„Der Stellenwert der Akademisierung ist ausbaufähig – beispielsweise durch eine Quote“
Wie schlecht steht es wirklich um unseren Pflegenachwuchs? Die Auszubildendenzahlen steigen zwar, aber der zu erwartende Bedarf an Pflegefachkräften wird damit nicht zu decken sein. Das Thema Pflegeausbildung kann in seiner Relevanz kaum überschätzt werden, prägt doch diese Phase maßgeblich, ob junge Pflegende sich nachhaltig mit ihrem Beruf identifizieren können. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und widmet dem Thema Ausbildung eine eigene Arbeitsgruppe in der Konzertierten Aktion Pflege. Wir haben einigen wichtigen Vertreter*innen der Branche dieselben Fragen gestellt, um unterschiedliche Perspektiven auf Fragen der Generalistik, der Qualität, der Digitalisierung und der Wertschätzung in der Pflegeausbildung zu beleuchten.
Lesen Sie hier das Interview mit Alexander Wilker und Sina Steffen, Projektleiter und -leiterin des Projektes care4future – SchülerInnen für die Pflege begeistern.
Wie steht es Ihrer Meinung nach um den Pflegenachwuchs in Deutschland?
Alexander Wilker: Die aktuelle Nachwuchssituation in der Pflege sehen wir von care4future kritisch. Das liegt u.a. und zu einem großen Teil an dem negativ konnotierten Bild, das die Medien vom Berufsfeld zeichnen. Häufig wird einseitig über die vermeintlich ungünstigen und widrigen Aspekte, wie z.B. schlechte Bezahlung, ungünstige Arbeitszeiten, Belastung und Stress diskutiert und berichtet. Zudem verhindert die Politik mit ihrer Parole „Jede/r kann pflegen“, dass diesem anspruchsvollen Beruf eine angemessene Wertschätzung zukommt. Im Rahmen einer innovativen, positiven Konnotation muss dies dringend durchbrochen werden – indem man darstellt, welche positiven Aspekte diese Tätigkeit bietet: Echtes Helfen ist anspruchsvoll und weckt positive Emotionen, weil man vom Gegenüber unmittelbares Feedback erhält. Das Projekt „care4future“ zeigt dem Nachwuchs eben genau diese positiven und schönen Aspekte auf, den SchülerIinnen wird der Pflegeberuf auf einer emotionalen Ebene nah gebracht. Indem sie die Reaktionen der PatientInnen und BewohnerInnen unmittelbar erleben, wird ihnen verdeutlicht, warum sich Auszubildende für diesen Beruf entschieden haben.
Pflegeberufegesetz: Gut oder schlecht?
Sina Steffen: Der Grundgedanke einer generalistischen Ausbildung ist gut, denn den Weg für eine Gleichstellung der verschiedenen Pflegeberufe zu ebnen, würde die Wertschätzung der drei verschiedenen Sparten erhöhen. Das Problem ist, dass die Politik es verpasst hat, eine wirklich generalistische Ausbildung zu schaffen. Die Generalistik hätte so sein sollen, dass erst nach einer für alle identische, dreijährige Ausbildung eine Spezialisierung auf einen der drei Teilbereiche erfolgen sollte. Nach erfolgter Ausbildung hätten dann alle Pflegefachkräfte den gleichen Wissensstand, damit würde nicht nur die fachliche Kompetenz erhöht, die AbsolventInnen könnten sich auch ganz bewusst für einen der drei Bereiche entscheiden. Einer echten und bundesweiten Generalistik steht zudem der Föderalismus im Weg, denn jedes Bundesland wird weiterhin seine eigenen Lehrpläne festlegen. Ein weiteres Problem besteht auch darin, dass der Lerninhalt reduziert werden muss, da quasi die theoretischen Inhalte von drei verschiedenen Berufsfeldern in einer Ausbildung vermittelt werden, zudem lässt sich eine Herabsetzung der Zugangsvoraussetzungen befürchten – beides hätte einen starken Qualitätsverlust zur Folge – man muss sich als Gesellschaft die Frage stellen, ob man das will.
Welche Probleme sehen Sie hinsichtlich der Qualität der Ausbildung (Generalistik)?
Alexander Wilker: Gerade für die demografische Entwicklung ist es von Vorteil, wenn Pflegefachkräfte einen generalisierten Wissensstand aufweisen. So weist z.B. ein Krankenpfleger oder eine Krankenpflegerin auch fundiertes Wissen aus der Altenpflege (Demenz, Validation) auf, was im Hinblick auf die Überalterung der Gesellschaft von großem Vorteil ist. Ein negativer Punkt ist vor allem, dass das Wissen von drei Berufen nun in drei Jahren vermittelt werden muss, die dafür wegfallende Zeit wird sich nicht positiv auf die praktische Ausbildung auswirken. Daher stellt sich die Frage, ob wir GeneralistInnen oder SpezialistInnen haben möchten? Denn natürlich ist es auch sinnvoll, in einigen Bereichen SpezialistInnen zu haben.
Findet Ihrer Meinung nach eine ausreichende Vorbereitung des Nachwuchses auf die Digitalisierung im Arbeitsalltag statt?
Sina Steffen: Im Bereich der Krankenpflege hat die Digitalisierung schon einen großen Bestandteil eingenommen, ist jedoch noch ausbaufähig. Die Pflege sollte darauf achten, digitale Hilfsmittel umfassend auszuschöpfen, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern. Auch in der Altenpflege wird die Digitalisierung genutzt, doch auch hier kann der Bedarf noch weiter ausgeschöpft werden: Digitale Patientenakten oder auch Lifter sind teilweise nicht vorhanden, da der Kostenfaktor zu hoch ist. Die Ausbildungsinhalte werden auch hier so gut es geht vermittelt, sind gewisse digitale Hilfsmittel jedoch nicht vorhanden, kann keine Praxisanleitung stattfinden. Ansonsten wird der Nachwuchs keine Probleme mit der Digitalisierung haben und in dieser Hinsicht gut aufgestellt sein.
Was sind Ihre Erwartungen an die Konzertierte Aktion Pflege?
Alexander Wilker: Wichtig ist, dass die aktuellen Probleme und Themen angepackt werden, dass die Personalsituation verbessert sowie die Akademisierung der Pflege stärker fokussiert wird. Zudem sollte es eine berufsgruppenübergreifende, einheitliche Bezahlung geben, damit nicht etwa eine Krankenpflegerin mehr verdient als beispielsweise eine Altenpflegerin. Von entscheidender Bedeutung sollte ebenso der Netzwerkgedanke sein. Der von „care4future“ verfolgte Ansatz, in Netzwerken zu arbeiten, um Unternehmen die Hilfestellung zu geben, regional an ihren Problemen zu arbeiten, sollte durch die Konzertierte Aktion Pflege explizit gefördert werden. Die Rahmenbedingungen für alle diese Probleme zu ermöglichen, wird die große Herausforderung für die Politik sein.
Welche Gründe bewegen Jugendliche dazu, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen bzw. nicht zu beginnen?
Sina Steffen: Projekte wie „care4future“ bringen Jugendliche dazu, sich für eine Ausbildung in der Pflege zu entscheiden. Anhand des direkten Kontaktes zu den PatientInnen und BewohnernInnen erhalten interessierte SchülerInnen unmittelbares Feedback, indem sie die Dankbarkeit und die positiven Emotionen direkt erleben. Auf diese Art wird den Jugendlichen ein wertschätzendes und attraktives Berufsbild vermittelt. Die Attraktivität des Berufes liegt vor allem auch darin, dass er sehr sozial ist – und ein fachlich kompetentes Helfen sorgt für große innere Zufriedenheit. Außerdem müsste sich die Darstellung des Berufes in öffentlichen Medien und Politik dahingehend ändern, dass der Fokus nicht mehr auf den negativen Aspekten (Bezahlung/Belastung/Stress) liegt, sondern gerade die positiven Seiten ins Zentrum gerückt werden. Dazu gehört ebenso, dass Pflegekräfte durch Erinnerung daran, warum sie diesen anspruchsvollen Beruf gewählt haben, deutlich die positiven Seiten in den Mittelpunkt stellen sollten, was oftmals nicht der Fall ist – meist wird ein schlechtes Bild vermittelt, indem auf viele Überstunden, Nachtdienste, Wochenendarbeit usw. hingewiesen wird.
Welchen Stellenwert hat die Akademisierung der Pflege im momentanen Kontext?
Alexander Wilker: Der Grundgedanke, die Pflege anhand einer Akademisierung noch professioneller zu machen, ist sehr gut – denn studierte Fachkräfte bringen hohe Kompetenzen für diesen Beruf mit. Allerdings wird der jetzige Personalmangel nur dazu führen, dass studierte Pflegefachkräfte bloß als „normale“ Fachkräfte eingesetzt werden können, um den grundlegenden Bedarf zu decken. Das heißt, der Bedarf an akademisierten Fachkräften ist momentan nicht gegeben, nicht studierte Fachkräfte werden ohnedies wegen ihrer höheren Praxiserfahrung vorgezogen. Zudem hätte die Politik die Möglichkeit, Stellen für Studienabsolventen per Quote festzulegen, um eine höhere Akademisierung der Pflege zu erreichen. Der Stellenwert der Akademisierung ist also durchaus noch ausbaufähig und könnte noch mehr ausgeschöpft werden.
Sina Matysek
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