Aus „Out“ mach „In“: Innovation für die Pflegeausbildung
Das Problem ist bekannt: Die Pflegeausbildung gilt als „out“. Viele Menschen, insbesondere Jugendliche, haben Vorbehalte gegen diese Profession; zu schlechte Bezahlung, viele Überstunden, physisch und psychisch sehr anstrengend. Zwar genießt der Pflegeberuf einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, befragt man jedoch insbesondere Jugendliche, will niemand diese Tätigkeit „wirklich“ ausüben und erlernen. Die Schere zwischen Fachpersonalangebot und -nachfrage öffnet sich zunehmend. Bereits heute fehlen in allen Pflegeberufen Fachkräfte. Nach der Bundesagentur für Arbeit werden 2030 rund 634.000 Personen fehlen, jede vierte Stelle bleibt damit unbesetzt. Die Anzahl der Pflegebedürftigen beträgt dann voraussichtlich 3,4 Millionen. Bereits ab 2021 erwartet man durch die vermehrten Renteneintritte einen Rückgang an Fachkräften – die Anzahl der Pflegebedürftigen wird nicht mehr durch die rückläufigen Absolventen kompensiert werden können. Im Jahr 2030 beträgt der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung 4,4%, rund 48% davon werden 85 Jahre und älter sein.
„Konzertierte Aktion Pflege“: Politik reagiert umfassend
Im Juli 2018 starteten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey, und Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, die Konzertierte Aktion Pflege. Ziel ist es, den Pflegeberuf anhand gezielter Maßnahmen attraktiver zu gestalten, Arbeitsalltag und Arbeitsbedingungen sollen verbessert werden. Die gängigen Leitmotive sind bessere Bezahlung sowie Entlastung und mehr Wertschätzung. In fünf Arbeitsgruppen sollen folgende Bereiche innerhalb eines Jahres bearbeitet werden: Ausbildung und Qualifizierung, Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung, Digitalisierung, ausländische Pflegekräfte und Entlohnungsbedingungen. Diese Maßnahmen reagieren auf die dringende Herausforderung, auch interessierte und geeignete junge Menschen für die Pflegeausbildung zu begeistern und ihnen eine langfristige berufliche Entwicklungsperspektive zu bieten.
Offensive für Pflegeausbildung: „Jobmotor der Zukunft“
Dass die Pflege eine boomende Branche ist, darüber sind sich alle Experten einig, trotzdem müssen dezidierte Anreize geschaffen werden, eine Pflegeausbildung zu absolvieren und den Beruf langfristig auszuüben. Um Fachkräfte im Pflegenachwuchs, insbesondere der Altenpflege, frühzeitig zu gewinnen, wurde bereits 2013 die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ ins Leben gerufen. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die Pflegekräfte ihren Beruf lebenslang ausüben können und ein gesundes Erreichen des Rentenalters gewährleistet wird. Einige der Ziele ließen sich schon bis 2015 umsetzen: Erhöhte Ausbildungskapazitäten, Weiterbildungsmaßnahmen durch die Agenturen für Arbeit, verbesserte Anerkennung für im Ausland erworbene Qualifikationen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit. Nach dem neuen Pflegeberufegesetz von 2017 wird die Ausbildung ab 2020 interdisziplinär und nicht auf nur ein Fachgebiet zielend durchgeführt, mit der Option, im letzten Jahr eine Spezialisierung des Fachbereiches vorzunehmen. Hierzu gehören ebenso die Abschaffung des Schulgeldes und eine Erhöhung der Vergütung.
Regionale Nachwuchskräftesicherung: care4future
Zu einer nachhaltigen Gewinnung motivierter Pflegenachwuchskräfte braucht es innovative Methoden. care4future ist ein innovatives Konzept, das die Zielgruppe, junge Schüler und Schülerinnen in der Berufsorientierungsphase, direkt anspricht. Der Ansatz klingt banal, doch der Erfolg spricht für sich: care4future etabliert regionale Netzwerke, in denen Unternehmen der Pflegebranche mit allgemeinbildenden Schulen, Berufsfachschulen und weiteren Partnern vor Ort kooperieren. Die beteiligten Partner entwickeln daraufhin gemeinsam bis zu einjährige Kurse zur Berufsorientierung an den Schulen. Die große Chance des Projektes liegt darin, dass die Schüler und Schülerinnen einen direkten Einblick in den Beruf erhalten – sie begleiten Pflegeschüler sozusagen „live“ bei ihrer Arbeit. Auf diese Weise soll den zukünftigen Schulabgängern ein motivierender Einblick (auch durch die emotionale Berührung im direkten Umgang mit den Menschen) in die Branche ermöglicht werden, ebenso erhalten sie Grundkenntnisse der Pflege und können den Pflegeberuf als Wachstumsbranche mit sicheren Arbeitsplätzen identifizieren. Auch dienen die Kurse dazu, eine realistische Einschätzung in Bezug auf die persönliche Eignung zu ermöglichen. Mittlerweile hat sich das Konzept von care4future so weit etabliert, dass bereits zwei Landesprojekte in Rheinland-Pfalz etabliert werden konnten, die große Erfolge verbuchen.
Aus der Praxis: Gesamtschule Morbach bietet AG im Alten- und Pflegeheim
In der rheinland-pfälzischen Region Morbach/Birkenfeld hat sich die Integrative Gesamtschule Morbach mit dem Alten- und Pflegeheim St. Anna und der Elisabeth-Stiftung des DRK vernetzt, um eine Arbeitsgemeinschaft in der Schule zu etablieren. Das Team von care4future unterstützte hierbei sowohl die Festlegung der Rahmenbedingungen für die AG als auch die Entwicklung und Ausgestaltung des Curriculums. Im Schuljahr 2017/2018 wurde dann die erste AG mit einer theoretischen und vor allem praxisnahen Anleitung durchgeführt. Vor allem der persönliche Kontaktaufbau zu den Bewohnern und Bewohnerinnen sowie die Betreuung durch Pflegeschüler und -schülerinnen – nach dem Konzept des Peer-Learnings – gewähren ein Lernen auf Augenhöhe und einen erleichterten thematischen Zugang. Zudem wurde das Projekt mit der Möglichkeit, anschließend ein Praktikum zu absolvieren, kombiniert. Der Erfolg spricht für sich: drei der fünf Schüler und Schülerinnen, die im ersten Jahr an der AG teilnahmen, können sich den Beginn einer Pflegeausbildung vorstellen. Des Weiteren konnte das Netzwerk im Rahmen des Landesprojektes „Nachwuchssicherung in den Pflegeberufen II“ um das Senterra Seniorenzentrum Birkenfeld und die Realschule plus Birkenfeld erweitert werden. Ein zweiter Durchlauf für das Schuljahr 2018/2019 ist bereits mit weiteren Partnern geplant.
Text: Melanie Henkes© contrastwerkstatt/fotolia.com