Das neue KJSG und die inklusive Lösung: Das erwartet die Kinder- und Jugendhilfe
Besserer Kinder- und Jugendschutz, Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien und Einrichtungen der Erziehungshilfe, Hilfen aus einer Hand für Kinder mit und ohne Behinderung (inklusive Lösung), mehr Prävention vor Ort und mehr Beteiligung der jungen Menschen und ihrer Familien – das sind die fünf Bereiche, in denen sich die tiefgreifenden Veränderungen des neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) bewegen. Was die Reform des SGB VIII nun an Handlungsbedarfen in der Branche hervorruft – und was die ersten notwendigen Schritte sind – das möchten wir Ihnen übersichtlich zusammenfassen, gespickt mit Handlungsempfehlungen unserer Expert*innen.
→ Hinweis: Diesen Artikel haben wir für Sie erweitert. Hier geht es direkt zum neuen Inhalt: Öffentliche Träger & Finanzierung
- 1 – Betriebserlaubnis und Leistungserbringungsrecht: Was ist neu im KJSG und was zu tun?
- 2 – Zuverlässigkeit als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis
- 3 – Konzeptionelle Aufgaben durch das neue KJSG: Gewaltschutzkonzept, Beschwerdemanagement und mehr
- 4 – Die inklusive Lösung im neuen KJSG
- 5 – Neue Angebote konzipieren und umsetzen
- 6 – Personal befähigen und neue Kompetenzen an Bord holen
- 7 – Öffentliche Träger: Handlungsdruck bei den Jugendämtern durch die inklusive Lösung
- 8 – Verfahrenslotsen: Schlüsselrolle bei der Umstellung
- 9 – Die Gretchenfrage: Finanzierung des KJSG-Paradigmenwechsels
Betriebserlaubnis und Leistungserbringungsrecht: Was ist neu im KJSG und was zu tun?
Das neue KJSG bringt nicht nur auf inhaltlicher Ebene, also im Kompetenz- und Angebotsbereich der Kinder- und Jugendhilfe, Neuerungen mit sich. Auch rechtlich gesehen müssen freie Träger sich mit den Änderungen im Gesetzestext befassen. Birgitta Neumann, Marktfeldleiterin für Unternehmen der Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe bei contec, und Prof. Dr. Florian Gerlach, Hochschullehrer und Anwalt für Sozialrecht, erklären, was einige wichtige neue Passagen bedeuten und welche Handlungsnotwendigkeiten durch sie entstehen.
Zuverlässigkeit als Voraussetzung für die Betriebserlaubnis
Die Formulierung der „Zuverlässigkeit des Trägers“ als Voraussetzung zur Erteilung der Betriebserlaubnis bzw. dem neuen Recht der Landesjugendämter, bei Vorliegen einer Unzuverlässigkeit die Betriebserlaubnis zu entziehen, hat für Zündstoff im Dialogprozess geführt. Prof. Florian Gerlach weiß: „Schon beim letzten Reformversuch 2017 wurde eingefordert, den Begriff der Zuverlässigkeit im Kinder- und Jugendhilferecht zu konkretisieren. Das hat der Gesetzgeber nun getan, indem er die Zuverlässigkeit ex negativo definiert hat. Als nicht zuverlässig gelten demnach Träger, die nachhaltig oder wiederholt gegen Mitwirkungs- und Meldepflichten oder Beschäftigungsverbote verstoßen haben“, so der Jurist. Was also im Einzelfall wie kleinere Verstöße gegen die Betriebserlaubnis aussehen kann – gerade im Bereich der Meldepflichten – kann nun gebündelt im schlimmsten Fall zum Entzug der Betriebserlaubnis führen. „Die Möglichkeit des Entzugs der Betriebserlaubnis war den Landesjugendämtern als Aufsichtsbehörde ein wichtiges Anliegen, das sie durchbekommen haben. Und meiner Erfahrung nach sind insbesondere Verstöße gegen die Meldepflicht ein großer Dorn im Auge der Landesjugendämter“, bekräftigt Gerlach.
☛ Handlungsempfehlung des Experten: Schauen sie ab jetzt besonders sorgfältig auf Ihre Mitwirkungspflichten, beachten sie genau die Meldepflichten – und machen Sie dies Ihren Mitarbeitenden deutlich.
Gleichzeitig betont der Experte aber auch, dass es sich bei dem Betriebserlaubnisrecht um eine Ermessensvorschrift handelt. „Die Behörde hat ein Ermessen und muss dieses auch ausüben“, so Gerlach.
Ein erhöhter Aufwand für Einrichtungen der Jugendhilfe wird durch das neue KJSG auch im Bereich Dokumentation und Aktenführung entstehen. Nach dem neuen Gesetz besteht eine fünfjährige Aufbewahrungspflicht. Die Art der Dokumentation sowie der Umfang sollten also auch mit den Mitarbeitenden überarbeitet und angepasst werden. Birgitta Neumann sieht schon heute in vielen Fällen Nachholbedarf: „Die gesetzlichen Neuerungen geben den dringenden Anstoß, die Dokumentation zu verbessern und zu vereinheitlichen.“
Konzeptionelle Aufgaben durch das neue KJSG: Gewaltschutzkonzept, Beschwerdemanagement und mehr
Die neue Rechtsprechung bringt aber in jeder Hinsicht auch einen Berg an konzeptionellen Aufgaben für freie Träger mit sich, was Birgitta Neumann nicht müde wird, zu betonen: „Alle Träger müssen – möglichst jetzt – an ihre Konzepte ran. Das neue KJSG fordert ein Gewaltschutzkonzept, ein Beschwerdemanagement innerhalb wie außerhalb der Einrichtung und natürlich die Mammutaufgabe der inklusiven Lösung und dazu passenden Angebote.“
☛ Handlungsempfehlung der Expertin: Setzen Sie sich jetzt mit Ihren Konzepten auseinander. Integrieren Sie in Ihr pädagogisches Konzept das Gewaltschutzkonzept und machen Sie es als solches kenntlich. Die Landesjugendämter werden darauf achten.
Was noch nicht geklärt ist, ist die Frage nach der personellen und finanziellen Stemmbarkeit des konzeptionellen Aufwands. Birgitta Neumann weiß: „Ein Beschwerdemanagement und auch ein explizites Gewaltschutzkonzept gilt es nicht nur zu schreiben, sondern auch in den Betrieb zu integrieren. Ganz zu schweigen von den Konzepten für die inklusive Lösung. Dafür braucht es auch Ressourcen“, so die Managementberaterin. Prof. Gerlach schlägt vor, diese als mögliche zusätzliche Stellenanteile in den Entgeltverhandlungen in die Waagschale zu werfen, ergänzt aber: „Nur, weil man etwas einfordert, heißt das nicht, dass es auch bewilligt wird. Aber die personellen Aufwendungen für die konzeptionelle Arbeit sollten bei den Entgeltverhandlungen mindestens angesprochen und möglicherweise prospektiv verhandelt werden.“
Die inklusive Lösung im KJSG
Den wohl größten Paradigmenwechsel des KJSG stellt aber die inklusive, auch „große“ Lösung dar. Die Aufhebung der bisherigen Trennung der Zuständigkeit bei Kindern mit geistigen und körperlichen Behinderungen durch das SGB IX, also die Eingliederungshilfe, und Kindern mit einer seelischen Behinderung durch das SGB VIII, stellt eine fachliche und eine Verwaltungsreform riesigen Ausmaßes dar, die sowohl die Leistungsträger, aber auch die Leistungserbringer beider Bereiche vor enorme fachliche und administrative Herausforderungen stellt.
Birgitta Neumann appelliert an die freien Träger: „2028 scheint noch lange hin. Aber bedenkt man, was an Vorbereitungen für die Umstellung auf die inklusive Kinder- und Jugendhilfe alles nötig ist, so schrumpft das ganz schnell zusammen. Die pädagogischen Konzepte müssen zum Teil komplett überarbeitet und auf die Betreuung von Kindern mit Behinderungen angepasst werden, Mitarbeitende brauchen Qualifizierungen, der Qualifikationsmix muss überdacht und überarbeitet werden. In Teilen haben die beiden Branchen weitestgehend getrennt gearbeitet, z. B. in den stationären Hilfen. Die Umsetzung inklusiver Konzepte braucht Zeit – wenn sie denn gelingen soll“, so Neumann.
Auch Wolfgang Tyrychter vom Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. findet die Übergangsphase bis 2028 keineswegs zu lang. „Die Fachlichkeit der Behindertenhilfe unterscheidet sich wesentlich von der in der Kinder- und Jugendhilfe. Fachkräfte, wie Heilerziehungspfleger*innen, sind in der Kinder- und Jugendhilfe noch gar nicht als solche anerkannt. Da muss also auch ordnungsrechtlich was passieren. Und in den Flächenbundesländern wie Bayern oder NRW kennen sich die zuständigen Behörden – also Jugendämter und Träger der Eingliederungshilfe – bestenfalls vom Hörensagen“, so Tyrychter. Allein die Verwaltungsreform rund um den Zuständigkeitswechsel ist eine Aufgabe, die viel Zeit braucht. Aber die notwendige Qualifizierung von Mitarbeitenden sowohl in den Jugendämtern als auch in der freien Kinder- und Jugendhilfe ist noch tiefgreifender.
Zwei große Herausforderungen gibt es jetzt für die freien Träger durch die inklusive Lösung im neuen KJSG zu bewerkstelligen:
- die (Neu-)Konzeptionierung inklusiver Angebote samt Umsetzungsstrategie
- die Befähigung und Weiterqualifizierung der Mitarbeitenden für die Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen
Neue Angebote konzipieren und umsetzen
Für den ersten Punkt wird es notwendig sein, dass die Kinder- und Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe sich füreinander öffnen, bereit sind, zu kooperieren und voneinander zu lernen. Claudia Langholz, Vorsitzende des AFET Bundesverbands und Managementberaterin bei contec, betont: „Alle Beteiligten sind in der Pflicht. Wir brauchen Zusammenschlüsse aus freien Trägern und Leistungserbringern beider Branchen sowie mit den öffentlichen Trägern. Alle stehen vor großen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können“, so Claudia Langholz.
Auch Birgitta Neumann weiß: „Um inklusive Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe zu konzipieren und hinterher auch umzusetzen, braucht es die Fachkompetenz der Eingliederungshilfe. Gleichzeitig hat die Eingliederungshilfe jetzt die Chance, sich für alle Kinder und Jugendliche zu öffnen und kann hier von dem Knowhow der Kinder- und Jugendhilfe profitieren.“
In eben diesem Punkt sieht auch Wolfgang Tyrychter eine große Chance für die beiden benachbarten Bereiche sozialer Dienstleistungen. Er hofft auf eine größere Angebotsvielfalt für alle Kinder und Jugendliche, unabhängig von einer möglichen Behinderung. „Beide gehen mit ähnlichen Voraussetzungen in die Konzipierung und Umsetzung neuer Angebote. Die Kinder- und Jugendhilfe kennt die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, also den zukünftigen Leistungsträgern, und mag da einen Vorteil gegenüber der Eingliederungshilfe haben, aber die Eingliederungshilfe ist bislang stärker in der bedarfsgerechten Konzipierung von Angeboten für Kinder und Jugendliche mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen.“
An die endgültige Vermischung der Zielgruppen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung glaubt Wolfgang Tyrychter aber trotz großer Lösung nicht. „Die Vorstellung, dass in jeder Einrichtung der Jugendhilfe bunt, ja willkürlich gemischt wird, nicht nur zwischen mit oder ohne Förderbedarf, sondern auch zwischen der Art des Förderbedarfs, klingt in der Theorie zwar schön, aber die Praxis zeigt, dass Fördergruppen mit ähnlichen Bedarfen auch bessere Förderung erhalten können. Die Fachkräfte können sich besser spezialisieren und entwickelt werden und individueller auf die einzelnen Gruppenmitglieder und deren Bedürfnisse eingehen.“
Personal befähigen und neue Kompetenzen an Bord holen
Womit wir beim zweiten Punkt angelangt wären – der Qualifizierung und Entwicklung des Personals. Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe sind nicht per se dafür ausgebildet, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen zu betreuen und benötigen entsprechende Entwicklungsangebote. Birgitta Neumann rät, die Mitarbeitenden frühzeitig einzubinden und so zu schulen, wie es für das spätere Angebot nötig ist. „Es muss nicht jede Sozialarbeiterin eine Zusatzausbildung zur Heilerziehungspflegerin machen oder jeder Erzieher bis ins Detail jede Form der Behinderung kennen. Dafür wird es hinterher interdisziplinäre Teams geben. Aber ein Grundverständnis über Behinderungen und die Bedarfe, die sie auslösen können, sollte sich innerhalb des pädagogischen Fachpersonals bilden. Hinzu kommt auch noch, dass die Eingliederungshilfe selbst einen massiven kulturellen Change durchlebt und der Gedanke der personenzentrierten Teilhabe auch hier noch verankert werden muss. Dieser Weg muss nun gleichsam mit den Mitarbeitenden der Kinder- und Jugendhilfe beschritten werden“, so die Managementberaterin. Wolfgang Tyrychter sieht sogar eine Möglichkeit, bereits während der Ausbildung auf die neue Zuständigkeit zu reagieren: „In der Pflege gibt es jetzt die generalistische Pflegeausbildung. Vielleicht braucht es dann etwas Ähnliches in der Sozialen Arbeit, um sicherzustellen, dass die Kultur, der Teilhabegedanke und die Inklusion in allen Bereichen der Jugendarbeit auf denselben Grundlagen beruhen.“
Öffentliche Träger: Handlungsdruck bei den Jugendämtern durch die inklusive Lösung
Ähnlich wie bei der Einführung des Bundesteilhabegesetzes, das die Eingliederungshilfe in ihren Verwaltungsstrukturen, aber auch in der Leistungserbringung umgekrempelt hat, wird auch bei dem neuen KJSG der Begriff des Paradigmenwechsels bemüht. Auch hier vollzieht sich der Umzug eines Leistungsbereichs von einem Sozialgesetzbuch ins andere. Bei der Eingliederungshilfe war es der Umzug der Fachleistungen aus dem SGB XII ins SGB IX, nun sind es die Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder aus dem SGB IX ins SGB VIII. Es sind also nicht nur die Leistungserbringer gefragt, sondern insbesondere und in einem aller ersten Schritt auch die Leistungsträger, in diesem Fall die Jugendämter. Der Verwaltungsaufwand wird sich massiv erhöhen und die fachliche Expertise muss in den Jugendämtern aufgebaut werden. Mit einer reinen personellen Aufstockung ist das nicht getan, auch hier braucht es eine Umsetzungsstrategie.
Claudia Langholz weiß: „Wir brauchen multiprofessionelle Kooperationsstrukturen zwischen allen Beteiligten. Auf Leistungsträgerseite – also bei den Trägern der Eingliederungshilfe sowie den Jugendämtern –, aber auch auf Leistungserbringerseite. Das sind vier Parteien, die an einen Tisch müssen und dies darf nie zum Nachteil der Adressat*innen gereichen. Ein solcher Prozess muss professionell begleitet werden“, so die Vorsitzende des AFET Bundesverbands. Ein erster Schritt wäre laut Langholz eine Tandem-Struktur, die dann erweitert werden könne. Jugendämter könnten sich mit einem oder mehreren freien Trägern aus ihrem Zuständigkeitsbereich zusammentun, Leuchtturmprojekte anstoßen und diese abschließend in den Umsetzungsprozess einbeziehen, damit Fehler nicht wiederholt werden.
Die eigentliche Herausforderung wird darin bestehen, die Verwaltungsreform, die sich maßgeblich bei den Jugendämtern vollziehen wird, und die fachliche Reform, von der die Jugendämter ebenfalls betroffen sind, gleichsam zu managen und voranzutreiben.
Bei den öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe bestehen demnach folgende konkrete Handlungsbedarfe:
- Strategieentwicklung: Maßnahmen- und Projektplanung 2021–2028
- Schulung und Qualifizierung des Personals in Belangen der Gesamtplanung
- Einstellung der Verfahrenslotsen und -lotsinnen spätestens zu 2024 inklusive Anforderungsprofil und Stellenbeschreibung
Verfahrenslotsen: Schlüsselrolle bei der Umstellung
Durch die neu geschaffenen Positionen der Verfahrenslotsen und -lotsinnen erhalten die Jugendämter zumindest eine zeitweise personelle und fachliche Unterstützung (2024–28); diese neu geschaffene Rolle dient aber insbesondere den Eltern und Kindern bzw. Jugendlichen als Ansprechperson und ist daher zentral bei der Umstellung. „Was genau die Aufgaben der Verfahrenslotsen und -lotsinnen sein werden, muss jetzt erarbeitet werden“, so Claudia Langholz. Fest steht aber, dass die Rolle der Verfahrenslotsen die enge Begleitung der jungen Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien vorsieht und auf deren Belange spezialisiert sein soll. Ziel ist die Begleitung durch das gesamte Verfahren, vom Antrag bis zur Leistungsgewährung.
„Sie sollen in den Jugendämtern Eltern und junge Menschen mit Behinderungen sozialgesetzbuchübergreifend beraten und bei der Antragstellung unterstützen. Es steht Kommunen und Ländern frei, Verfahrenslotsen zur Beförderung des Leistungsbezugs aus einer Hand bereits vor dem 1. Januar 2024 zu implementieren. Auch können sie im Rahmen von Modellprojekten früher eingesetzt werden, wie § 107 Absatz 1 SGB VIII-E ausdrücklich beschreibt. Sie sollen einerseits die hilfesuchenden Familien unterstützen sowie andererseits auch die Jugendämter in Fragen der Eingliederungshilfe qualifizieren. Im Kontext der Zusammenführung von Jugendhilfe und Eingliederungshilfe soll auch auf der Grundlage der wissenschaftlichen Begleitung des Umsetzungsprozesses geprüft werden, ob Verfahrenslotsen auch nach Realisierung der Inklusiven Lösung eine hilfreiche Institution zur Unterstützung der Familien im Hinblick auf weiter bestehende Schnittstellen, zum Beispiel zur Hilfsmittelversorgung oder zu den Hilfen zur Pflege, sein können.“ (Quelle: https://www.bundesrat.de/)
Den Verfahrenslotsen wird also eine ausgesprochen wichtige Rolle bei der Umsetzung der inklusiven Lösung zukommen, weil sie zentraler Akteur an der Schnittstelle von Hilfesuchenden und Behörden sind. Ihr Anforderungsprofil ist allerdings komplex. Gebraucht werden Personen mit Fachkenntnissen der einschlägigen Sozialgesetzbücher (vor allem der neuen Fassungen des SGB VIII und IX) sowie Kenntnissen der Bedarfslagen der Zielgruppe (junge Menschen mit Behinderung und deren Eltern), Kommunikationsprofis mit Kenntnissen in behördlichen Verwaltungsstrukturen.
☛ Handlungsempfehlung: Angesichts der Komplexität der Aufgabe und der Wichtigkeit der Rolle ist es durchaus empfehlenswert, Modellvorhaben vor 2024 anzustreben, um so lange wie möglich von der eigens geschaffenen Position der Verfahrenslotsen zu profitieren.
Die Gretchenfrage: Finanzierung des KJSG-Paradigmenwechsels
Eine so umfassende Reform des Kinder- und Jugendhilferechts wird es nicht umsonst geben. Die Umstellung der Verwaltungsstrukturen, die Qualifizierung und Einstellung von Personal sowie die Neuerungen bei der Leistungserbringung müssen finanziert werden. Hier sieht auch Claudia Langholz einen Kritikpunkt. „So vielversprechend die SGB VIII-Reform inhaltlich auch ist, so unausgereift ist das Finanzierungskonzept. Eigentlich steht gar nichts im Gesetz dazu, wie das alles bezahlt werden soll“, so die Vorsitzende des AFET Bundesverbands. „Insbesondere die Gewährleistung inklusiver Angebote in den Lebensräumen der Leistungsberechtigten wird teuer und diese Finanzierung muss gesichert sein.“ Auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände hat ein fehlendes Finanzierungskonzept bereits in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf kritisiert: „Er [der Gesetzentwurf] enthält […] keinerlei Hinweise zur Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel, um die zahlreichen neuen Aufgaben bzw. gesteigerten Anforderungen aus dem KJSG-E der Kommunen als örtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe wie auch als Träger von Einrichtungen zu erfüllen.“ (Quelle: Stellungnahme der Kommunalen Spitzenverbände zum KJSG)
Prof. Florian Gerlach sieht allgemein Nachbesserungsbedarf bei der Finanzierung von Konzeptions- und Innovationsarbeiten in der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere auf Seiten der freien Träger. Die Regelfinanzierung nach Aufwand pro Fall in Form von Tages- oder Stundensätzen ließe zu wenig Spielraum für Innovation oder Konzeption. „Die freien Träger müssen Gewinne machen, denn nur daraus kann man die anstehenden Arbeiten auch finanzieren“, so der Jurist. Dabei sieht er keinen Handlungsbedarf im Sinne des Gemeinnützigkeitsrechts, sondern eher im Sinne einer obergerichtlichen Rechtsprechung, die die Gewinne, die ein Träger macht, der Höhe und dem Grundsatz nach absichert. „In den Sozialgesetzbüchern XI und XII bzw. jetzt IX gebe es solche Rechtsprechungen schon in größerer Zahl und Gerlach sieht gute Argumente, diese auf das SGB VIII auszuweiten. „Die Kinder- und Jugendhilfe zieht für meinen Geschmack viel zu selten vor die Schiedsstellen, dabei brauchen wir dringend Klarheit darüber, wie hoch ein Gewinn sein darf, wie man ihn genau ermittelt und wie er ausgewiesen werden muss.“
Letztlich bleibt Stand jetzt der Gesetzgeber noch ein ausgereiftes Finanzierungskonzept für den Paradigmenwechsel schuldig. Freie Träger sollten deshalb konzeptionelle und personelle Aufwände bei den Entgeltverhandlungen darlegen und den Gang vor die Schiedsstelle nicht scheuen.
Text: Marie Kramp
© Olesia Bilkei
Birgitta Neumann
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