Hohe Energiekosten: Was Pflegeeinrichtungen tun können
Der geplante Energie-Hilfsfonds der Bundesregierung ist ein Lichtblick für die Pflegebranche nach vielen Wochen unsicheren Wartens. Doch trotz Hilfsfonds werden soziale Einrichtungen auch auf lange Sicht mit steigenden Energie- und Sachkosten umgehen müssen und sollten sich daher angesichts der geplanten Hilfen nicht zurücklehnen. Wir haben mit zwei contec-Experten darüber gesprochen, an welchen Stellschrauben man drehen kann, um der Inflation in der Pflege und den hohen Energiekosten zu begegnen.
- 1. Steigende Energiekosten: Eine Herausforderung für die Pflege
- 2. Kurzfristige Maßnahmen: Entgeltverhandlungen und Energiesparen
- 3. Mittelfristige Maßnahmen: Sachkostenmanagement und Verwaltungsoptimierung
- 4. Langfristig Energiekosten sparen: Immobilien als zentraler Faktor
Steigende Energiekosten: Eine Herausforderung für die Pflege
Herr Merkel, Herr Pews, wie nehmen Sie die Sorgen und Ängste mit Blick auf die steigenden Energiekosten in der Pflege gerade wahr? Welche Bereiche sind besonders stark betroffen?
Martin Merkel: In vielen unserer Beratungsprojekte und Interim-Mandate in der Pflege ist das Thema Kostensteigerung akut. Selbst in Unternehmen, die wirtschaftlich gut aufgestellt sind, wird mit Argus-Augen auf die Preisentwicklungen geschaut, weil die Erreichung von Jahresprognosen dadurch auf der Kippe stehen könnte. Beinahe der gesamte Bereich der Sachkosten ist maßgeblich von den Preissteigerungen betroffen. Einerseits durch die steigenden Energiekosten selbst, denn viele Einrichtungen heizen mit Gas oder Fernwärme und haben keine langfristige Preisbindung in den Verträgen. Aber auch die Inflation trägt zu direkten sowie indirekten Preissteigerungen bei, z. B. durch die Berechnung zusätzlicher Logistikaufschläge. Standen bislang häufig die Personalkosten im Mittelpunkt von Optimierungsstrategien, rückt nun die effiziente Steuerung der Sachkosten mehr in den Fokus. Erfahrungsgemäß haben es dabei die Einrichtungen etwas leichter, die einen gut aufgestellten Einkauf haben, vielleicht sogar eine Person, die diesen federführend verantwortet.
Mathias Pews: Ich nehme ein differenziertes Bild wahr und habe das Gefühl, dass einige Einrichtungen den Ernst der Lage noch nicht unbedingt erfasst haben. Die Notwendigkeit, auch selbst zur Tat zu schreiten und z. B. das Sachkostenmanagement zu optimieren ist definitiv gegeben – auch unabhängig von der inzwischen konkretisierten Unterstützung seitens des Bundes.
Kurzfristige Maßnahmen: Entgelt-
verhandlungen und Energiesparen
Was können Einrichtungen kurzfristig tun, um mit den steigenden Energiekosten und den hohen Einkaufspreisen umzugehen?
Martin Merkel: Das hängt auch davon ab, in welchem Bundesland die Einrichtung sich befindet. Entgeltverhandlungen für auskömmliche Pflegesätze sind innerhalb der Laufzeiten der zuletzt geschlossenen Vereinbarungen zunächst nicht vorgesehen. Es werden nun aber auf Landesebene Regelungen getroffen, die die spezielle Entwicklung berücksichtigen. Etwa in Niedersachsen können Betreiber zwischen drei Möglichkeiten wählen:
- 1. Reguläre Pflegesatzverhandlungen unter Berücksichtigung zurückliegender Sachkostensteigerungen
- 2. Abschluss einer Ergänzungsvereinbarung bei unzumutbaren Kostensteigerungen
- 3. Vereinfachtes Verfahren durch pauschale Vergütungszuschläge
Man kann demnach z. B. eine Energiepauschale vereinbaren und so die Mehrkosten refinanzieren – ein bisschen also wie beim Corona-Schutzschirm. In anderen Ländern gibt es ähnliche Lösungen, in manchen steht ein Weg noch aus.
☛ Tipps:
- 85 SGB XI ermöglicht unterjährige Neuverhandlungen für den Fall, dass eine unerwartete Veränderung beim Pflegeheimbetreiber eintritt (z. B. Veränderung der Platzzahl). Dies kann unter Umständen genutzt werden.
- Bereiten Sie die Neuverhandlungen der Entgelte sorgfältig vor: saubere und transparente IST-Darstellung und realistische erwartete Kostenentwicklung (aktuell vereinbarte Sätze plus Inflation)
- Lassen Sie sich nicht auf Angebote ein, die Ihre tatsächlichen Kosten nicht abdecken werden – im Zweifelsfall lohnt der Gang vor die Schiedsstelle.
Mathias Pews: Zudem gelten natürlich auch die allgemeinen Empfehlungen zum Energiesparen. Wir sprechen hier von vulnerablen Gruppen, Frieren ist also keine Option. Deshalb ist es auch richtig, dass Pflegeheime von den staatlichen Regelungen zum Energiesparen so gut wie ausgenommen wurden. Aber so banal es auch klingt, ich kenne immer noch viele Einrichtungen, die bei gekipptem Fenster im Pflegebad die Heizung voll aufdrehen oder die Treppenhäuser durchgehend trotz großer Fensterflächen beleuchten. Das ist natürlich eine unnötige Energieverschwendung und solche Beispiele gibt es viele.
Tipps zum alltäglichen Energiesparen bekommt man mittlerweile überall und möglicherweise kann im Falle sozialer Einrichtungen auch ein professioneller Energieberater individuelle Effizienzmaßnahmen empfehlen, die auf die (technischen) Besonderheiten einzelner Einrichtungen passen, z. B. die Optimierung von Schaltplänen in der Großküche und das Einbauen von Sparwasserköpfen.
Es lohnt sich zudem, einen Schritt zur Seite zu gehen und die Thematik Energieeffizienz abseits des täglichen Ablaufs zu betrachten. Sehr gute Erfahrungen habe ich beispielsweise mit einer Arbeitsgruppe aus Mitarbeitenden verschiedener Berufsbilder gemacht, die für ihre Einrichtung Einsparpotenziale aufgetan haben. Die Vorschläge wurden durchgerechnet und anschließend von den Mitarbeitenden vorgestellt. Das traf auf eine viel größere Akzeptanz als der erhobene Zeigefinger.
Mittelfristige Maßnahmen: Sachkostenmanagement und Verwaltungsoptimierung
Das Thema der steigenden Sach- und Energiekosten wird uns voraussichtlich noch eine Weile begleiten und die finanzielle Unterstützung des Bundes – wie auch immer sie letztlich aussehen wird – wird irgendwann ausgeschöpft sein. Was können Pflegeeinrichtungen denn mittel- bis langfristig tun, um der Problematik zu begegnen?
Martin Merkel: Ein professionelles Sachkostenmanagement und effiziente Strukturen sind maßgeblich mit Blick auf die derzeitigen Entwicklungen, aber sie sind keine kurzfristige Lösung. Strukturen und Prozesse werden nicht über Nacht angepasst. Geht man ein solches Vorhaben aber richtig an, gibt es gleich mehrere Bereiche, die davon auf unterschiedlichen Ebenen profitieren:
- Klare Verantwortlichkeiten und eine zentrale Übersicht über den Einkauf ermöglichen Rahmenverträge mit guten Laufzeiten und Preisbindungen und ein Netzwerk an Dienstleistern
- Der Bestand an Materialen und Ausgaben wird ständig gesteuert
- Durch Standardisierung und klare Prozesse können auch Arbeitsressourcen geschont werden, die dann im direkten Bewohnendenkontakt eingesetzt werden können
- Der Schulterschluss von Verwaltung und Operativen sowie der regelhafte Austausch verbessern die Qualität (z. B. durch einen Austausch über einzusetzende Pflegematerialien zwischen den Mitarbeitenden)
Ein professionelles Sachkostenmanagement lässt sich im Zuge einer Verwaltungsoptimierung einführen, aber so ein Projekt braucht etwas Zeit und Ressourcen. Idealerweise gibt es ein koordiniertes Projektteam im Unternehmen aus operativen Fachkräften/PDL, Führungs- und Verwaltungskräften. Nach einer Analyse von Prozessen, Strukturen oder Kennzahlen können Optimierungspotenziale identifiziert und mit nötigen Maßnahmen hinterlegt werden. Um kurzfristig Energie- oder Sachkosteneffekte zu realisieren, eignet sich dies also nicht. Mit Blick darauf, dass die Kostensteigerungen uns aber wohl noch einige Zeit begleiten werden, sollte ein solches Vorgehen als sinnvolle Maßnahme dennoch in den Fokus rücken.
Langfristig Energiekosten sparen: Immobilien als zentraler Faktor
Mathias Pews: Energiekosten und -effizienz sind ja derzeit nicht nur wegen der explodierenden Preise Thema. Mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird auch der Wunsch in der Pflege größer, in bauliche Maßnahmen zum Energiesparen zu investieren. Das Problem: Im Moment wird dieses wichtige Thema in den Investitionskosten nicht berücksichtigt. Es ist verständlich, dass diese bewohnernah eingesetzt werden, z. B. beim Umbau zu Einzelzimmern oder bei der Modernisierung von Bädern. Aber derzeit sind keine monetären Anreize und keine Refinanzierungsmöglichkeit dafür da, Bestandsimmobilien energetisch zu sanieren – zumindest nicht über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinaus.
Dasselbe gilt auch für Neubauten. Häufig werden die Bemessungsgrenzen schnell erreicht und dann gibt es für Betreiber keinen Spielraum mehr für höhere Investitionen. Im ungünstigsten Fall werden die durch zusätzliche Investitionen eingesparten Betriebskosten den Pflegeheimen bei der nächsten Entgeltverhandlung wieder abgenommen. Eine Refinanzierung der höheren Aufwendungen ist damit unmöglich.
Aber trotz der aktuell noch fehlenden Refinanzierung kann es sich für Träger von Pflegeheimen lohnen, einen IST-Status zu erheben, sich am Markt umzuschauen, was vielleicht schon geht und über mögliche Finanzierungsstrategien nachzudenken. In vielen Einrichtungen, die vor 2004 eröffnet wurden, fand z. B. kein dokumentierter hydraulischer Abgleich statt. Durch einen solchen können Einrichtungen aber sieben Prozent Energie einsparen.
Auch wenn die Bundesregierung nun konkretisiert hat, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen unkompliziert über einen Energie-Hilfsfonds zu entlasten, empfehlen wir Trägern dringend, sich auch mittel- bis langfristig mit dem Thema Energie- und Sachkosten zu befassen. Und das nicht nur vor dem Hintergrund der Kostensteigerungen, sondern auch, weil immer mehr Träger Nachhaltigkeitsstrategien in ihr Leitbild aufnehmen.
Redaktion: Marie Kramp © Looker_Studio/ Adobe StockMartin Merkel
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