Digitalisierung – Eine Chance für die Eingliederungshilfe?
Das Potential von digitalen Technologien wird in der Sozialwirtschaft noch lange nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil, glaubt man Entrepreneur und Consultant Hartmut Kopf in dem Artikel „Digitalisierung und Non-Profits – 3 Thesen“ ist die Sozialwirtschaft mindestens zehn Jahre hinter der Entwicklung der Digitalisierung zurück. Aber welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung und was ist dabei in der Eingliederungshilfe zu berücksichtigen?
Keine Scheu vor Veränderungen – Ansätze der Digitalisierung
Das vom Fachverband der IT in der Sozialwirtschaft FINSOZ e.V. veröffentlichte Positionspapier gibt erste Anregungen, wie digitale Prozesse den Arbeitsalltag auch in der Behindertenhilfe effizienter gestalten können. Denn die digitale Umstellung ist ein nicht zu unterschätzender Schritt. Dabei wird bei dem Thema Digitalisierung in der Sozialwirtschaft häufig an digitale Abrechnungssysteme oder eine effizientere Dienstplanung über eine Software gedacht. Digitalisierung beschränkt sich aber nicht nur auf interne Verwaltungsprozesse, bei denen man sich vor allem um Einsparungen der in- und direkten Kosten bemüht. Sie betrifft zunehmend weitere Bereiche des Unternehmens wie z.B. das Personalwesen. Personalmarketing und Bewerbermanagement gewinnen in der Sozialwirtschaft an Bedeutung, denn gutes Personal ist schwer zu finden. Diese Bereiche verlagern sich immer mehr auf digitale Kanäle. Plattformen wie Xing, LinkedIn und kununu gewinnen damit langfristig an Relevanz und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Und das sind nur einige Beispiele. Außerdem können im Bereich der Personalentwicklung mit E-Learning und Online-Weiterbildungen neue Angebote für Mitarbeitende geschaffen werden. Arbeitgeberattraktivität ist hier ein relevantes Stichwort.
Auch extern eröffnen sich neue Möglichkeiten. Eine ausgedehnte Social Media-Nutzung kann z.B. das Fundraising erleichtern, Ehrenamtliche schneller akquirieren und eine Plattform zur Organisation bieten oder den Bekanntheitsgrad des Unternehmens steigern. Zudem gewinnt das Thema Digitalisierung insbesondere einen Einfluss auf die Werkstätten, in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten, denn Industrie 4.0 ist schon lange präsent. Das wird von vielen in der Sozialwirtschaft als kritisch angesehen, kann aber auch Chancen bieten, denn intelligente Assistenzsysteme ermöglichen teilweise auch eine flexiblere Anpassung an den Arbeitsplatz und neue Formen des Arbeitens.
Besonders interessant für die Eingliederungshilfe sind auch die Möglichkeiten, die eigenen KlientInnen und deren Angehörigen im Rahmen der Digitalisierung einzubinden. Dadurch kann im richtigen Setting die Teilhabe gefördert werden und neue Plattformen angeboten werden, ins Gespräch zu kommen und die Klienten und Klientinnen selbst in die Leistungen stärker miteinzubeziehen. Hier geht es auch um das Thema der Qualitätssicherung und damit um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Dabei ist die Art und Weise der Ausgestaltung des Settings und der Umsetzung entscheidend. Digitale Barrierefreiheit ist dabei nicht verhandelbar. Eine gute Zusammenarbeit und ein stetiger Austausch zwischen den beteiligten Akteuren ist die Grundlage, damit digitale Anbieter bedarfsgerechte Lösungen entwickeln können. Damit alle Beteiligten profitieren, muss das Know-how und die Praxiserfahrung aus der Behindertenhilfe in den Prozess miteinfließen und Mitarbeitende und Klienten entsprechend einbezogen werden. Richtig umgesetzt könnten damit bestehende Probleme lösungsorientiert in der Eingliederungshilfe angegangen werden und die Branche langfristig weiterentwickelt werden.
Nichtsdestotrotz muss man sich vor Augen führen: Durch die Digitalisierung entstehen viele Veränderungen, was häufig auch mit Verunsicherungen einhergehen kann: Im direkten Arbeitsalltag verändern sich Kommunikation, Strukturen und Rahmenbedingungen. Langfristig können sich neue Finanzierungsformen und Geschäftsmodelle, mit denen bisher keine Erfahrungen gesammelt wurden, daraus entwickeln. Das bringt rechtliche Grauzonen mit sich, die die Sozialwirtschaft ausloten muss. Dabei sollte stets im Bick bleiben, dass es nicht das Ziel sein sollte „das Rad neu zu erfinden“ oder Leistungen schlicht zu ersetzen, sondern Digitalisierung zu nutzen, um Mitarbeitenden Hilfestellungen bereitzustellen und Betroffenen sowie Angehörigen ein besseres Angebot machen zu können. Es geht also in erster Linie um eine Qualitätssteigerung.
Digitalisierung in der Eingliederungshilfe – Aber wie?
Häufig wird von Digitalisierung gesprochen, ohne dass ein konkretes Konzept dahintersteht. Dabei ist es wichtig, sich mit folgenden Leitfragen im Vorfeld auseinanderzusetzen:
1. Was bedeutet Digitalisierung für mich als Führungskraft in der Eingliederungshilfe und meinen Betrieb?
2. Was beinhaltet meine derzeitige Unternehmensstrategie und passt Digitalisierung in mein Konzept?
3. Auf welche Abteilungen und Bereiche beziehen sich die Umstellungen und welche Prozesse sind davon betroffen?
4. Wie können Mitarbeitende/KlientInnen/Angehörige mitgenommen und sinnvoll am Prozess beteiligt und eingebunden werden?
5. Welche Partner und Netzwerke sind sinnvoll und notwendig?
Mit diesen Leitfragen wird ein schrittweises Vorgehen illustriert: Dabei muss zunächst eine Klarheit über Digitalisierung selbst gewonnen werden, bevor ein Abgleich mit der Unternehmensstrategie erfolgt. Nur wenn Ziele konkretisiert sind, können entsprechende Konzepte und Maßnahmen bewertet und richtig eingeordnet werden. Anschließend sollte der Fokus auf die einzelnen betroffenen Bereiche des Unternehmens gelegt und auch auf der Prozessebene betrachtet werden. Dabei geht es vor allem um eine gesamtheitliche Betrachtung und eine Berücksichtigung der Interdependenzen, um den Umfang der Veränderungen abschätzen zu können. Wenn man sich für den Schritt in die Digitalisierung entscheidet, sollten, wie bereits erwähnt, Methoden für die Einbindung der Adressaten, also Mitarbeitende und gegebenenfalls KlientInnen, entwickelt werden. Zudem müssen Konzepte erarbeitet werden, wie man diese auf ihrem derzeitigen Entwicklungsstand in Bezug auf Digitalisierung abholt und durch den gesamten Prozess führen kann. Grundlegend müssen Überlegungen hinsichtlich möglicher Partner und Netzwerke angestellt werden, mit denen man gemeinsam nachhaltige, bedarfsgerechte Lösungen in zukunftsfähigen Versorgungsstrukturen entwickeln kann. Es gilt das Motto: Mit Partnern die Zukunft gestalten!
Birgitta Neumann
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