Internationale Fachkräfte: Praxis-Erfahrungen aus der Pflege

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Mittwoch, 27 Oktober 2021 18:34

Qualifizierte internationale Fachkräfte für die Pflege in Deutschland zu gewinnen, ist eine Chance im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Der Ansatz ist aber kein Selbstläufer: Projekte müssen gut geplant und intensiv begleitet werden. Für die gut ausgebildeten Fachkräfte sollte es auch Entwicklungsmöglichkeiten geben. In diesem Beitrag rücken wir die Erfahrung aus erster Hand von Thi Tinh Nguyen aus Vietnam in den Fokus.

Die heute 30-jährige Vietnamesin Thi Tinh Nguyen kam 2013 mit einer Gruppe von 100 Teilnehmenden im Rahmen des BMWi-Pilotprojekts „Ausbildung von Arbeitskräften aus Vietnam zu Pflegefachkräften“ nach Deutschland. Innerhalb der Projektlaufzeit durchlief sie mit den anderen Teilnehmenden eine auf zwei Jahre verkürzte Altenpflegeausbildung und lernte gleichzeitig Land und Leute kennen. Thi Tinh Nguyen machte ihre Ausbildung mit neun anderen Teilnehmenden in Braunschweig, wo sie bis heute lebt und in einer AWO-Altenpflegereinrichtung arbeitet. Parallel verfolgt sie derzeit eine Fortbildung zur Praxisanleiterin (PAL) an der medi terra Pflegeschule Braunschweig.

Frau Nguyen, wie sind Sie damals auf das Projekt aufmerksam geworden und was hat Sie motiviert, daran teilzunehmen?

Thi Tinh Nguyen: Ich bin studierte Krankenpflegerin. In Vietnam habe ich damals mein Studium absolviert und danach auf der Intensivstation eines Krankenhauses gearbeitet. Von dem Pilotprojekt erfuhr ich durch eine Freundin. In Vietnam fehlt es an beruflichen Chancen für die vielen jungen Menschen. Ich hatte zwar noch keine sehr konkrete Vorstellung, was mich hier in Deutschland erwarten würde. Aber ich war neugierig und hatte Lust, Erfahrungen zu sammeln und etwas Neues auszuprobieren. Ich habe mich beworben und eine Zusage bekommen. Das hat mich sehr gefreut, da sich über 3.000 Personen mit mir beworben haben.

Wie haben Sie die erste Zeit in Deutschland erlebt? Welche Herausforderungen sind Ihnen begegnet?

Die größte Herausforderung war die Sprache. Deutsch ist die schwierigste Sprache, die ich bisher gelernt habe! In der Vorbereitung in Vietnam haben wir ein halbes Jahr lang Deutsch bis zum Niveau A2 gelernt. Bereits nach wenigen Wochen in Deutschland kamen wir dann in die Einrichtung und haben die Pflegepraxis kennengelernt. Am Anfang war es schwierig: Mit den Kolleg*innen und Bewohner*innen konnten wir uns noch nicht richtig verständigen. Aber alle haben uns unterstützt. Vor Ort lernt man die Sprache dann viel schneller.

Auch der normale Alltag ist erst einmal schwierig: Das Einkaufen, der Verkehr, das andere Essen. Ich erinnere mich noch gut: Nach unserer Ankunft in Frankfurt gab es noch eine Begrüßung bei der AWO. Wir waren müde und hatten großen Hunger. Es gab einen Nudelsalat – damit konnten wir damals nicht viel anfangen. Ein Teilnehmer hat sich getraut und einen Teller genommen. Ich habe danach auch probiert – aber das war ehrlich gesagt mein erster und letzter Nudelsalat!

Wie unterscheidet sich Ihr heutiger Berufsalltag von Ihren Berufserfahrungen in Vietnam? Konnten Sie Ihr Studium für die Ausbildung hier gut einsetzen?

Da gibt es tatsächlich viele Unterschiede. In Vietnam gibt es nahezu keine Altenheime. Ich kann es also nur mit dem Krankenhaus vergleichen. Die moderne Ausstattung der Senioreneinrichtungen ist mir hier am Anfang besonders aufgefallen. Die Art der Arbeit unterscheidet sich aber auch: Als Krankenpflegerin übernimmt man in Vietnam nicht die Versorgung und Grundpflege, sondern nur die Behandlungspflege. Für die Grundpflege ist eine Assistenz zuständig. Man hat zudem mehr Verantwortung und übernimmt mehr Tätigkeiten als es hier in Deutschland für Fachkräfte vorgesehen ist.

Mein Studium hat mir für die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft sehr geholfen. Vieles kannte ich schon – wir haben zum Beispiel auch in Vietnam lateinische Begriffe im Bereich der Anatomie benutzt. Ich habe viel mit Wörterbüchern und Übersetzungsseiten gearbeitet. Aber den Stoff an sich konnte ich durch meine Erfahrung gut lernen und die Prüfung erfolgreich bestehen.

Was planen Sie für Ihren weiteren beruflichen Weg?

Mir gefällt die Vorstellung, mich weiterzuentwickeln – und es gibt die Möglichkeiten dazu. Eigentlich wollte ich schon früher eine Fortbildung beginnen. Aber dann kam erst einmal meine Familienplanung dran. Jetzt habe ich eine Weiterbildung zur Praxisanleiterin angefangen. Ich gebe schon jetzt gerne meine Erfahrungen an neue Kolleg*innen weiter. Deshalb freue ich mich darauf, bald Schüler*innen anzuleiten und Wissen zu teilen. Ich werde dann weniger in der Pflege sein. Das wird die tägliche Arbeit in manchen Punkten entlasten. Gleichzeitig ist es eine zusätzliche Herausforderung. Darauf bin ich schon gespannt.

Ich kann mir gut vorstellen, später noch die Fortbildung zur Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege (FLP), ähnlich der Pflegedienstleitung, zu machen. Aber ich möchte Schritt für Schritt weitergehen und mir genug Zeit nehmen. Schön ist auch, dass ich die Weiterbildung hier in der Pflegeschule Braunschweig machen kann, in der ich während meiner Ausbildung bereits Unterricht hatte.

Sie sind nun seit über acht Jahren in Deutschland. Wie blicken Sie auf Ihre Entscheidung zu diesem Schritt zurück?

Nach meinem ersten Jahr wusste ich ehrlich gesagt noch nicht genau, ob es die richtige Entscheidung war. Der Anfang war nicht einfach, der Alltag, der Beruf – so weit weg von der Familie. Aber ich habe mich gut eingelebt und bin heute froh über meine Entscheidung. Mein Mann ist nun auch hier und wir wohnen gerne in Braunschweig. Wir haben hier einen Freundeskreis und kennen Menschen an verschiedenen Orten in Deutschland. Ich bin dankbar für die Chance, die ich mit dem Projekt bekommen habe und erzähle deshalb gerne anderen Interessierten davon. Ich bin auch stolz darauf, dass ich meine Eltern in Vietnam durch meine Arbeit hier finanziell unterstützen kann.

Was ist aus Ihrer Sicht und Erfahrung besonders wichtig, damit Projekte zur Gewinnung von Internationalen Fachkräften gelingen können?

Wenn man die Sprache gut beherrscht, lösen sich viele Probleme von ganz allein. Deshalb ist die gute Vorbereitung in Sprachkursen ein Schlüssel, damit solche Projekte erfolgreich sind. Nach meinem Projektjahrgang haben neue Teilnehmende zuerst Deutsch bis zum Niveau B2 gelernt. Das halte ich für sehr sinnvoll.

Außerdem war es wichtig, dass wir Ansprechpersonen hatten. Hier in Braunschweig hatten wir einen Dolmetscher und einen vietnamesisch-sprachigen Mentor. Diese Personen haben uns am Anfang intensiv begleitet, uns die Stadt Braunschweig gezeigt, die Einkaufsmöglichkeiten und uns bei den ersten Hürden geholfen. Wir konnten auch später immer noch mit Fragen auf sie zugehen und hatten immer Unterstützung. Das war für das Einleben hier sehr wertvoll.

Frau Nguyen, vielen herzlichen Dank für das offene Gespräch über ihre Erfahrungen. Wir wünschen Ihnen alles Gute!

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Interview: Linda Englisch
© Titelbild: Prostock-studio/AdobeStock

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