Generalistische Pflegeausbildung: Eine Zwischenbilanz
Vor fast drei Jahren ist die neue generalistische Pflegeausbildung gestartet – mit dem Ziel, die Ausbildung attraktiver zu machen. Wie hat sich die Pflegeausbildung seither entwickelt? Gemeinsam mit Evelyn Adams, Geschäftsführerin der kbs – Die Akademie für Gesundheitsberufe, schauen wir auf erste Erfolge, Herausforderungen und Nachbesserungsbedarfe.
Generalistische Pflegeausbildung: Ein Überblick
Die neue Pflegeausbildung ist vor mehr als zweieinhalb Jahren, am 1. Januar 2020 gestartet. Sie ermöglicht es den Auszubildenden, nach dem Abschluss als Pflegefachfrau oder Pflegefachmann, in allen Versorgungsbereichen der Pflege zu arbeiten.
Darüber hinaus geht die Generalistik mit weiteren Rahmenveränderungen einher, die zu einer Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Pflege beitragen sollen:
- Vergütung: Alle Auszubildenden erhalten eine Ausbildungsvergütung.
- Professionalisierung: Es gibt erstmals bestimmte berufliche Tätigkeiten, die nur den Pflegefachkräften vorbehalten sind.
- Akademisierung: Es ist auch eine Ausbildung an einer Hochschule mit Bachelor-Niveau möglich.
- Anerkennung: Der neue Abschluss zur generalistischen Pflegefachkraft wird EU-weit anerkannt.
Kritik aus der Pflege
Auch wenn viele Akteur*innen der Pflegebranche eine generalistische Ausbildung durchaus begrüßen, gab es schon vor dem Start Kritik bezüglich der Ausgestaltung der neuen Qualifikation. So befürchtete der Arbeitgeberverband Pflege beispielsweise, dass Bewerber*innen ohne Abitur durch zu viel Theorie in der Basisqualifikation abgeschreckt werden könnten. Der Deutsche Pflegerat wies darauf hin, dass die Möglichkeit einer Spezialisierung im dritten Ausbildungsjahr nicht unbedingt zielführend ist: Durch die Öffnung könnten sich weniger Auszubildende für die Altenpflege entscheiden, u. a. weil Altenpflegekräfte eine geringere Vergütung erhalten.
Diese Befürchtungen sehen manche der Beteiligten – insbesondere aus der Altenpflege – nun zum Teil bestätigt. So äußerte Kaspar Pfister, Gründer und Eigentümer der BeneVit Gruppe, in einer Pressemitteilung, dass die Ausbildung in Krankenhäusern, Ambulanten Diensten, Psychiatrien und Berufsschulen einen Großteil der Ausbildungszeit in Anspruch nehme und die Auszubildenden daher kaum noch in Pflegeheimen anzutreffen seien. In ähnlicher Weise äußerte sich auch Andrea Lippmann, Vorsitzende des Landesverbands freie ambulante Krankenpflege NRW, auf der Jahreshauptversammlung des Verbands. Sie findet, dass die Altenpflege gegenüber der Krankenpflege immer mehr ins Hintertreffen gerate.
Wir haben für diesen Beitrag mit Evelyn Adams, Geschäftsführerin der kbs – Die Akademie für Gesundheitsberufe in Mönchengladbach, über diese Kritikpunkte gesprochen. Sie kann derweil nicht erkennen, dass die Altenpflege in der generalistischen Ausbildung benachteiligt wird: „Ich bin der festen Meinung, dass die Altenpflege von der Generalistik profitieren kann und kompetente Fachkräfte dazu gewinnen wird. Im Rahmen der Außeneinsätze hat sie sogar die Möglichkeit, Menschen für ihr Setting zu begeistern und zu bilden, die vorher gar nicht in der Altenpflege vorbeigeschaut haben.“
Die Geschäftsführerin, die auch in der Verbandsarbeit aktiv ist, weiß allerdings auch, dass die neuen Regelungen für viele Beteiligte herausfordernd sind: „Auch die Kinderkrankenpflege kann sich nur schwer auf die Idee einer Basisqualifikation einlassen. Ich hoffe aber, dass der Gesetzgeber trotz der Kritik nicht zurückrudert und die Evaluation nach 2025 abwartet. Die alten Qualifikationen der Pflegeberufe beizubehalten, halte ich für einen großen Nachteil – sowohl für die jeweiligen Bereiche an sich als auch für die Auszubildenden, denen damit die fachliche Breite ihres Abschlusses vorenthalten wird.“
Praktische Herausforderungen
Defizite bei der Finanzierung & hoher Bedarf an Lehrkräften
Im Rahmen der Generalistik wurde auch die Finanzierung an die neue Pflegeausbildung angepasst. Die Kosten der Ausbildung werden nun über einen Landesausbildungsfonds finanziert, in den alle Krankenhäuser, Altenpflegeeinrichtungen sowie das Land und die Pflegeversicherung einzahlen. Aus dem Ausbildungsfonds erhalten die ausbildenden Einrichtungen und die Pflegeschulen die Ausbildungskosten anteilig erstattet.*2 Laut Evelyn Adams ist jedoch dringend noch zusätzlicher Finanzierungsbedarf an den Schulen in NRW nötig, z. B. im Bereich der Investitionskosten. Auch die Ausbildungspauschale sei noch ausbaufähig. Doch das sei nicht die einzige Unterstützung, die benötigt werde: „Am Ende des Tages fehlt es vor allem an Ausbilder*innen in der Praxis und Lehrkräften an den Schulen. Wir merken, dass wir hier ununterbrochen neu qualifizieren und für den Beruf des/der Lehrenden begeistern müssen.“ Ein ähnliches Bild zeichnet auch das BIBB-Pflegepanel: Viele Pflegeschulen nehmen es den Befragungen zufolge als Herausforderung wahr, Lehrkräfte zu finden und für den generalistischen Lehrplan zu qualifizieren.
Umsetzung des generalistischen Gedankens in Theorie und Praxis
Darüber hinaus erfordert die Generalistik auch ein grundsätzliches Umdenken bei den ausbildenden Trägern und den Schulen sowie sinnvolle Anschlussangebote nach dem Ende der Ausbildung. „Die Player in der praktischen Ausbildung stehen jetzt vor der Aufgabe, herauszufinden, was die ausgebildeten Mitarbeitenden in ihrem Berufsfeld benötigen, damit diese sich dann auch als Pflegefachmänner und -frauen mit der beruflichen Prägung im Setting definieren können“, so Adams, „diese Anschlussqualifikationen im Beruf zu gestalten, das muss jetzt auf den Weg gebracht werden.“ Zwar gibt es laut Evelyn Adams bereits Einzelprojekte z. B. für die Pädiatrie, jedoch müsse das Thema umfassend in den Einrichtungen umgesetzt werden. „Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die entsprechenden Bildungs- und Praxisträger reagieren werden, sobald die ersten Pflegefachmänner und -frauen in ihren Einrichtungen tätig werden“, betont die Geschäftsführerin.
Dass der Paradigmenwechsel auch im Rahmen des neuen Curriculums für die Schulen eine große Herausforderung ist, weiß Evelyn Adams aus erster Hand: „Bei uns kommt ein sehr großer Teil der Lehrkräfte aus dem Akutbereich. Deshalb mussten wir durchaus viel Arbeit investieren, bis sich alle auf das neue Rahmencurriculum der Generalistik einlassen konnten. Wir hatten zu Beginn auch kritische Stimmen im Kollegium, mittlerweile sind aber alle sehr überzeugt von der neuen Ausbildung.“
Zahl der Auszubildenden regional sehr unterschiedlich
Die Einführung der Generalistik ist auch ein Versuch, dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken. Nach Angaben des BMFSFJ ist das Interesse an einer Ausbildung in der Pflege seit dem Start der neuen Pflegeausbildung tatsächlich insgesamt gestiegen: Im Jahr 2021 z. B. ist die Anzahl der Auszubildenden, die sich für die Pflegeausbildung entschieden haben, mit 61.458 um 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Und das trotz der Corona-Pandemie, die den Umsetzungsbeginn und die Bewerbung der neuen Ausbildung zu Anfang durchaus erschwert hat.
Dennoch ist auch in der neuen Ausbildung die Zahl der Auszubildenden, die ihre Pflegeausbildung vorzeitig abbrechen, relativ hoch.*3 Evelyn Adams erlebt, dass es seit dem Inkrafttreten der neuen Pflegeausbildung mehr unterjährige Abbrüche in ihrer Akademie gibt: „Das hängt zum Teil damit zusammen, dass sich manche der Auszubildenden zu Ausbildungsbeginn nicht bewusst sind, dass die Pflegeausbildung eine echte Fachkraftausbildung mit Fachwissen und Fachkompetenzen ist.“ Erste Ergebnisse aus der Begleitforschung zur Generalistik deuten zudem an, dass Personalengpässe bei Praxisanleiter*innen und die damit verbundene unzureichende Begleitung und Unterstützung von Auszubildenden vermehrt zu Ausbildungsabbrüchen führen könnten. Eine Evaluation hält Evelyn Adams jedoch erst nach dem Ende der Testphase für sinnvoll. „Ich glaube aber nicht, dass wir nach 2025 feststellen werden, dass es plötzlich deutlich mehr Fachkräfte als noch vor Einführung der generalistischen Ausbildung gibt“, so die Akademieleiterin.
Dennoch: Ihre Akademie habe derzeit keine Probleme genug Auszubildende zu finden: „Wir stehen in diesem Jahr sogar vor der Herausforderung, einen zusätzlichen Kurs anzubieten“, berichtet die Geschäftsführerin. Sie nehme jedoch wahr, dass die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen lokal und regional sehr unterschiedlich ausfällt.
In Brandenburg z. B., so berichtet die Ärztezeitung, wird ein großer Teil der zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze an den Pflegeschulen derzeit nicht in Anspruch genommen. Ein ähnliches Bild ist an den dort ansässigen Hochschulen erkennbar: 2020 wurden an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg nur 16 und 2021 sogar nur 12 von insgesamt jeweils 50 Studienplätzen besetzt.
Attraktivität der Ausbildung steigt
Nichtsdestotrotz ergeben erste Befragungen im Rahmen des BIBB-Pflegepanels, dass die neue Ausbildung durchaus an Attraktivität gewonnen hat. Von den Befragten, die zu Trägern der praktischen Ausbildung, Pflegeschulen und Hochschulen gehören, stimmten mehr als 80 Prozent der Aussage zu, dass die neue Pflegeausbildung eine größere Flexibilität im späteren Berufsleben verspricht. Mehr als die Hälfte nehmen eine Verbesserung der internationalen Anschlussfähigkeit wahr und rund 64 Prozent bescheinigen eine steigende Professionalisierung.
Aufbau eines „Wir-Gefühls“
Auch Evelyn Adams ist überzeugt, dass insbesondere die Auszubildenden von der Generalistik profitieren. „Das Kursgefüge in unserer Schule hat unglaublich gewonnen. Die Auszubildenden berichten aus ihren unterschiedlichen Settings und tauschen sich miteinander aus.“ Im praktischen Berufsalltag würden die einzelnen Versorgungsbereiche häufig noch stark voneinander getrennt betrachtet, aber bei den neuen Auszubildenden erlebe sie, dass bereits ein starkes „Wir-Gefühl“ entsteht: „Sie lernen in der Schule gemeinsam und unterstützen einander, unabhängig davon, in welchen Settings sie gerade unterwegs sind.“
Die Umsetzung der generalistischen Pflegeausbildung ist auch in Zukunft noch mit vielen Herausforderungen für die Beteiligten verbunden. Dazu hat auch die Corona-Pandemie einen Beitrag geleistet: Einige zentrale Elemente der Generalistik konnten bislang nicht umfassend umgesetzt werden, weil die notwendigen strukturellen Ressourcen zunächst zur Bewältigung der Pandemie aufgewendet wurden. Evelyn Adams ist sich jedoch sicher: „Wir haben mit der Einführung der Generalistik die richtige Entscheidung getroffen. Die neue Ausbildung ist auch mit Blick auf Fachkräftemangel, Professionalisierung und Personalgewinnung für das Setting Pflege der richtige Weg. Mit Sicherheit ist das ein absoluter Paradigmenwechsel in Deutschland – aber genau den braucht die Pflege.“ Inwiefern die generalistische Ausbildung tatsächlich zur Verbesserung der Ausbildungsqualität und zur Gewinnung junger Menschen für den Pflegeberuf beitragen kann, wird sich jedoch erst nach Beendigung der Evaluationsphase in rund drei Jahren zeigen.
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*1 BMFSJ (17.07.2020): Neue Pflegeausbildungen.
*2 BMFSJ (12.05.2022): Internationaler Tag der Pflege – Großes Interesse an Pflegeausbildung.
*3 BibliomedPflege (10.09.2021): Pflegeausbildung – Hohe Abbrecherquote zu Ausbildungsbeginn.
Text: Katharina Ommerborn © Prostock-studio / Adobe StockAlexander Wilker
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