Entgeltverhandlungen in Jugendhilfe und Eingliederungshilfe
Gründe für die zeitnahe Entgeltverhandlung in der Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe gibt es derzeit unzählige. Wir verraten Ihnen, warum pauschale Fortschreibungen (wo überhaupt möglich) in diesen Zeiten mindestens gut geprüft werden sollten und wie Sie Ihre Entgeltverhandlungen in der Jugendhilfe und Eingliederungshilfe professionell vorbereiten.
Ein erfolgreiches Ergebnis der Entgeltverhandlungen mit den Leistungsträgern ist das A & O für die Wirtschaftlichkeit von Anbietern sozialer Dienstleistungen. Sach- und Personalkosten, aber auch Investitionen müssen auskömmlich refinanziert sein, um fachlich wertvolle pädagogische Arbeit für die Nutzer*innen garantieren zu können. Fachlichkeit und Qualität sowie betriebswirtschaftliches und juristisches Know-how bilden damit zwei Seiten einer Medaille. Erfolgreiche Verhandlungen und eine gesicherte wirtschaftliche Situation sind das Fundament für eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung in der Sozialen Arbeit. Doch was macht eine erfolgreiche Verhandlung aus? Wie sollte sie vorbereitet werden und wie kann man mit den Unsicherheiten durch die aktuellen Preisentwicklungen sowie durch fehlende Kalkulationsschemata und Landesvorgaben umgehen?
Das Ende der pauschalen Fortschreibung
Lange Zeit war eine pauschale Fortschreibung der Entgelte gerade in der Eingliederungshilfe eine für beide Seiten gute Variante. Sie kann bis zu einem gewissen Punkt bei Stabilität der Sachkosten und moderater Steigerung der Personalkosten auch sinnvoll sein. Doch die pauschale Fortschreibung hat Grenzen, vielfach bringt sie geringere Steigerungen als die Preis- und Tarifentwicklung mit sich, sodass viele Träger mittlerweile ihre Refinanzierung nicht mehr gesichert sehen.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen erfahren viele freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch Leistungserbringer der Eingliederungshilfe massive Unsicherheiten mit Blick auf ihre Entgelte und damit auf den Kern ihrer Wirtschaftlichkeit. Sozialgesetzliche Rahmenbedingungen wie die anstehenden Leistungs- und Vergütungsverhandlungen nach den Landesrahmenverträgen SGB IX werfen mehr Fragen als Antworten auf; die Bundesländer sind weit davon entfernt, klare Vorgaben zu machen. Hinzu kommen explodierende Energie- und Benzinpreise und die höchste Inflation seit langem, was eine enorme Steigerung der Sachkosten zur Folge hat. Im Bereich der Personalkosten werden sich die Ergebnisse der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst auswirken, sofern Leistungserbringer nach Tarif oder in Anlehnung daran vergüten. Viele Leistungserbringer klagen über hohe, kaum refinanzierte Kosten durch Zeitarbeit und den Druck, höher als Tarif zahlen zu müssen, um überhaupt Fachkräfte zu gewinnen.
Der Weg an den Verhandlungstisch ist somit für alle Anbieter in Kinder- und Jugendhilfe und mittlerweile auch der Eingliederungshilfe oft alternativlos.
Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen: Leistungen richtig definieren und kalkulieren
In der Kinder- und Jugendhilfe müssen je nach Leistungsangebot Entgelte jährlich neu verhandelt werden. Für die Eingliederungshilfe stehen die neuen Leistungs- und Vergütungsverhandlungen mit den Trägern der Eingliederungshilfe nach den Landesrahmenverträgen SGB IX ins Haus und die mühsam erarbeiteten Leistungsbeschreibungen werden auf den Prüfstand gestellt. Die fachlich-methodische Erarbeitung der neuen personenzentrierten Leistungsmodule war der erste Schritt, den die meisten Organisationen – vielfach auch in Zusammenarbeit mit contec – bereits gemeistert haben. Parallel dazu und auch weiterhin ist der kulturelle Change in den Organisationen eine der größten Herausforderungen, denn die Leistungen müssen auch personenzentriert erbracht werden. Es wird weitere Schulungen und Kulturarbeit mit den Mitarbeitenden brauchen, um die diesen Change vom Papier in die Köpfe und ins Handeln zu bekommen. Eine wirtschaftlich gesicherte Basis ist dafür ungemein wichtig. Leistungserbringer und auch Mitarbeitende müssen die Sicherheit haben, dass die neue Form der Assistenz und der benötigte Personalmix refinanziert und der Stellenschlüssel und die benötigten Qualifikationen vom Leistungsträger anerkannt und ggfs. angepasst werden.
Doch jetzt kommt der Haken: Obwohl die Zeit drängt – einige Übergangsfristen wurden bereits verlängert – gibt es Stand jetzt in keinem Bundesland eindeutige Vorgaben und Rahmenbedingungen für die anstehenden Verhandlungen. Einzelne Bundesländer schlagen wieder die pauschale Fortschreibung vor, was das oben beschriebene Dilemma angesichts der Kostensteigerungen eher erhöht. Wir empfehlen deshalb, unbedingt die bestehenden Entgelte zu prüfen und ggfs. eine Einzelverhandlung einzuleiten. Und wer dies nicht angehen möchte, sollte dennoch im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen die Leistungsbeschreibungen kritisch prüfen und Leistungen kalkulieren, um professionell in die Verhandlungen einzusteigen, wann immer die Leistungsträger dann dazu auffordern.
Dabei gilt es zu beachten:
- Anders als in der Pflege gibt es weder in der Kinder- und Jugendhilfe noch in der Eingliederungshilfe einheitliche Schemata für die Leistungskalkulation. Recherchieren Sie mögliche Kalkulationsschemata und passen Sie diese auf Ihr Leistungsangebot an, um mindestens eine grobe Orientierung für die Vorgehensweise zu haben
- In Vorbereitung auf die Verhandlungen ist es sinnvoll, die Aspekte aus den Leistungsbeschreibungen herauszufiltern und aktuell zu bewerten, die für die tatsächliche Kalkulation relevant sind (z. B. benötigtes Personal, Ermittlung der direkten und indirekten Arbeitszeit, Fahrt- und Transportkosten, anstehende Investitionen, geplante Fort- und Weiterbildungen und Supervisionen etc.)
- Kultureller oder organisatorischer Change bedarf auch Ressourcen. Wie könnte man dies in Entgeltverhandlungen geltend machen? Was benötigen Sie vom Leistungsträger hierfür?
- Wie kann das unternehmerische Risiko über die Entgelte abgebildet werden?
Entgeltverhandlungen in Jugendhilfe und Eingliederungshilfe: Vorbereitung ist alles
Um ein wirtschaftlich nachteiliges Ergebnis der Entgeltverhandlungen zu verhindern, müssen sich Träger der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe so professionell wie möglich vorbereiten.
Nicht jeder Träger verhandelt jährlich seine Entgelte und gerade kleineren Organisationen fehlt es somit an Verhandlungsroutinen, das persönliche Verhältnis zum Leistungsträger ist vielleicht noch nicht gewachsen.
Die erwartete Kostenentwicklung sollte ausgehend von den IST-Werten des Vorjahres aufbereitet und die unterschiedlichen Kostenarten sowie die einzelnen Aufgabenbereiche der Organisation transparent dargestellt werden. Die Kernanforderungen an diese Darstellungen sind:
- schlüssig,
- strukturiert,
- konkret,
- realistisch.
Als Basis dienen der Jahresabschluss des Vorjahres und – falls vorhanden – das Kostencontrolling, der Tarifvertrag bzw. die Gehaltstabelle und damit die prospektiven Personalkosten, aber auch Kostenvoranschläge von Dienstleistern für geplante Investitionen können eine gute Grundlage sein, um plausibel und realistisch die erwartete Kostenentwicklung für die Entgeltverhandlungen darzulegen.
Vielen Leistungserbringern fehlt es aber oft an einem differenzierten oder professionellen Controlling oder die notwendigen Daten liegen nicht in systematisierter Form vor. Hier gilt es zunächst zu prüfen, wie die Daten kurzfristig beschafft werden können. Mittelfristig muss aber die gesamte wirtschaftliche Steuerung so aufgestellt werden, dass die notwendigen Daten und Dokumente, die es für die Vorbereitung der Entgeltverhandlungen braucht, nicht nur ,griffbereit‘, sondern auch übersichtlich sind.
Ziel muss sein, dass anhand Ihrer Darstellung die Plausibilität der erwarteten Entwicklung geprüft werden kann. Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage – Inflation, explodierende Benzin- und Energiepreise als auch wachsende Kosten aufgrund von Zeitarbeit und Personalakquise – ist die Situation natürlich besonders heikel, da momentan nicht vorherzusehen ist, wie sich diese Preisentwicklung fortsetzen wird. So oder so muss mit erheblichen Mehrkosten gerechnet und entsprechend verhandelt werden.
Vergleichbarkeit zu anderen Leistungserbringern
Neben der Plausibilitätsprüfung kann im Rahmen der Entgeltverhandlungen im SGB IX auch die Vergleichbarkeit der geforderten Vergütung zu anderen ähnlichen Leistungserbringern geprüft werden. Nach § 124 Abs. 2 SGB IX ist eine Vergütungsforderung dann angemessen, wenn Sie im Vergleich zu der Vergütung anderer Leistungserbringer mit ähnlichen Angeboten im unteren Drittel liegt. Dieser Aspekt ist in vielerlei Hinsicht jedoch problematisch. Erstens droht eine Abwärtsspirale, in der sich Leistungserbringer gegenseitig zu unterbieten versuchen, um beispielsweise den Zuschlag für ein neues Angebot zu bekommen. Zweitens ist eine solche Vergleichbarkeit für Leistungserbringer nicht einfach herzustellen, es bräuchte Datenbanken, die die genauen Leistungsbeschreibungen aller Anbieter sowie Transparenz über die Vergütungssätze enthalten müssten. Auf lange Sicht ist es deshalb sinnvoll, die Unternehmensstrategie so auszurichten, dass man sich über die Einzigartigkeit seiner Angebote und Konzepte gewissermaßen dem Vergleich entzieht. Tipps für Ihre Unternehmensstrategie finden Sie in unserem Artikel „Strategieentwicklung in der Sozialen Arbeit: Tipps aus der Beratung“
Professionelle Entgeltverhandlungen: Für Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe der sicherste Weg zur Wirtschaftlichkeit
Es lässt sich zusammenfassen: Die Voraussetzungen in der Eingliederungshilfe mit Blick auf die unsicheren Rahmenbedingungen in den Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sind sicherlich derzeit schwieriger. Dennoch ist es derzeit absolut sinnvoll – in der Eingliederungshilfe als auch der Kinder- und Jugendhilfe – die Vergütungsvereinbarungen kritisch zu überprüfen und ggf. neu zu verhandeln, um wirtschaftlicher zu agieren. In beiden Teilbranchen ist eine gute Vorbereitung alles.
Die groben Schritte zur erfolgreichen Entgeltverhandlung, wie sie auch in der Beratung der contec zur Anwendung kommen, sind die folgenden:
- IST-Analyse der Leistungsbeschreibungen: Diese sollten geprüft und auf die für die Kostenkalkulation relevanten Aspekte hin analysiert und ggf. ergänzt werden
- Ungenutzte Potenziale der Refinanzierung aufdecken, auch im Benchmark mit vergleichbaren Angeboten
- Aufbereitung/Nutzung möglicher Kalkulationsschemata und die Überführung der aus den Leistungsbeschreibungen abgeleiteten Informationen in die entsprechenden Dateien
- Erstellung der prospektiven Kalkulation und Prüfung der Plausibilität
- Finalisierung der Unterlagen für die Entgeltverhandlung
- Tatsächliche Verhandlung
Die Leistungsbeschreibungen und die dazugehörigen Kalkulationen sollten „wie aus einem Guss“ sein und einheitliche Aussagen treffen. Für eine erfolgreiche Verhandlung braucht es sowohl die pädagogische Fachlichkeit als auch das betriebswirtschaftliche und juristische Know-how, damit Fachlichkeit und Wirtschaftlichkeit sich ergänzen und entsprechen.
Text: Andrea Wehling/Marie KrampBirgitta Neumann
Wir begleiten Sie gern bei jedem einzelnen Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Entgeltverhandlung und auf Wunsch sitzen wir auch mit am Verhandlungstisch. Sprechen Sie uns unverbindlich an!
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