Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII – Handlungsbedarfe freier Träger und Kitas

Betriebserlaubnis sichern - zwei Kolleg:innen vor einem Bildschirm
Mittwoch, 31 Juli 2024 12:40

Das 2021 verabschiedete KJSG stellt die gesamte freie und öffentliche Kinder- und Jugendhilfe vor enorme Veränderungsprozesse. Auch durch § 45 SGB VIII, der den Erhalt und die Neuerteilung der Betriebserlaubnis von Einrichtungen und Kindertagesstätten regelt, sind freie Träger zum Handeln aufgefordert, wollen sie kein Risiko eingehen und sich zukunftsfähig und wirtschaftlich erfolgreich aufstellen. Wir empfehlen den Blick auf das große Ganze, anstatt aktionistische Einzelmaßnahmen zu ergreifen – um langfristig die Betriebserlaubnis aller Einrichtungen zu sichern und problemlos für neue Einrichtungen und Standorte eine zu erlangen.

Die Änderungen durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) reformieren das SGB VIII und fokussieren u. a. einen verbesserten Kinderschutz. So konkretisierte das KJSG im Juni 2021 auch die Anforderungen für eine Betriebserlaubnis in § 45 SGB VIII. Die Landesjugendämter bekommen mehr Handlungsmöglichkeiten, um die Betriebserlaubnis einzuschränken oder zu entziehen. Die im Gesetz konkreter formulierten Möglichkeiten der Aufsicht und Kontrolle der Heimaufsicht tragen damit zu einem besseren Kinder- und Jugendschutz bei. Sie fordern allerdings auch das Top-Management dazu auf, sich umfassend mit allen Faktoren zu befassen, die für die Sicherung der bestehenden und das Erlangen einer neuen Betriebserlaubnis relevant sind.

📖 Lesetipp: Gemeinsam mit dem Forschungsinstitut IEGUS hat contec öffentliche und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe zur Umsetzung des KJSG befragt. Wir haben für Sie die spannenden Ergebnisse der Studie zusammengefasst.

Risikomanagement auf mehreren Ebenen

Damit Träger eine Betriebserlaubnis erhalten, müssen sie bestimmte räumliche, fachliche, wirtschaftliche und personelle Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen ihre Zuverlässigkeit nachweisen, ein gesundheitsförderliches Lebensumfeld in der Einrichtung unterstützen, Gewaltschutz aktiv umsetzen und Möglichkeiten zur Selbstvertretung sowie zur Beschwerde innerhalb und außerhalb der Einrichtung schaffen. Es handelt sich um ein Risikomanagement auf vier wesentlichen Ebenen:

Ebenen des Risikomanagements

Zuverlässigkeit nachweisen: Laut Gesetz lässt ein Träger die nötige Zuverlässigkeit vermissen, wenn dieser gegen Melde- und Mitwirkungspflichten verstößt, Personen entgegen einem behördlichen Beschäftigungsverbot beschäftigt oder zum wiederholten Male gegen behördliche Auflagen verstößt. Kriterien für eine vorhandene Zuverlässigkeit – ein im Gesetz unbestimmter Rechtsbegriff – sind u. a. die Gewährung des Kindeswohls, die Beschäftigung von ausreichend Personal mit den erforderlichen Qualifikationen, eine vollumfängliche Umsetzung der Konzeption sowie professionelles und korrektes Verhalten aller Mitarbeiter*innen. Die Aufsichtsbehörden können die Zuverlässigkeit der Träger jederzeit ohne Ankündigung vor Ort prüfen.

Liquiditätsnachweis vorhalten: Die Zahlungsfähigkeit ist für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe von existenzieller Bedeutung. Ein Entzug der Betriebserlaubnis kommt jedoch nur in Frage, wenn es aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten zur Gefährdung des Kindeswohls kommt. Das ist der Fall, wenn Träger zahlungsunfähig sind, aus diesem Grund Gehälter nicht gezahlt und in der Folge die Betreuung nicht aufrechterhalten werden kann.

Ordnungsgemäß dokumentieren: Um eine ordnungsgemäße Buch- und Aktenführung nachzuweisen, müssen Träger bei einer Prüfung insbesondere Arbeitszeiten und Dienstpläne, die erweiterten Führungszeugnisse der Mitarbeiter*innen, die fall- und gruppenbezogene Aktenführung, die Dokumentation pädagogischer Prozesse, Belegungsdokumentationen sowie Unterlagen zur Buchführung vorlegen können. Für die genannten Dokumente besteht eine Aufbewahrungsfrist von fünf Jahren. Ein besonderes Augenmerkt liegt auf der ordnungsgemäßen, zeitnahen und vollständigen Übermittlung der besonderen Vorkommnisse nach § 47 SGB VIII an die Aufsichtsbehörde. Diese Meldungen beziehen sich auf Ausnahmesituationen, die den Dienstbetrieb unmittelbar beeinflussen.

Kinderschutzmaßnahmen umsetzen: Durch das KJSG wurde der Schutzauftrag weiter konkretisiert. § 45 SGB VIII verpflichtet dazu, ein Gewaltschutzkonzept basierend auf einer individuellen Risikoanalyse vorzuhalten, das innerhalb der Einrichtung gelebt und fortlaufend überprüft sowie angepasst wird.

📖 Lesetipp: In diesem Artikel haben wir für Sie Anforderungen an Gewaltschutzkonzepte und ein gewaltfreies Miteinander in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammengetragen.

Rechtliche Grundlagen erfolgreich umsetzen – vier Tipps:

Die Ebenen des Risikomanagements reichen von der ersten Führungsebene eines Trägers bis hin zur Einrichtungsleitung. Es braucht trägerinterne Strukturen, die von oberster Führungsebene implementiert werden, um sicherzustellen, dass die Delegation von Verantwortlichkeiten und klare Zuständigkeiten gewährleistet sind. Gerade bei besonderen Vorkommnissen nach § 47 SGB VIII ist das entscheidend.

  • Professionelles Controlling: Die unternehmerischen Rahmenbedingungen werden zunehmend komplexer – auch, aber nicht allein durch die neuen gesetzlichen Anforderungen. Planungen sowie ergriffene Maßnahmen und deren Koordination müssen unbedingt durch ein professionelles Controlling überwacht werden. Daraus können notwendige Anpassungen abgeleitet werden. Für Einrichtungen jeder Größenordnung gewährleistet ein operatives Controlling die Steuerung und Kontrolle der wirtschaftlichen und fachlichen Entwicklung und dient als Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen.
  • Sorgfältige Dokumentation: Durch ausführliche Aufzeichnungen und die Ablage von Unterlagen nach den rechtlichen Vorgaben können erfolgte Leistungen sowie deren Qualität nachgewiesen werden. Möglicherweise ergeben sich aus den Dokumentationen zudem Anhaltspunkte, die wichtig sein können, um eine Gefährdung des Kindeswohls zu vermeiden.
  • Erfolgreiche Leistungs- und Entgeltverhandlungen: Zur Anwendung und Auslegung der Bestimmungen des SGB VIII hinsichtlich der Übernahme von Leistungen der Jugendhilfe wurden in allen Bundesländern Rahmenverträge abgeschlossen. Diese Landesrahmenverträge bilden eine wichtige Grundlage für die Erstellung von Leistungsbeschreibungen und liefern wichtige Hinweise für die Kalkulation der Entgelte. Kosten, die sich aus der Leistungserbringung ergeben, sind grundsätzlich entgeltrelevant. Diese Kosten gilt es bei Verhandlungen von Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklung aufzunehmen.
  • Innovative Konzeptentwicklung: Durch die angestrebte Umsetzung einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe sowie die gesetzliche Vorgabe zur Erstellung, Implementierung bzw. Weiterentwicklung von Gewaltschutzkonzepten entstehen erhebliche konzeptionelle Herausforderungen. Dafür erforderliche Personalressourcen sollten in die Kostenkalkulation einbezogen werden.

Anforderungen in der Unternehmensstrategie bündeln

Damit die notwendigen Anpassungen auf operativer Ebene greifen können und Maßnahmen nicht aktionistisch, sondern aufeinander abgestimmt umgesetzt werden, empfehlen wir, sich der Sicherung der Betriebserlaubnis von übergeordneter Ebene anzunehmen. Aufgabe des Managements ist es, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu initiieren und zu steuern. Die operative Umsetzung einzelner Maßnahmen kann dann an die nächste Ebene delegiert werden. Es ist also nicht die isolierte Umsetzung einzelner der dargestellten Maßnahmen zielführend, sondern ein erfolgreiches Zusammenspiel derer in einer einheitlichen Strategie.

Im Hinblick auf das komplexe Ineinandergreifen von Konzeptentwicklung, Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen und Betriebserlaubnis empfiehlt es sich, eventuell notwendige Change-Prozesse gut zu planen und zu steuern. Diese sollten von der Initiierung bis zur Implementierung sichtbar, messbar und transparent dargestellt werden. So lassen sich die für die Sicherung und das Erlangen der Betriebserlaubnis nötigen Strukturen und Prozesse erfolgreich umsetzen und Fehlentwicklungen frühzeitig abwenden.

Das Ziel muss sein, auf Basis der gesetzlichen Vorgaben die Organisation strategisch und ganzheitlich weiterzuentwickeln und damit die Qualität der Leistungen zu sichern. Eine extern unterstützte Steuerung, Überprüfung und Überwachung dieser strategischen Entwicklung kann dabei hilfreich sein.

Ein besonderer Fall: Betriebserlaubnis in Kindertageseinrichtungen

Kindertageseinrichtungen sind nach § 45 SGB VIII erlaubnispflichtig. Alles weitere wird jedoch auf Landesebene und damit gesondert geregelt. Kitas müssen einen Antrag bei der zuständigen Aufsichtsbehörde stellen, um die Betriebserlaubnis zu sichern oder zu erlangen. Besteht die Absicht, die Betriebserlaubnis zu ändern oder neu auszustellen, sollten die Träger proaktiv in den persönlichen Kontakt gehen. Denn eine aktive Kommunikation während des gesamten Prozesses stellt u. a. sicher, dass alle erforderlichen Unterlagen vorliegen. Außerdem sind die Aufsichtsbehörden während des Antrags neben ihrer Aufsichtsfunktion auch beratend tätig.

Die Prüfung eines Antrags richtet sich an den Erfordernissen des Kindeswohls aus. In der Regel ist anzunehmen, dass eine Eignung des Trägers vorliegt, wenn

  • „die dem Zweck und der Konzeption der Einrichtung entsprechenden räumlichen, fachlichen, wirtschaftlichen und personellen Voraussetzungen erfüllt sind,
  • die gesellschaftliche und sprachliche Integration in der Einrichtung unterstützt wird sowie die gesundheitliche Vorsorge und die medizinische Betreuung der Kinder und Jugendlichen nicht erschwert werden sowie
  • zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie Möglichkeiten der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden.“ (§45 Abs. 2 SGB VIII)

Kindertagesstätten sollten alle erforderlichen Konzeptionen auf aktuelle gesetzliche Bestimmungen überprüfen und ggf. nachsteuern, um alle Kriterien zur Prüfung der Betriebserlaubnis abzudecken. Das gilt besonders für den Bereich Gewaltschutz und Prävention. Die sorgfältige Dokumentation der Leistungen, ein professionelles Controlling sowie innovative Konzepte sorgen auch hier für gute Voraussetzungen bei der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben. So ist u. a. auch das Bildungsportfolio pro Kind ein Nachweis der pädagogischen Qualität und dient der Nachvollziehbarkeit der Entwicklung. Allerdings sorgt die gesonderte Finanzierungsstruktur für einen Unterschied zu anderen freien Trägern: Leistungs- und Vergütungsverhandlungen gibt es in Kitas nicht.

Dennoch gilt auch für Kitas: Nur ganzheitlich lässt sich die Qualität der Leistungen sichern. Für das komplexe Ineinandergreifen von Konzeptentwicklung und Betriebserlaubnis empfiehlt sich eine übergreifende Strategie und Planung. Auch hier reicht es nicht aus, die Verantwortung bei Fachberatungen oder operativer Leitung zu bündeln.

Wir empfehlen Kindertagesstätten eine partizipative Risikoanalyse, die durch Mitarbeitende und Kinder einen aussagekräftigen Gesamtblick über Chancen und Risiken gibt. Zudem müssen unbedingt alle erforderlichen Dokumente über das örtliche Jugendamt eingereicht werden. Folgende Checkliste hilft, alle Kriterien zur Prüfung des Kindeswohls im Rahmen der Betriebserlaubnisprüfung zu berücksichtigen.

Checkliste Kita: Betriebserlaubnis beantragen. 1. Antragsformular, 2. Konzeption der Einrichtung, 3. Stellungnahme des Jugendamts, 4. Genehmigung Nutzungsänderung durch Bauaufsicht inkl. Brandschutzkonzept, 5. Raumbeschreibung, bemaßte Grundrisse, Gebäudeschnitt mit Nutzungskonzept & Lageplan

Text: Claudia Langholz/ Julia Stöcker/ Leonie Hecken
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Claudia Langholz

Porträt Ulrike Goletz contec

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