Gesetze, Faktenchecks und (regionale) Umsetzungsrealität: Hospiz- und Palliativgesetz
Palliativsymposium der Pfeifferschen Stiftungen versammelt die Experten der Palliativ- und Hospizversorgung in Magdeburg
Auf dem Weg, aber noch lange nicht am Ziel
Niemand bezweifelt mehr ernsthaft, dass Palliativgedanke und Hospizkultur in Deutschland „angekommen“ sind. Wenn sich am 13. Oktober in Magdeburg beim Palliativsymposium der Pfeifferschen Stiftungen die Fachexperten nicht nur Sachsen-Anhalts zum intensiven Gedankenaustausch treffen, wird dies vorausgesetzt sein. Ebenfalls keine offene Frage dürfte mehr sein, was es grundsätzlich (theoretisch) braucht, um adäquate palliative Versorgungsstrukturen zu etablieren.
Zu deutlich sind diesbezügliche internationale Forschungsergebnisse, zu klar arbeiten auch inländische Studien wie zuletzt der „Faktencheck Palliativversorgung“ der Bertelsmann-Stiftung mit seinen Modulen zu den Sterbeorten, den Versorgungsstrukturen und auch den Fehlentwicklungen die Zusammenhänge heraus. Palliativstationen in Kliniken, Palliativmedizin als Pflichtelement des Medizinstudiums, SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) als vertraglich etablierte, netzwerkorientierte Säule der Versorgungslandschaft, ambulante Hospizdienste und stationäre Hospize in einigen Regionen schon in bedarfsgerechtem Umfang – unsere Gesellschaft weiß um das ‚Richtige‘ und tut auch was.
Klar erkennbar kompatibel sind dazu im Übrigen auch die Ziele des Ende 2015 in Kraft getretenen Hospiz- und Palliativgesetzes. Dessen Inhalte, wie zusätzliche Vergütung im vertragsärztlichen Bereich, Regelung der Palliativpflege als zu verordnende ambulante Behandlungspflege, bessere Finanzierung stationärer Hospize und ambulanter Hospizdienste, Schiedsstellen-Regelungen für strittige SAPV-Verträge, koordinierende aktive Rolle der Pflegeeinrichtungen, Zusatzentgelt-Optionen für spezialisierte Klinik-Versorgung usw. sind derzeit jedoch erst teilweise konkret bearbeitet und warten auf Veredelung … . Zu debattieren ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch vielmehr die Frage, wie der Entwicklungsweg in der regionalen Praxis wirksam fortgesetzt oder gar beschleunigt werden kann. Schwerwiegende Restriktionen unseres Gesundheits- und Sozialwesens, wie weiter bestehende Sektorisierung, noch unterrepräsentierte Netzwerk-Denkweisen und vor allem die (Fach-) Personal-Knappheit wirken nirgendwo so frontal ein wie in diesem hochkomplexen Versorgungsbereich. Der ‚Faktencheck‘ zeigt auch: noch ist bei keinem der Kriterien für eine adäquate Palliativversorgung im Bundesdurchschnitt die Zieldimension erreicht. Kaum jemand möchte im Krankenhaus versterben – auch das machen die Erhebungen in Deutschland deutlich. Allerdings ist die Bundesrepublik mit einem Anteil von 46 Prozent des „Sterbeortes Krankenhaus“ im europäischen Vergleich nicht besonders hervorzuheben; aus anderen europäischen Ländern sind sowohl ähnliche als auch deutlich höhere und deutlich geringere Anteile bekannt.
Und Sachsen-Anhalt?
Das kleine Bundesland, dessen Hauptstadt Gastgeber des Symposiums ist, spielt erneut die etablierte Rolle zwischen Underdog und Hidden Champion. „Wir stehen früher auf!“ war gut begründet einmal der Slogan Sachsen-Anhalts. „Wir sterben früher“ stimmt gemäß Daten des statistischen Bundesamtes zur Lebenserwartung der Menschen ebenfalls (zweiter Platz in dieser Statistik hinter Mecklenburg-Vorpommern).
In den Textpassagen mit den Zusammenfassungen der regionalen Ergebnisse des Faktenchecks „Palliativversorgung“ der Bertelsmann-Stiftung (2015) kommt Sachsen-Anhalt so gut wie nicht vor. Dabei gäbe es dafür durchaus Anlass, wie die Daten der Studie zeigen: kritisch sind die weit unterdurchschnittlichen Strukturzahlen bezüglich Betten in Palliativstationen, SAPV-Teams, Palliativmedizinern, Plätzen in Hospizen und hinsichtlich etablierter Hospizdienste zu sehen. Aber auch: nirgendwo wurden 2014 (relativ gesehen) so viele Palliativ-Pflegefachkräfte weitergebildet; und nirgendwo sonst hat sich die Ergebnisqualität, gemessen am Anteil der Verstorbenen am möglichst zu vermeidenden „Sterbeort Krankenhaus“, so stark zwischen 2008 – 2010 und 2011 – 2013 verbessert wie in Sachsen-Anhalt. Ein bisschen hilft hier wohl auch die Ländlichkeit: die Ergebnisse der Regressionsanalyse der zum „Faktencheck“ zusammengetrommelten Wissenschaftler weisen darauf hin, dass in ländlichen und dünn besiedelten Kreisen der Anteil der im Krankenhaus verstorbenen älteren Menschen signifikant geringer ist als in Großstädten.
Klare Parameter für passgerechte Versorgungsstrukturen
Die Wirkzusammenhänge sind im Übrigen recht klar: die anteilig gesehen wenigsten Menschen versterben in Krankenhäusern in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Dies sind Länder, die bei den meisten der genannten Strukturparameter die am besten entwickelten Palliativ-Versorgungslandschaften aufweisen. Davon ausgehend weisen die Autoren des „Faktenchecks“ auch klar den Weg: insbesondere die Überleitung der Patienten zu den – den Akutbehandlungen nachfolgenden – Betreuungsformen der allgemeinen und spezialisierten Palliativversorgung kann noch nicht im gewünschten Umfang erfolgen, da die außerklinischen Angebote noch nicht stark genug ausgebaut seien bzw. noch nicht flächendeckend existierten. Man leitet darüber hinaus ab, dass „die Palliativstationen [der Kliniken] aufgrund derselben Problemlage noch zu oft Patienten behandeln (müssen), deren stationärer Aufenthalt bei adäquat ausgebauten ambulanten palliativen Versorgungsangeboten hätte vermieden werden können.“ Empfohlen wird eine strukturübergreifende mittel- bis langfristig ausgerichtete regionale Gesamtplanung der Entwicklung aller Angebote der Palliativ- und Hospizversorgung in Verbindung mit allgemein konsentierten kapazitätsbezogenen Orientierungswerten.
Und Sachsen-Anhalt?
Das kleine Bundesland ….
…. mit seiner überschaubaren Landschaft könnte sich doch genau der Aufgabe stellen, entlang dieser Parameter vorreitend die Strukturen weiter zu etablieren. Ausgerechnet da, wo die Budgets vergleichsweise am knappsten sind, dies als Chance für neue Wege zu nutzen. Alle benötigten Strukturen sind im Land auch schon aufgebaut – wenn auch parallel noch nicht flächendeckend und durchdringend genug.
Wenn es noch an entsprechenden Signalen von Engagement und Haltung gemangelt haben sollte – die Pfeifferschen Stiftungen senden sie: „Wir möchten über unseren ursprünglichen Versorgungsauftrag hinaus die Vernetzung der Hospiz- und Palliativversorgung im Land Sachsen-Anhalt weiter vorantreiben. Zu diesem Zweck veranstalten wir zusammen mit Kooperationspartnern am 13. Oktober 2017 in Magdeburg das 2. Palliativ- und Hospizsymposium ‚Gemeinsam gut versorgen: Strukturen stärken – Kooperationen schaffen – Qualität sichern‘. Gemeinsam mit Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Pflege, Verbände, Politik sowie Wissenschaft und Forschung, mit Betroffenen und deren Angehörigen möchten wir Ideen, Maßnahmen und Modelle zur Weiterentwicklung der regionalen Hospiz- und Palliativversorgung diskutieren.“– so die Einladung zum Symposium. Man darf auf eine hochspannende und konstruktive Debatte gespannt sein.
Den Autor dieser Zeilen veranlasst diese Aussicht, für das Symposium Magdeburger Boden zu betreten – was für einen gebürtigen Hallenser sonst eine alles andere als erfreuliche Perspektive ist.
Michael Uhlig
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