Buurtzorg auf „Österreichisch“: Pflegedienst CuCo macht’s vor
Pia Haider (30) ist diplomierte Pflegefachkraft und liebt ihre Arbeit im ambulanten Dienst CuCo (kurz für Cura Communitas), der in Korneuburg und Umgebung (Niederösterreich) Kund*innen nach dem niederländischen Modell Buurtzorg betreut. Seit einigen Jahren versuchen auch deutsche Pflegedienste das Modell „rüber“ zu holen, doch die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen machen das nicht einfach. Wir haben mit Frau Haider über die Situation in Österreich gesprochen und gelernt: Wer Buurtzorg außerhalb der Niederlande will, muss einen langen Atem haben – aber es lohnt sich: für junge Pflegende gleich nach dem Studium, für etablierte Fachkräfte wie Pia Haider (die aus der stationären Pflege in den ambulanten Dienst wechselte) oder für Wiedereinsteiger*innen, die bei Buurtzorg übrigens besonders gerne gesehen sind.
Frau Haider, der Pflegedienst CuCo wurde von Anfang an nach dem niederländischen Vorbild Buurtzorg aufgebaut. Woher stammte diese Ambition?
Pia Haider: Die Idee entstand aus der persönlichen Betroffenheit unseres Geschäftsführers Wolfgang Huber. Vorweg: Ja, wir haben einen Geschäftsführer, auch wenn das das Buurtzorg-Modell nicht vorsieht, aber ohne Geschäftsführer kann es in Österreich kein Unternehmen geben. Herr Huber war bereits Geschäftsführer des Haus der Barmherzigkeit und schon lange der Meinung, dass das Pflegesystem in Österreich so nicht ideal ist. Auf der Suche nach dem passenden ambulanten Angebot für seine Mutter ist er dann auf das niederländische Modell Buurtzorg gestoßen und hat sofort die reizvolle Kombination aus personenzentrierter Pflege und Wirtschaftlichkeit erkannt – denn er war nun einmal beides: Angehöriger, aber auch immer noch Manager. Nach zwei Besuchen in den Niederlanden und Gesprächen mit dem Gründer Jos de Blok stand also fest: Es sollte ein Projekt geben unter dem Dach des Hauses der Barmherzigkeit. 2018 wurde daraus ein eigenes Unternehmen, der Pflegedienst CuCo.
Und wie läuft es in der Praxis, haben sich die Wünsche des Gründers erfüllt?
Es läuft rund! Unsere Kunden und Kundinnen sind sehr zufrieden. Wir pflegen ein familiäres Verhältnis zu unseren betreuten Menschen und zu den Angehörigen und nehmen uns die Zeit, die sie brauchen. Das ist ja auch der Kern des Buurtzorg-Modells: Jeden dort abholen, wo er gerade ist. Um das zu ermöglichen, arbeiten wir eben nicht in starren Schemata, was sowohl uns als Mitarbeitende als auch unsere Klient*innen und deren Angehörige sehr zufriedenstellt. Wir bekommen ausschließlich positives Feedback.
Das Modell sieht Teams von maximal 12 Mitarbeitenden vor. Wie groß ist Ihr Team aktuell?
Mittlerweile sind wir zu dritt, alle diplomierte Fachkräfte. Wir konnten eine Wiedereinsteigerin gewinnen, die zehn Jahre aus dem Beruf raus war, was wirklich toll ist. Mit der Aussicht auf eine neue Form des Arbeitens in der Pflege ist sie zu uns gekommen und hat es bisher nicht bereut. Was das betrifft, hat das Buurtzorg-Modell also gehalten, was es verspricht: nämlich die Arbeitsbedingungen in der Pflege so attraktiv zu gestalten, dass Mitarbeitende bleiben oder sogar wiederkehren.
Können Sie etwas aus dem Alltag erzählen? Was macht das Arbeiten denn so attraktiv?
Das Buurtzorg-Modell steht ja für informelle Netzwerke, in denen Angehörige, Nachbar*innen etc. sich an der Versorgung des Klienten oder der Klientin beteiligen, sodass wir als diplomierte Pflegekräfte hauptsächlich die medizinische Behandlungspflege durchführen. Gleichzeitig bauen wir das Netzwerk aber auch auf und stehen ihm beratend und schulend zur Seite – Ziel ist es ja, die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen so lange es geht beizubehalten und wenn möglich wiederherzustellen. Die Netzwerkarbeit in familiärer Atmosphäre in Kombination mit der Selbststeuerung unseres Teams ist sehr abwechslungsreich und erfüllend – dieses Gefühl, nicht nur einen Status Quo aufrecht zu erhalten, sondern wirklich etwas zu bewegen und den Menschen zu helfen.
Sie haben gerade den Kern des Modells angesprochen, die informellen Netzwerke. Ohne die kann Buurtzorg wahrscheinlich nicht seine volle Wirkung entfalten. Wie sind Ihre Erfahrungen in dem Aufbau dieser Netzwerke?
Es ist eine spannende, aber auch schwierige Aufgabe. Die Leute kennen so etwas noch nicht und was neu ist, wird erst einmal mit Skepsis beäugt. Die Netzwerkbildung muss aktiv vorangetrieben werden. Wir arbeiten da eng mit den Angehörigen zusammen, die oft wissen, wen man aus der Nachbarschaft oder dem Bekanntenkreis ansprechen kann. Und dann machen wir viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Eine Erkenntnis, die wohl nicht nur für Buurtzorg zutrifft: Reden hilft! Was auch sehr gut funktioniert, ist die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, z. B. mobilen Friseuren oder Ergo-Therapeuten. Man braucht Geduld für den Aufbau eines funktionierenden Netzwerks, aber es lohnt sich, vor allem für den pflegebedürftigen Menschen, aber auch für uns Pflegende.
Sie sind in Korneuburg ansässig und agieren dort und in der Umgebung. Oft wird angenommen, dass informelle Netzwerke wie Buurtzorg sie aufbauen möchte im urbanen Raum nicht so gut funktionieren wie im ländlichen Raum. Glauben Sie, dass das Modell auch in Wien funktionieren könnte?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Nachbarschaftshilfe im ländlichen oder dörflichen Raum auch heute noch stärker Teil des täglichen Lebens ist, noch besser klappt als in einer Großstadt, die vielfach von Anonymität geprägt ist. Aber man sollte sich nicht vertun: Auch in einer City wie Wien oder Berlin gibt es Nachbarschaften, Kieze, in denen die Leute sehr wohl miteinander bekannt und zum Teil schon vernetzt sind und gleichzeitig hält im ländlichen Bereich auch immer öfter eine gewisse Anonymität Einzug. Es gilt, nachbarschaftliche Strukturen sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum zu stärken und dann, da bin ich sicher, kann Buurtzorg auch in Wien oder anderen Großstädten funktionieren. Die Pflege erfüllt hier also neben dem individuellen Auftrag für den Menschen auch eine gesellschaftliche Aufgabe.
Ein anderes Charakteristikum des Modells, das Sie auch schon angesprochen haben, sind die selbstgesteuerten, ja autonomen Teams. Dies wird oft als Attraktivitätsfaktor gehandelt. Gibt es da denn auch Risiken?
Ich persönlich – sicherlich auch, weil ich eine Vertreterin der jüngeren Generation bin – empfinde das als außerordentlichen Benefit. Wir machen alles selbst, Marketing, Abrechnung, Tourenplanung etc. Die zentrale Verwaltung übernimmt im Prinzip nur die Gehaltsabrechnungen und externe Buchhaltung. Dadurch haben wir einen sehr engen Draht untereinander, telefonieren mehrmals täglich und tauschen uns über alles aus, helfen einander. Das ist in der „konventionellen“ ambulanten Pflege ein großes Manko, da ist oft jeder auf sich gestellt. Einmal hatte ich mir den Rücken verrenkt und meine Kollegin hat mir angeboten, für mich den schweren Patienten zu übernehmen, sodass ich ihn nicht heben musste. Wir sind alle gleichermaßen für den Erfolg unseres Dienstes verantwortlich und damit auch für das Wohlbefinden der jeweils anderen. Unsere Arbeitszeit teilt sich auf, ca. 55 Prozent sind für die eigentliche Arbeit bei den Klient*innen vorgesehen, da ist die Fahrtzeit noch nicht drin. Der Rest bleibt für Verwaltungsaufgaben, Team-Gespräche, Netzwerkbildung und Abwesenheiten wie Urlaub oder Krankheit. Man muss schon Lust auf diese Arbeiten neben der eigentlichen Pflege haben und auch Verantwortung darf man nicht scheuen. Man lernt aber wahnsinnig viel daraus und durch den Austausch kommen weniger Konflikte vor.
Eines der größten Umsetzungsprobleme in Deutschland ist die zeit- und nicht leistungsbasierte Abrechnung der Pflege beim Kunden. Wie geht das mit der österreichischen Pflegefinanzierung zusammen?
In Österreich ist die staatliche Pflegeversicherung aus Steuermitteln finanziert und jeder Mensch – unabhängig von Einkommen und Alter – bekommt dasselbe Pflegegeld, das nach sieben Stufen gestaffelt ist (die private Vorsorge mal ausgenommen). Das reicht oft nicht für die vollständige Finanzierung der notwendigen Pflegeleistungen. In Niederösterreich gibt es deshalb auch eine Förderung des Landes, die aber nur ca. fünf Pflegedienste umfasst. Ähnlich wie in Deutschland wird auch hier minutiös nach Leistungen abgerechnet. Allein aus dem Grund kommen wir für eine solche Förderung bislang nicht in Frage, aber auch sonst sind die Förderrichtlinien, die man erfüllen muss, sehr hoch, gerade für kleine Unternehmen. Derzeit werden wir zum Großteil von privaten Sponsoren finanziert sowie durch das Pflegegeld unserer Klient*innen. Wir berechnen derzeit 35 Euro pro Stunde.
Und was sind Ihre Pläne und Hoffnungen für die Zukunft?
Unsere Förderer haben sich bereiterklärt, ein Team – im Buurtzorg-Sinne also bis zu 12 Mitarbeitende – zu finanzieren. Unsere Hoffnungen sind natürlich, uns zu vergrößern, irgendwann einmal mehrere Teams zu haben, um so etwas wie eine annähernde Flächendeckung zumindest in der Region hinzubekommen, bei trotzdem nur kurzen Wegen von fünf bis zehn Minuten pro Klient*in. Dafür wünschen wir uns die Aufnahme in eine staatliche Förderung. Buurtzorg funktioniert, das sieht man nicht nur am Vorbild der Niederlande, sondern auch bei uns. Und wer Teil von Buurtzorg werden möchte, muss einfach durchhalten. Es ist anstrengend, gegen den Strom zu schwimmen, aber es zahlt sich wirklich aus. Mit viel Geduld und Engagement kann es klappen, dass wir eine personenzentrierte und wirtschaftlich effiziente Pflege daheim etablieren, die die Förderung der Selbstständigkeit der Klient*innen in den Fokus rückt.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Haider!
Interview: Marie Kramp© Kzenon/ Adobe Stock