Erfolgreich als Führungskraft: Wie Eignungsdiagnostik helfen kann
Ulrich von Prittwitz ist im Team der contec GmbH Mitglied der Geschäftsleitung und als Projektleiter im Geschäftsbereich conQuaesso® JOBS tätig. Er unterstützt Unternehmen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft bei der Gewinnung und Auswahl von Persönlichkeiten für das Top-Management. Ein Schwerpunkt im Rahmen dieser Tätigkeit liegt in der beruflichen Eignungsdiagnostik. Diese hilft nicht nur ihm und seinen Kunden, eine Stelle mit der optimalen Person zu besetzen, sondern auch den Bewerber*innen ihre Fähigkeiten besser einzuschätzen. Im Gespräch erzählt er uns, was man braucht, um erfolgreich als Führungskraft zu sein und wie das Instrument der Eignungsdiagnostik angewendet werden sollte, um seine Wirkung zu entfalten.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Erfolg eines Menschen im Job basiert aus eignungsdiagnostischer Sicht auf verschiedenen Säulen: die Möglichkeit, auf wiederkehrende eigene Bedürfnisse einzahlen zu können bzw. sich vor allem so verhalten zu können, wie man sich längerfristig verhalten möchte, und die Einsatzmöglichkeit vorhandener kognitiver Fähigkeiten.
- Eignungsdiagnostik kann dafür eingesetzt werden, ein gutes Bild über alle drei Säulen zu zeichnen und bietet sich für die Personalauswahl auf allen Ebenen, insbesondere bei Führungskräften an.
- Eignungsdiagnostik sollte durch Profis verantwortungsvoll eingesetzt werden. Kein Instrument der Welt kann einen Menschen in allen Facetten beschreiben.
Herr von Prittwitz, was braucht ein Mensch, um erfolgreich zu sein?
Ich fange immer gerne damit an, zu schauen, warum Menschen Misserfolge erleben. Davor ist schließlich niemand gefeit. Nehmen Sie mich als Beispiel. Ich habe Jura studiert und abgeschlossen, aber relativ früh gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich ist. Deshalb habe ich mir die Frage gestellt: Was passt denn besser zu mir? Was fühlt sich vertrauter an? Über die Jahre und eine Coaching-Ausbildung habe ich dann eine ganz entscheidende Entwicklung gemacht. Ich habe gelernt, meine eigenen Gefühle wieder mehr wahrzunehmen. Weniger über den Kopf zu arbeiten – wie ich es im Jura-Studium musste – sondern die Wahrnehmung und Wertschätzung meiner eigenen Gefühle, meiner wiederkehrenden Bedürfnisse, gleichrangig neben den Kopf zu stellen.
Das ist meiner Überzeugung nach auch die erste Säule des Erfolgs: Das Einzahlen auf die wiederkehrenden Bedürfnisse. Mit der Eignungsdiagnostik setze ich seit vielen Jahren Instrumente ein, die sich mit den Bedürfnissen anderer vertieft beschäftigen. Die Erkenntnis: Wenn Menschen ihre wiederkehrenden Bedürfnisse – d. h. innere Beweggründe, Motive bzw. das „Warum“ – befriedigen können, machen sie ihre Arbeit gerne, wiederholen sie und werden dadurch besser. Wenn man in etwas gut ist, bekommt man Anerkennung und darf vielleicht auch weiterführende Aufgaben übernehmen. Daraus entsteht also ein selbstverstärkender Kreislauf – beginnend mit der Identifikation der wiederkehrenden Bedürfnisse.
☛ Ein Beispiel: Eine Führungskraft der zweiten Führungsebene einer Krankenkasse hat sich nach über 20 Jahren Anstellung intern für eine Vorstandsposition beworben. Man mag sich fragen: Hat er nie überlegt, das Unternehmen zu wechseln? Doch und es gab auch Angebote, aber: Der Mitarbeiter fährt jeden Tag 10 Kilometer mit dem Rad zur Arbeit. Bei einem anderen Unternehmen hätte er das vielleicht nicht mehr machen können. Man würde meinen, dass dies ein nachrangiger Grund ist. Der Mitarbeiter befriedigt damit aber sein Bedürfnis nach körperlicher Bewegung, welches für ihn Priorität hat, um als Person und damit auch in seinem Beruf glücklich zu sein.
Als Grundlage dafür, erfolgreich als Führungskraft zu sein, geht es dementsprechend in gewisser Weise darum, seine eigenen Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Dies klingt zwar im ersten Moment ‚egoistisch‘, nützt am Ende aber vor allem auch dem Unternehmen. Denn Mitarbeitende bzw. Führungskräfte, die ihren Job gerne machen, machen ihre Arbeit meist auch gut.
Die zweite Säule sind die kognitiven Fähigkeiten bzw. Denkmuster. Beispielsweise ist es problematisch, wenn eine Führungskraft im Problemlösen langsamer ist als die Mitarbeitenden. Als Führungskraft sollten die kognitiven Fähigkeiten stärker ausgeprägt sein, um eine ordnende Funktion mit Blick auf das Organisieren und Leiten übernehmen zu können. Deshalb halte ich es für absolut notwendig, nicht nur die Bedürfnisse zu berücksichtigen, sondern gleichermaßen auch die Denkmuster. Ist jemand besonders stark im logisch-analytischen Denken, dann sollte er sich auch in diesem Bereich bewegen – beispielsweise in der Strategieentwicklung. Hier gilt also dasselbe, wie bei den Bedürfnissen: Fähigkeiten, die wir haben, wollen wir einsetzen.
☛ Ein Beispiel: Nicht jede*r Mitarbeitende verfügt über die Fähigkeiten, die für einen Aufstieg notwendig sind. Manche können beispielsweise Sachverhalte nicht schnell genug, selbstständig lösen. Sie lernen stattdessen am besten im Wege des Zuschauen-Nachmachens, also im Kontext wiederholender Tätigkeiten. Diese Mitarbeitenden ermutige ich dann regelmäßig, sich auch in Zukunft in dem Bereich aufzuhalten, in dem sie schon Erfahrungskompetenz aufgebaut haben. Diese Erfahrungskompetenz können sie dann in kleineren Schritten erweitern und so natürlich auch wachsen und aufsteigen.
Die dritte Säule für den beruflichen Erfolg ist die Persönlichkeit. Unter Persönlichkeit verstehen wir die Summe aller Verhaltensmerkmale, die ein Mensch hat. Diese hängen mit den wiederkehrenden Bedürfnissen eng zusammen, denn die Bedürfnisse bzw. Motive sind Antreiber für Verhalten im Sinne einer leitenden, aktivierenden, richtungsgebenden Kraft. Das heißt, wenn man etwas tut, das z. B. auf die wiederkehrenden Bedürfnisse einzahlt, sprechen wir von Verhalten. Dieses kann man in gewissem Rahmen lenken. Je reflektierter ich bin, desto besser bin ich in der Lage, mein Verhalten an Situationen anzupassen. Beispielsweise kann ich dann Emotionen wie Frust oder Ärger zurückhalten, die andere einfach rauslassen. Das ist im beruflichen Kontext häufig hilfreich.
Im Grunde genommen wünschen wir uns als Menschen nichts anderes, als so sein zu dürfen, wie wir sind. Wenn wir das sein dürfen, wenn wir die Gefühle haben dürfen, die wir haben, ohne dass sie jemand in Frage stellt, fühlen wir uns als Person akzeptiert. Übertragen auf den beruflichen Kontext: Wenn wir im Kern die Aufgaben übernehmen können, die wir übernehmen wollen, zahlt es auf unsere Zufriedenheit ein und beruflicher Erfolg ist erwartbar. In der Folge ist es dann auch kein Problem mehr, Zusatztätigkeiten auszuführen, die nicht 100-prozentig zu mir passen.
Und wie wird ein erfolgreicher Mensch auch erfolgreich als Führungskraft?
Im ersten Schritt gilt natürlich, dass man seine Bedürfnisse, Fähigkeiten und Persönlichkeit für sich herausfinden muss. Eine Führungskraft muss bereit sein, sich selbst zu reflektieren. Dies lernt sie beispielsweise über ein Coaching oder noch besser in einer Coaching-Ausbildung. Sie lernt hier u. a., ihr Verhalten als Führungskraft, mit dem sie großen Einfluss auf das Wohl ihrer Mitarbeitenden hat, situativ anzupassen. Mit diesem Verständnis ist es möglich, sich selbst zu führen, aber auch die Kommunikation und Beziehungen zu den Mitarbeitenden wirksam zu gestalten. Es gilt darüber hinaus, mit den Mitarbeitenden in einen Dialog zu treten, um wiederum deren individuelle Bedürfnisse, Fähigkeiten und Verhaltensmerkmale herauszufinden und ihnen dann Aufgaben zu bieten, die auf die Befriedigung dieser Bedürfnisse und Fähigkeiten einzahlen.
Inwiefern kann die Eignungsdiagnostik dabei helfen, diese erfolgreiche Führungskraft zu finden?
Bei der Eignungsdiagnostik handelt es sich um die vertiefte Betrachtung der möglichen Eignung einer Person für eine Position. Sie ermöglicht eine standardisierte und damit objektivierende Identifizierung der wiederkehrenden Bedürfnisse bzw. berufsrelevanten Motivationen, der kognitiven Potenziale sowie der Verhaltensmerkmale und deckt damit alle drei Säulen ab. Somit bietet sie uns eine Grundlage, um Potenziale aktueller und künftiger Mitarbeiter*innen zu erkennen und richtig einzusetzen.
Wenn wir Eignungsdiagnostik in der Besetzung von Top-Management-Positionen einsetzen, achten wir sehr auf einen professionellen und verantwortungsvollen Umgang damit. Zunächst erstellen wir als Grundlage ein Anforderungsprofil, das die gewünschten Anforderungen des Arbeitgebers sowie die benötigten Potenzialschwerpunkte für die erfolgreiche Ausübung einer Stelle abbildet. Damit haben wir eine Vergleichsgrundlage zwischen Position und Teilnehmenden. Der nächste Schritt ist das Profiling: Um ein Gesamtbild der Kompetenzen eines Bewerbers oder einer Bewerberin zu erstellen, nutzen wir häufig das Online-Instrument ProfileXT aber auch das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) und als weitere Vertiefung zur Motivstruktur ID37. Hierbei werden mithilfe einer großen Zahl von Fragen die erfolgsrelevanten Eigenschaften einer Person mit den Anforderungen der Tätigkeit im konkreten Unternehmenskontext abgeglichen. Anhand der Ergebnisse können wir dann die Passung des Teilnehmers bzw. der Teilnehmerin prüfen.
Das Spannende an dieser Methode ist, dass wir nicht nur die kognitiven Fähigkeiten mit Hilfe von sprachlichen oder mathematischen Aufgaben testen, sondern es uns auch einen Überblick über die Motive bzw. die wiederkehrenden Bedürfnisse verschafft. Die Persönlichkeit bekommt eine Bühne. Diese Methodenvielfalt sollte aus wissenschaftlicher Sicht im Rahmen von Personalauswahl der Standard sein, ist es aber leider noch nicht. ID37 bietet zudem den vertieften Einblick in die Motivstruktur einer Person. Anhand von 16 Lebensmotiven wird hier ein präzises Persönlichkeitsprofil erstellt. Die Motive geben Auskunft darüber, warum eine Person handelt, was ihr im Leben wichtig ist und welche Gewohnheiten sie entwickelt, um dies zu erreichen. Daraus leitet sich ab, unter welchen Voraussetzungen eine Person zufrieden und leistungsstark ist und Herausforderungen meistern kann.
Gleichzeitig geht es bei der Eignungsdiagnostik aber auch um viel mehr, als mithilfe dieser Tests Persönlichkeitsmerkmale oder kognitive Stärken herauszuarbeiten. Es geht darum, mit den Teilnehmenden in einen Diskurs zu treten. Dieser hilft die eignungsdiagnostischen Ergebnisse in den richtigen Kontext setzen zu können, fördert die Verbalisierungsfähigkeit der Wahrnehmung und schafft so eine bessere Entscheidungsgrundlage für eine Einstellungsentscheidung. Aber es unterstützt in vielen Fällen auch die Bewerber*innen. Wir treten häufig so nochmals vor einer beruflichen Veränderung in einen Dialog über die tatsächlichen Antreiber für eine Bewerbung. Das Ergebnis ist mitunter der bewusste Rückzug aus dem Verfahren als Ergebnis unseres Dialogs. Als Berater bin ich daran interessiert, nur Menschen zu empfehlen, die auch bleiben. Das ist es, was ich mit Eignungsdiagnostik verknüpfe: Ich versuche, Menschen etwas Gutes zu tun. Sie auf dem Weg zu sich selbst zu unterstützen, zu ihren Stärken und ihrem beruflichen Erfolg. Das gelingt nicht immer, aber doch im Ergebnis erstaunlich oft.
Worauf muss man beim Einsatz von Eignungsdiagnostik noch achten?
Ich habe es bereits in der Vorfrage angerissen. Es geht um den professionellen und verantwortlichen Einsatz von Instrumenten dieser Art. Die Eignungsdiagnostik hat eine eher unschöne Historie, die in der Zeit des Nationalsozialismus beginnt. Damals hat man psychometrische Instrumente eingesetzt, um „Abnormalitäten“ bei Menschen zu diagnostizieren. In der Nachkriegszeit wurde das Thema Eignungsdiagnostik eher im klinischen Kontext eingesetzt. Angesichts dieser Historie herrschte – gerade in der 68er Zeit – der Tenor, dass diese Methode, die Menschen auf wenige Merkmale reduziert, in die falsche Richtung geht. Denn Menschen sind vielfältig und daher gilt – und das kann ich gar nicht genug betonen: Auch das beste Diagnostikinstrument kann einen Menschen nicht umfassend beschreiben. Es zeigt immer nur einen Ausschnitt. Es obliegt dann den Berater*innen, es verantwortlich einzusetzen und jede Analyse mit einem persönlichen Gespräch zu verbinden, das die Antworten der Person in den richtigen Kontext setzt.
Bis jetzt haben wir außerdem nur den Menschen betrachtet. Der Unternehmenskontext oder das System um ihn herum ist gleicher Maßen von Relevanz. Denn um die Potenziale eines Menschen richtig zu entfalten, benötigt er den richtigen Rahmen und die entsprechenden Ressourcen. Die Frage ist also immer auch, an welchem Punkt eine Organisation steht und wohin sie sich entwickeln muss. Dies ist eine Fragestellung, die wir immer häufiger zusammen mit dem Team von conPrimo, der contec-Strategieberatung, im Vorfeld eines Suchauftrags durchführen. Wenn wir hier ein klares Bild entwickelt haben, können wir ableiten, welche Persönlichkeit es braucht, um den Zielzustand zu erreichen. Manchmal braucht es eher Führungskräfte, die eine Organisation „schieben“, mal welche, die „ziehen“. An dieser Stelle gilt es in gleicher Weise genau hinzuschauen, um genau die Persönlichkeit einzustellen, mit der die Organisation ihre Ziele erreichen kann.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Prittwitz!
Interview: Lisa Ringele© Pexels