Mobiles Arbeiten im Verband – ein Miteinander auf Distanz
Die Themen Digitalisierung und Homeoffice haben 2020 im Zuge der Corona-Pandemie – zwangsläufig – einen enormen Aufschwung erfahren. Arbeiten vom Wohnzimmertisch? Das stellte für viele Organisationen und Verbände der Sozialwirtschaft eine große Herausforderung dar. Für manche zeigte sich hinter dieser „Zwangsmaßnahme“ aber auch ein großes Potenzial. Der PARITÄTISCHE LV Rheinland-Pfalz/ Saarland e. V. erkannte die positiven Möglichkeiten, die in dieser neuen Arbeitsform liegen. Mit Unterstützung der contec hat sich der Verband auf den Weg gemacht, das mobile Arbeiten fest zu etablieren.
Corona war ein „Druckfaktor“
„Das Thema mobiles Arbeiten war auch vor Corona schon da, aber immer eher auf Sparflamme“, so Michael Hamm, Landesgeschäftsführer des PARITÄTISCHEN LV Rheinland-Pfalz/ Saarland. Konkrete Überlegungen zur Umsetzung habe es in seinem Verband nicht gegeben. Die Corona-Pandemie, die viele Arbeitsbereiche und -weisen in Unternehmen auf den Kopf stellte, war auch für den Landesverband ein „Druckfaktor“, der das Arbeiten von zuhause aus plötzlich erforderlich machte. „Wir haben in dieser Zeit sehr gute Erfahrungen damit gemacht“, hält Hamm fest.
Die Entscheidung, das mobile Arbeiten über die Corona-Maßnahmen hinaus zu implementieren, entstand aber auch aus strategischen Überlegungen. Der Verband steht genau wie viele andere sozialwirtschaftliche Organisationen vor einem Generationswechsel – auch in der Mitarbeiterschaft – und damit dem Fachkräftemangel gegenüber. „Eine agile Arbeitsweise in Form des mobilen Arbeitens kann die eigene Arbeitgeberattraktivität steigern und Wettbewerbsvorteil sein. Hinzu kommt: Wenn man nur zwei- oder dreimal in der Woche ins Büro fährt, kann man insgesamt eine weitere Strecke auf sich nehmen. Dadurch erweitert sich der Suchradius und damit die Anzahl potenzieller Bewerber*innen“, erläutert der Landesgeschäftsführer. Dieses Bündel an Gründen war für den Landesverband Auslöser, das Thema mobiles Arbeiten proaktiv anzugehen und Silvia Breyer, Managementberaterin der contec, damit zu beauftragen, den Prozess zu begleiten.
Aus Erfahrungen lernen
Um das mobile Arbeiten erfolgreich in den Verband einzubringen, leitete Silvia Breyer zwei Workshops mit der Führungsebene. Der erste Workshop gestaltete sich dabei in Form einer Videokonferenz. „Zunächst ging es darum, alle Erfahrungen, die mit dieser Arbeitsform während Corona gemacht wurden, sowie Bedenken, die damit einhergehen, auf den Tisch zu legen“, erläutert Breyer. „So positiv erste Erfahrungen manchmal auch sind, es gibt immer unterschwellige Sorgen und dafür auch profunde Gründe.“ Diese gelte es in einem ersten Schritt offenzulegen. Im Workshop nutzte die Beraterin dazu explorierende Fragen mit persönlichem Bezug, um erste Anhaltspunkte festzuhalten:
- Mit Blick auf die zurückliegenden Monate, welche Entdeckungen habe ich gemacht und was ging mir auf die Nerven?
- Was hat gut funktioniert, was nicht?
„Die Einstellungen in Bezug auf mobiles Arbeiten waren durchaus heterogen. Wollten manche direkt loslegen, waren andere eher skeptisch“, so Hamm. Insbesondere der Gedanke, nicht zu wissen, was die Kolleg*innen tun, sowie keinen direkten Ansprechpartner oder keine direkte Ansprechpartnerin zu haben, habe manche Teilnehmenden verunsichert. „Durch das Zusammentragen all unserer Gedanken und Sorgen hatten wir eine gemeinsame Sichtweise auf das Thema, aus der wir einen Rahmen entwickeln konnten.“
Flexibilität braucht feste Regeln
Nach diesen Erkenntnissen aus dem ersten Workshop war für den Landesverband der Boden bereitet, das mobile Arbeiten als eine zukunftsfähige Arbeitsform anzuerkennen. Daran schloss sich der zweite Workshop an. „Wenn man mobiles Arbeiten auf Dauer implementieren möchte, sollte man beachten: Gerade Flexibilität braucht vereinbarte Regeln und ein klares Führungs- und Mitarbeiterverhalten. Flexibilität heißt nicht, ich bin dann mal weg“, so Breyer. „Das Herausarbeiten der konkreten Sorgen machte deutlich, was für ein erfolgreiches Arbeiten im ,Homeoffice‘ im Verband fehlte: die sozialen und arbeitsorganisatorischen Spielregeln.“ Das betrifft insbesondere das Unternehmen als soziales Gebilde, denn bleibt hier der persönliche Kontakt plötzlich aus, kann es schnell in sich zusammenbrechen. „Soziales Miteinander ist kein Zufallsprodukt. Es muss im mobilen Arbeiten aktiv gepflegt und viel deutlicher praktiziert werden, um die kulturelle Identität der Organisation aufrechtzuerhalten“, hält die Unternehmensberaterin fest.
Um die Spielregeln für erfolgreiches Arbeiten von zuhause aus für den Verband herauszustellen, stand im nächsten Schritt die grundsätzliche Frage danach, was mobiles Arbeiten überhaupt bedeutet – und zwar nicht aus einer technischen, sondern aus arbeitsorganisatorischer Sicht. „Wir kamen schnell zu dem Punkt, zu sagen, Homeoffice bedeutet, ich arbeite mobil am Schreibtisch wie im Büro. Und das bedeutet auch, dass für diese Arbeitsform die gleichen Regeln gelten wie im Büro“, so Breyer. Im Workshop haben sie und die Führungsebene daher den Blick auf die Frage geworfen: ,Was muss für eine neue erweiterte Arbeitsform geregelt sein?‘ Die Etablierung des mobilen Arbeitens bedeutet nicht, eine gelebte Arbeitsform komplett umzukrempeln, sondern wesentliche Komponenten zu ergänzen. „Dinge, die im Büro selbstverständlich sind, wie die Transparenz über Termine und Erreichbarkeiten, eine geregelte Arbeitsverteilung oder eine Kinderbetreuung, müssen auch zu Hause selbstverständlich sein. Rituale wie Geburtstage, Jubiläen oder gemeinsame Kaffeepausen können auch vom heimischen Schreibtisch aus zelebriert werden. Gleichzeitig sollte aber auch gelten, dass verabredete Präsenzrunden vor Ort durch alle wahrgenommen werden. Mithilfe solcher Regelungen kann man sich operativ gut organisieren und Mitarbeitende sowie Führungskräfte wissen, woran sie sind, sodass eine wechselseitige Vertrauensbasis gestärkt wird“, so die Beraterin.
Alles kann, nichts muss
„Mobiles Arbeiten ist eine Möglichkeit in wechselseitiger Freiwilligkeit. Man kann ins Homeoffice gehen, muss aber nicht“, hält Breyer fest. „Uns war von Beginn an klar, allen Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, mobil zu arbeiten. Komplett ins mobile Arbeiten zu wechseln, wäre uns aber zu viel gewesen. Wir wollten die Organisation nicht überfordern“, ergänzt Hamm. Die Teilnehmenden kamen zu der Übereinkunft, die Mehrheit der Tage im Büro zu verbringen. „Für uns wurde es durch diese Regelung greifbar, auch für diejenigen, die im ersten Moment skeptisch waren. Damit hatten wir einen Rahmen, der klar und verbindlich ist, dabei aber keinen Druck ausübt“, so der Landesgeschäftsführer. „Darüber hinaus ist diese Regelung nicht in Stein gemeißelt. Wir brauchen erst einmal etwas, das wir auf längere Sicht ausprobieren können – um dann in ein oder zwei Jahren darüber zu diskutieren.“ Der Verband möchte sich bewusst die Freiheit nehmen, die Entscheidung in der Zukunft zu überdenken. Mit diesem agilen, für einen Sozialverband aber arbeitsorganisatorisch eher fremden Ansatz, möchten sie der modernen Arbeitsform ,mobiles Arbeiten‘ gerecht werden.
Auch das Festhalten der im Workshop definierten Regelungen geht der Verband agiler an. „Unsere Ergebnisse haben wir in einer Betriebsvereinbarung festgehalten, die wir nun mit unserem Betriebsrat abstimmen. Für uns ist es aber genauso wichtig, eine Art ,Knigge fürs Homeoffice‘ zu etablieren. Kurz, knapp und grafisch aufbereitet möchten wir darin die Spielregeln für alle festhalten“, so Hamm. Für mehr Transparenz innerhalb der Organisation sollen sowohl die Regeln für die Führungsebene als auch die der Mitarbeiterschaft aufgeführt sein. „Um die soziale Nähe zu ermöglichen und die Arbeitsabläufe zu erleichtern, werden wir außerdem ein Kollaborationstool einführen. Damit können wir dann zukünftig virtuell abbilden, was wir aus dem Büro gewöhnt sind und die Distanz – zumindest weitestgehend – überwinden.“
© Karolina Grabowska/PexelsText: Lisa Ringele
Silvia Breyer
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