelle und betriebliche Maßnahmen: Was wirklich hilft

Um die Abbruchquote in der Pflegeausbildung nachhaltig zu senken, muss bereits vor Beginn der Ausbildung angesetzt werden. Eine gezielte Berufswahlorientierung ist essenziell, um realistische Erwartungen an den Pflegeberuf zu schaffen. Praktika, Schnuppertage oder Informationsveranstaltungen in Schulen sind effektive Wege, um Missverständnisse zu vermeiden und die Entscheidung für eine Pflegekarriere zu festigen.

Die physische und emotionale Belastung kann durch eine ausgewogene Arbeitslastverteilung und gezielte Gesundheitsförderungsprogramme deutlich reduziert werden. Hier könnten Programme zur Förderung von Resilienz und Achtsamkeit besonders hilfreich sein, um den Auszubildenden den Umgang mit stressigen Situationen zu erleichtern.

Auch die betriebliche Unterstützung ist ein Schlüsselfaktor. Eine intensive und kontinuierliche Betreuung durch qualifizierte Ausbilder*innen und Mentor*innen ist entscheidend für den Erfolg der Auszubildenden. Patenschaftsprogramme, in denen erfahrene Pflegekräfte als Mentor*innen fungieren, stärken die soziale Integration und das Zugehörigkeitsgefühl. Eine Studie zur Ausbildungsqualität in Bremen zeigt, dass regelmäßige Feedbackgespräche und eine starke Bindung zu Mentor*innen die Wahrscheinlichkeit eines Ausbildungsabbruchs signifikant senken.

Eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis ist ebenfalls unerlässlich. Frust entsteht oft durch eine mangelnde Umsetzung des theoretisch Gelernten in die Praxis. Ausbildungsprogramme sollten daher den theoretischen Unterricht und die praktische Ausbildung besser verzahnen. Praxisphasen könnten den theoretischen Unterricht unterbrechen, oder praxisnahe Fallstudien und Simulationen könnten integriert werden, um das Gelernte greifbarer zu machen.

Nicht zuletzt ist die Arbeitskultur von großer Bedeutung. Pflegeeinrichtungen sollten eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts fördern, in der die Beiträge der Auszubildenden anerkannt werden. Regelmäßige Teambuilding-Maßnahmen und gemeinsame Aktivitäten können den Zusammenhalt im Team stärken und das Wohlbefinden der Auszubildenden erheblich verbessern.

Gesundheit: Schlüssel zum Ausbildungserfolg

Die psychische Gesundheit der Auszubildenden ist entscheidend für ihren Ausbildungserfolg. Schulungen zu Resilienz und Achtsamkeit sowie der Zugang zu professioneller psychologischer Beratung können ihre psychische Stabilität erheblich stärken. Ein offenes und unterstützendes Arbeitsklima, in dem über psychische Belastungen gesprochen werden kann, ist dabei unerlässlich.

Flexible Ausbildungsmodelle, wie die Teilzeitausbildung, tragen ebenfalls zur Entlastung bei, indem sie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ermöglichen. Regelmäßige Reflexionsgespräche sollten fester Bestandteil des Ausbildungsprogramms sein, damit Auszubildende ihre Erfahrungen und Herausforderungen in einem geschützten Rahmen offen besprechen können.

Finanzielle Unterstützung ist ein weiterer entscheidender Faktor. Stipendien, Ausbildungsbeihilfen oder zinsgünstige Darlehen können finanzielle Hürden abbauen und so die Belastung verringern. Finanzielle Anreize wie Erfolgsprämien können junge Menschen zusätzlich motivieren, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Studien zeigen, dass finanzielle Unsicherheiten ein wesentlicher Grund für Ausbildungsabbrüche sind – gezielte finanzielle Unterstützung könnte hier also signifikant dazu beitragen, die Abbruchquote zu senken und mehr Auszubildende erfolgreich zum Abschluss zu führen.

Fazit: Gemeinsam die Pflegeausbildung nachhaltig stärken

Die Reduzierung der Abbruchquote in der Pflegeausbildung ist eine vielschichtige Aufgabe, die einen ganzheitlichen Ansatz erfordert. Um den spezifischen Bedürfnissen der Auszubildenden gerecht zu werden, müssen sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Ausbildungsstrukturen gezielt verbessert werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen können nicht nur die Abbruchquote senken, sondern auch die Qualität der Pflege insgesamt steigern.

Entscheidend ist, dass alle Beteiligten – von Ausbilder*innen über Pflegeeinrichtungen bis hin zu politischen Entscheidungsträger*innen – zusammenarbeiten, um diese Herausforderung zu meistern. Nur durch ein koordiniertes und gemeinsames Vorgehen können wir die Pflegeausbildung nachhaltig verbessern und die Zahl der Ausbildungsabbrüche deutlich verringern.

 

Literatur zum Nachlesen:

Becker-Pülm, L., Bleses, P., Busse, B., Mahnken, F., & Zenz, C. (2023). Gute Ausbildungsqualität? Eine arbeitswissenschaftliche Evaluation der generalistischen Pflegeausbildung im Land Bremen. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 195–212). Bielefeld: wbv Media.

Blum, K., Löffert, S., Offermanns, M., & Steffen, P. (2019). Krankenhaus Barometer. Umfrage 2019. Ausgewählte Vorabergebnisse zu den „Pflegepersonaluntergrenzen“. Deutsches Krankenhausinstitut (DKI). Verfügbar unter: https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/2_Themen/2.5._Personal_und_Weiterbildung/2.5.2._Personaluntergrenzen/2019-09-06_PM-Anlage_DKG_zum_DKI-KH-Barometer.pdf (Zugriff am: 29.08.2024).

Braun, J., & Reiber, K. (2023). Das Pflegebildungssystem zwischen intendierter Einheitlichkeit und tatsächlicher Diversität am Beispiel der Pflegeassistenzausbildungen. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 139–156). Bielefeld: wbv Media.

Ebbinghaus, M., & Dionisius, R. (2023). Pflege, das ist doch … – Was Schülerinnen und Schüler mit Pflegeberufen verbinden. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 79–98). Bielefeld: wbv Media.

Fuchs, P., Mielenz, M. O., Seidel, K., & Wellmer, S. (2023). Erwartungen an die Pflegeausbildung – Praxisschock als Grund für Ausbildungsabbrüche? In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 245–264). Bielefeld: wbv Media.

Isfort, M., Rottländer, R., Weidner, F., Gehlen, D., Hylla, J., & Tucman, D. (2018). Pflege-Thermometer 2018. Eine bundesweite Befragung von Leitungskräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung in der stationären Langzeitpflege in Deutschland. Köln: Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e. V.

Mohr, J., & Reiber, K. (2023). Pflegeberufliche Bildung im Kontext von Fachkräftesicherung und Versorgungsqualität – eine Einordnung. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 25–37). Bielefeld: wbv Media.

Pfeifer, L., Fries, S., Freese, C., Nauerth, A., & Raschper, P. (2023). Virtual Reality didaktisch fundiert in der Pflegeausbildung einsetzen – Erfahrungen aus dem Projekt ViRDiPA. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 391–408). Bielefeld: wbv Media.

Reiber, K., & Friese, M. (2023). Pflegeberufliche Bildung und Fachkräftesicherung im Kontext von Versorgungsqualität. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 60–76). Bielefeld: wbv Media.

Sachse, L., & Grunau, J. (2023). In Teilzeit zur Pflegefachperson? Zur Flexibilisierung und Individualisierung der Pflegeausbildung. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 227–242). Bielefeld: wbv Media.

Struck, P., Konrad, L., & Holbach, J. (2023). Unterschiede in der Entstehung und Entwicklung der beruflichen Identität bei Auszubildenden in der Pflege. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 159–176). Bielefeld: wbv Media.

Walter, A., & Herzberg, H. (2023). Pflegefachassistenz – von der Berufsfeldanalyse zu Rahmenplänen. In M. Peters, K. Reiber, J. Mohr, & M. Evans-Borchers (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Versorgungsqualität und Karrieren in der Pflege: Forschung zur beruflichen Bildung im Lebenslauf (S. 117–138). Bielefeld: wbv Media.

Text: Katharina Ommerborn/Anna Sophie Pöschel
©Drazen/Adobe Stock

Anna Sophie Pöschel

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