Wie arbeiten Interim-Manager*innen in der sozialen Arbeit?
Interim-Manager*innen überbrücken in der sozialen Arbeit nicht nur Vakanzen, sie können auch mit dem Blick von außen wichtige Unternehmenspotenziale erkennen und notwendige Veränderungen anstoßen. Wie die Zusammenarbeit in der Praxis der Eingliederungs-, Kinder- und Jugendhilfe aussieht und welche Kompetenzen es dafür braucht, berichten in diesem Beitrag die contec-Berater*innen und erfahrenen Interim-Manager*innen Verena kleine Holthaus, Judith Hoffmann und Albrecht von Bonin.
Wie würden Sie, zum Einstieg, die Aufgaben und Herausforderungen im Interim-Management beschreiben?
Verena kleine Holthaus: Die Herausforderungen sind absolut vielfältig und hängen stark von der Ausgangssituation in den Unternehmen ab. Manchmal ist man vordergründig da, um eine Vakanz zu überbrücken und die Stabilität des laufenden Betriebs zu erhalten, manchmal stehen auch Themen der Weiterentwicklung im Fokus und es muss an vielen unterschiedlichen Stellschrauben gedreht werden. Meiner Erfahrung nach kristallisieren sich oft Herausforderungen erst im Laufe eines Einsatzes heraus. Ein Beispiel: Während eines meiner Mandate zeigte sich erst nach meiner Ankunft, dass der Organisation neben der wirtschaftlichen Schieflage, die ich stabilisieren sollte, auch die Zielorientierung auf Führungsebene fehlte. Es gab zudem kaum standardisierte Prozesse und Strukturen, die Situation im Bereich der gesetzlichen Anforderungen war schwierig, ebenso gab es Mängel bei der Arbeitssicherheit und im Datenschutz. Auch wenn meine Unterstützung bei diesen Themen ursprünglich nicht eingeplant war, war es uns wichtig, die beratende Perspektive einzubringen und uns die Einrichtung genau anzuschauen. Wir reagieren dann individuell auf die ungeplante Situation – indem wir z. B. eine gezielte Risikoanalyse vornehmen und Aufgaben bei Bedarf, stets in enger Abstimmung mit dem Kunden, neu priorisieren.
Judith Hoffmann: Manche Unternehmen entscheiden sich auch für ein Interim-Management, wenn sie die bisherigen Organisationsstrukturen mit dem ‚Blick von außen‘ überprüfen lassen wollen – das kann z. B. sinnvoll sein, wenn eine langjährige Führungskraft in den Ruhestand geht. In einem Fall, in dem ich ein Interim-Mandat übernommen habe, hatte sich der Aufsichtsrat dafür entschieden, eine Organisationsanalyse mit Unterstützung der contec durchzuführen, nachdem der Vorstand aus dem Unternehmen ausgeschieden war. Es ging um die Optimierung der Führungsstrukturen und die Frage, ob die Organisation auch in Zukunft auf eine Doppelspitze setzen sollte. Es zeigte sich vor Ort, dass der Träger fachlich sehr gut aufgestellt ist und sich in einer guten wirtschaftlichen Situation befindet. Im Rahmen der Analyse ist dann die Entscheidung gefallen, mit einer Einzelspitze weiterzugehen. Meine Aufgabe war es u. a., diese Neuerung umzusetzen.
Albrecht von Bonin: Auch ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, dass sich mit der Zeit neue Themen auftun, die vorher nicht abgestimmt wurden. Dementsprechend verändern sich auch die Erwartungen der Kunden. Ich werde beispielsweise engagiert, um klassische Verwaltungstätigkeiten zu übernehmen. Vor Ort treffe ich dann aber oft auf ganz andere Themen: Situationen, in denen es stark menschelt, in denen Führungsrollen nicht klar definiert sind, die Kommunikation zwischen den Ebenen nicht funktioniert oder Rahmenbedingungen nicht umgesetzt wurden. Wenn ich solche Herausforderungen erkenne, sehe ich es als meine Aufgabe, auch in diesen Bereichen Stabilität und Kontinuität herzustellen.
Verena kleine Holthaus, Judith Hoffmann und Albrecht von Bonin
Welche Kompetenzen sind aus Ihrer Erfahrung im Interim-Management besonders gefordert?
Verena kleine Holthaus: Welche Kompetenzen gebraucht werden, kann je nach Mandat sehr unterschiedlich sein, mal ist eine pädagogische, mal eine kaufmännische Kompetenz gefragt – auch über diese Kompetenzen hinaus: In einem meiner Mandate stand beispielsweise das Thema Führungskompetenz im Vordergrund. Dabei waren der Ausbau von Soft Skills bei den Leitungskräften sowie die offene Kommunikation mit den Mitarbeitenden wichtige Bausteine. Unter den Mitarbeitenden gab es aufgrund einer prekären wirtschaftlichen Situation große Sorgen. Den Leitungskräften fehlte die klare Kommunikationslinie und sie wussten nicht, wie sie mit der Steuerung der wirtschaftlichen Situation umgehen sollten. Ich habe dann sehr viele Gespräche geführt, sowohl mit einzelnen Fachkräften als auch in Teamsitzungen, um Transparenz für die Mitarbeitenden zu schaffen. Darüber hinaus kann es auch wichtig sein, als Strukturgeber zu fungieren. Das heißt, der/die Interim-Manager*in setzt klare Zielvorgaben und priorisiert gemeinsam mit dem Auftraggeber die Aufgaben, um darauf aufbauend Maßnahmen treffen zu können.
Judith Hoffmann: Um die Bandbreite der Kompetenzen zu zeigen, passt hier ein weiteres Beispiel: In dem oben schon genannten Fall hatte die Organisationsanalyse ergeben, dass die Führungsstrukturen des Kunden noch optimiert werden können. Neben dem Wegfall einer Vorstandsposition hatte sich der Kunde dabei auch gegen eine Verwaltungsleitung entschieden. Meine Arbeit bestand deshalb vor allem darin, Prozesse für die einzelnen Abteilungen neu aufzusetzen und zuzuordnen. Ich habe den Kunden auch dabei unterstützt, neue Entscheidungskompetenzen zu entwickeln. Dabei mussten wir sicherstellen, dass die veränderten Strukturen weiterhin mit der Fachlichkeit in Einklang sind.
Hat sich das Image des Interim-Managements in den letzten Jahren in der Branche verändert?
Judith Hoffmann: Ich arbeite schon einige Jahre als Interim-Managerin und habe auch langjährige Führungserfahrung in der Sozialwirtschaft – mit dieser Perspektive kann ich sagen: Das Interim-Management hat heute einen besseren Ruf in der Branche als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Mittlerweile wird es zunehmend als Chance auf eine qualitativ hochwertige Begleitung empfunden und aus ganz unterschiedlichen Gründen angefragt: natürlich zur personellen Überbrückung, aber auch um Organisationsprozesse neu aufzusetzen. Wenn Strukturen verändert werden müssen, übernehmen wir Interim-Manager*innen dafür auch stellvertretend den Widerstand aus dem Unternehmen, sodass eine neue Geschäftsführung sich nicht sofort unbeliebt machen muss. Gerade diese Funktion nehmen Organisationen zunehmend als sehr hilfreich wahr.
In welchen Situationen bietet sich nach Ihrer Einschätzung ein Interim-Management besonders an und was gewinnen Organisationen dabei?
Albrecht von Bonin: Der ‚Hubschrauberblick‘ auf die Organisation ist das, was aus meiner Sicht das Interim-Management besonders macht: Ich versuche immer, die Außenperspektive auf den Kunden zu behalten und somit objektiv zu bleiben. Das gelingt am besten, wenn man von Anfang an eine gewisse Distanz ausstrahlt und diese auch beibehält.
Verena kleine Holthaus: Ich denke auch, dass ein Interim-Management für Organisationen immer bereichernd sein kann. Der neutrale Blick von außen, den man als Interim-Manager*in hat, ist sehr wertvoll. In dieser Position lässt man sich von ungünstigen Mustern, die Organisationen teils mit der Zeit entwickeln, nicht so stark einnehmen.
Können Sie weitere Erfolgsfaktoren für einen gelungenen Interim-Einsatz benennen?
Verena kleine Holthaus: Trotz der wichtigen Außenperspektive ist eine Erfolgsbedingung ebenfalls, dass Interim-Manager*innen in der Lage sind, Beziehungen und Vertrauen vor Ort aufzubauen – auch wenn das manchmal schwierig sein kann. Bei meinem letzten Einsatz hatte ich z. B. sofort das Gefühl, dass alle Beteiligten offen sind und sich auf die Zusammenarbeit freuen. Aber es kann ebenso sein, dass man erst einmal nicht gut an das Team herankommt. Wenn sich die Personen vor Ort gegen den externen Einfluss sperren, dann erschwert das natürlich die Arbeit der Interim-Manager*innen. In solchen Fällen muss zunächst viel Vertrauensarbeit geleistet werden.
Und wie gelingt am Schluss ein guter „Exit“? Was ist wichtig, damit der Übergang zum Tagesgeschäft mit einer festen Führungskraft gelingt?
Albrecht von Bonin: Dabei spielen zwei Dimensionen eine Rolle: Die Notwendigkeit einer gefestigten Personalsuche und klare vertragliche Regelungen für das Interim-Mandat. Es ist natürlich wichtig, dass es während der Interimszeit, im Falle einer Vakanz, gelingt, eine passende Führungskraft zu finden – und das auch an einem nicht so attraktiven Standort –, sodass man als Interim-Manager*in die Position verlassen kann, wenn es die Situation zulässt. Gleichzeitlich sollte vertraglich festgesetzt werden, was die Aufgaben während des Mandats sind. Auch das zeitliche Ende der Interim-Phase muss vorab festgelegt sein. Diese kann natürlich, bei Bedarf, offiziell verlängert werden. Für uns Interim-Manager*innen ist aber klar: Wir übernehmen nicht auf Dauer das Geschäft der Kunden, sondern sind nur da, um zu unterstützen und zu befähigen. Unser Ziel ist immer, dass die Organisationen am Ende wieder selbst das Ruder übernehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Redaktion: Katharina Ommerborn© Viacheslav Yakobchuk/ Adobe Stock
Birgitta Neumann
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