Pflege 2025: Es gibt viel zu tun! – Eine Nachschau zum 18. contec forum
Beim 18. contec forum Pflege und Vernetzung am 12. Januar 2022 stand die Pflegepolitik der neuen Ampel-Regierung für die kommenden vier Jahre im Fokus. Reicht der Koalitionsvertrag aus, um endlich den langersehnten Paradigmenwechsel in der Pflegelandschaft zu vollziehen? Es diskutierten die drei pflege- und gesundheitspolitischen Sprecherinnen von SPD, Grüne und FDP mit Verbandsvertreter*innen und den Teilnehmenden aus der Pflegebranche über Ziele, Maßnahmen und den immer noch lang ersehnten großen Wurf.
Es war gerade 15 Minuten her, dass Claudia Moll zur neuen Pflegebevollmächtigten berufen worden war, als Detlef Friedrich, Geschäftsführer der contec, das 18. contec forum in Berlin eröffnete. Die Veranstaltung fand erneut als hybrides Format statt und wurde aus einem Studio in Berlin live gestreamt. Friedrich machte direkt zu Beginn klar: Was die Pflege brauche, um aus dem Teufelskreis von steigenden Bedarfen und zu wenigen professionell Pflegenden rauszukommen, seien eine grundlegend neue Struktur und Pflegeorganisation und eine Kultur, in der man die unterschiedlichen Sektoren und pflegenden Menschen nicht als Gegenparts, sondern als Einheit begreife, eine Kultur, die nicht auf dem Verdacht beruhe, die eine Seite wolle nur sparen und die andere nur Rendite erwirtschaften. Doch wird der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung diesem Dilemma und den drängendsten Herausforderungen des Fachkräftemangels, der wirtschaftlichen Absicherung von Pflegebetreibern und der regionalen Lösungen für eine gute Pflege gerecht?
Roadmap der Ampel: Viel zu tun im Hause Lauterbach
Eine klare Antwort auf diese Frage gab Dr. Martin Schölkopf, Leiter der Unterabteilung Pflegesicherung im Bundesministerium für Gesundheit, beim 18. contec forum nicht, aber er erläuterte die Pläne der neuen Bundesregierung und die hat erfreulicherweise viel vor. Darunter sind sowohl Vorhaben aus der letzten Legislatur und der vor ca. drei Jahren ins Leben gerufenen Konzertierten Aktion Pflege (KAP), die nun umgesetzt werden sollen, sowie einige Neuerungen. Der Koalitionsvertrag sieht demnach Weiterentwicklungen in den fünf Kernbereichen Leistungsrecht, strukturelle Maßnahmen, Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs und Gewinnung von Pflegepersonal, Finanzierung und Schnittstellen zu anderen Sozialgesetzbüchern vor. Für die Umsetzung aller wichtigen Vorhaben sei eine solide Finanzierung maßgeblich. Spielräume sollen u. a. über die Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege durch die Krankenversicherung und eine moderate Beitragssatzanpassung der Pflegeversicherung geschaffen werden.
Es braucht mutige Entscheidungen, mehr Mitbestimmung und pragmatische Maßnahmen
Die Diskussion mit Heike Baehrens (SPD), Kordula Schulz-Asche (Grüne), Nicole Westig (FDP) und der Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, hat gezeigt, dass die Pflege sich bei bestimmten zentralen Fragestellungen im Kreis bewegt, solange die grundlegenden Strukturen sich nicht ändern: Pflege hat zu wenig Mitspracherecht in wesentlichen Gremien, die wirtschaftliche Absicherung von Betreibern – z. B. über eine politische Rahmengebung zum unternehmerischen Wagnis – wird auf den individuellen Verhandlungstisch geschoben und das grundsätzliche Gefühl scheint zu sein: Kleine Stellschrauben zu drehen reicht nicht, aber an der großen Ausrichtung wird auch nicht gerüttelt. Gegen dieses Gefühl der Lähmung müsse die Politik mutige Entscheidungen treffen, forderte Vogler, auch mit Blick auf eine Selbstverwaltung der Pflege, damit Entscheidungen nicht länger ohne deren Beteiligung gefällt würden.
Es wurden aber auch große Teile des Koalitionsvertrags begrüßt, sowohl von Verbandsvertreter*innen als auch von den Teilnehmenden des 18. contec forums im Chat. Insbesondere die Entlastung der Pflegeversicherung mittels Übernahme der medizinischen Behandlungspflege durch die Krankenkassen erfuhr viel Beifall. Auch die Absicht, die Gewinnung von internationalen Pflegekräften zu beschleunigen und zu vereinfachen traf auf große Zustimmung bei allen Beteiligten – doch überwog die Skepsis, ob die Maßnahmen der Bundesregierung auch mit dem nötigen Bürokratieabbau einhergingen.
Aufwertung des Pflegeberufs: Interdisziplinäre Zusammenarbeit und mehr Eigenverantwortung
Ein erster Schritt in Richtung Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs, den auch der Deutsche Pflegerat fordert, ist die Stärkung der Eigenverantwortung von Pflegefachkräften und die Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf die Pflege. Das gilt auch mit Blick auf die internationale Fachkräftegewinnung, da in vielen Ländern bereits eine akademisierte Pflege Standard ist. Eine interdisziplinäre Vernetzung aller Gesundheitsberufe sowie die stärkere Regionalisierung von Pflegeangeboten lassen sich im Koalitionsvertrag finden. So ist das neue Berufsbild der „Community Health Nurse“ ein spannender Ansatz. Die Umsetzung allerdings ist auch hier noch im Ungewissen; viele Teilnehmende glaubten noch nicht, dass dieses Konzept sich in die Praxis integrieren lasse. Nichtsdestotrotz sind diese zwei Aspekte – Stärkung der Verantwortung und Regionalisierung – wichtige Ansatzpunkte im Koalitionsvertrag, um nachhaltige Veränderungen anzugehen. Sie vereinen in sich die Harmonisierung der verschiedenen Qualifikationen der Pflege (z. B. mit Blick auf die Akademisierung), die Bildung von Netzwerken und die Stärkung innovativer Lösungen vor Ort.
Regionale Lösungen stärken, leistungsrechtliche Spielräume eröffnen
„Vor Ort“ ist eines der Stichworte, die beim 18. contec forum besonders mit Leben gefüllt wurden. Insbesondere die drei Vertreter*innen der Leistungsträgerseite – Dr. Sabine Richard von der AOK, Milorad Pajovic von der DAK und Friederike Scholz vom Deutschen Städtetag machten in ihren jeweiligen Impulsen deutlich, dass die Akteure vor Ort regionale, leistungsrechtliche Gestaltungsspielräume bräuchten, um auf die Besonderheiten der Pflegebedürftigen einer Region reagieren zu können. Dem pflichteten auch die drei Politikerinnen bei und verwiesen zum einen auf das Konzept der Community Health Nurse sowie auf den Leitsatz aus der Präambel, die Sektorengrenzen sukzessive abzubauen. Pflege bräuchte regionale Gesundheitskonferenzen und nicht nur eine Vertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss. Nicole Westig machte außerdem deutlich, dass das vorherrschende Silodenken – jeder Bereich denke nur für sich – nicht zukunftsweisend sei und dass die Regierung eine stärkere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen fördern möchte. Ziel einer solchen besseren Kooperation sei die Entstehung von Quartieren, die Entwicklung innovativer Wohnformen, die Stärkung des Ehrenamts und der Nachbarschaftspflege.
☛ Lesetipp: Beispiele guter Praxis zum Thema Regionalität in der Pflege haben wir in dem Artikel „Die Zukunft der Pflege regional denken“ für Sie zusammengestellt.
Gute Ansätze, doch der Paradigmenwechsel bleibt aus
Trotz Einigkeit darüber, dass der Koalitionsvertrag einige gute und wegweisende Veränderungen für die Pflege beinhaltet, bleiben Kernfragen weiterhin offen und es wird der Lauf der Legislatur zeigen, ob auch darauf Antworten gefunden werden. Dass ein echter Paradigmenwechsel weiter auf sich warten lässt, daraus machten auch die Pflegepolitikerinnen keinen Hehl. Es wird jetzt zu beobachten sein, wie die neue Bundesregierung die Gewinnung internationaler Fachkräfte vorantreibt, wie eine stärkere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen aussehen kann, um die regionale Pflege und innovative Konzepte nicht nur modell-, sondern regelhaft zu fördern und welche Antworten es auf die leidigen Fragen der Finanzierung und wirtschaftlichen Absicherung von Pflegebetreibern geben wird.
contec wird die pflegepolitischen Entwicklungen für Sie im Blick behalten, weiterhin über Beispiele guter Praxis berichten und mit namhaften Expert*innen für Sie sprechen.
Text: Marie KrampFoto: Philip Schunke
Detlef Friedrich
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