„Aktionsplan statt Aktionismus!“ – Pflege wird teurer
15. contec forum Pflege und Vernetzung erfolgreich zu Ende gegangen. Sozialpolitik und Wirtschaft ziehen an einem Strang für die Fachkräftesicherung und bessere Arbeitsbedingungen. Damit gerät die Finanzierungslogik der Pflegeversicherung an ihre Grenzen.
Am Donnerstag, 17. Januar, ging in Berlin das 15. contec forum Pflege und Vernetzung unter dem Titel „Aktionsplan statt Aktionismus – Pflege wirksam verändern!“ zu Ende. Im Mittelpunkt des Tagungsprogramms stand die Finanzierungssystematik der Pflege und die Frage, wie Beitragssteigerungen und höhere Eigenanteile vermieden werden können sowie die Fachkräftesicherung im Pflegeberuf. Über 200 Teilnehmende aus Politik und Branche diskutierten zwei Tage lang die sozialpolitischen Herausforderungen vor dem Hintergrund der Konzertierten Aktion Pflege.
Systemwechsel zeichnet sich ab: Notwendige Reform der Pflegefinanzierung
„Die Finanzierungslogik des Systems Pflege stößt zunehmend an ihre Grenzen. Ein immer höherer Eigenanteil und jährliche Beitragssteigerungen sind keine Lösung“, so Detlef Friedrich, Geschäftsführer der contec, in seiner Eröffnung. Über diese Mahnung bestand bei Teilnehmenden und Referenten weitgehend Konsens. Sowohl Anbieter als auch Angehörigenvertretung sowie Kostenträger sind sich einig: Auf lange Sicht wird eine Reform der Pflegeversicherung unumgänglich sein. „Der GKV-Spitzenverband hält einen staatlichen Zuschuss zur Finanzierung der Pflegeversicherung für notwendig und gerechtfertigt. Je schneller er kommt, desto besser“, so Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. Dr. Manfred Stegger, Vorsitzender der BIVA, hält auch eine Zusammenführung von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung für einen sinnvollen Schritt und plädiert für eine echte Teilkaskoversicherung mit einem Sockel-Spitze-Tausch: „Bei einer persönlichen Zuzahlung von über 1.700 Euro monatlich für pflegebedingte Aufwendungen kann man wohl kaum mehr von einer Pflegeversicherung sprechen.“
„Ein Kapitaler Knieschuss“ – Konzertierte Aktion agiert nur in vorhandenen Strukturen
Kritik an der von BMG, BMAS und BMFSFJ initiierten Konzertierten Aktion Pflege äußerte Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, in seinem Eröffnungsvortrag. Allein die Angleichung der Gehälter von Pflegefachkräften der Altenhilfe an die Bezahlung von Pflegenden in den Krankenhäusern würde eine Kostensteigerung von ca. 6 Mrd. Euro bedeuten. Da sei ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln der einzig richtige Weg. Die vorhandenen Strukturen müssten angepasst werden, um die Zukunft der Pflege zu sichern. Außerdem zeichne sich die KAP vor allem durch ihre Intransparenz aus: „Man hört nichts aus den Arbeitsgruppen und wenn Ergebnisse bekannt werden, werden sie von Seiten des BMG gleich wieder dementiert.“ Diese Kritik wurde dadurch bestärkt, dass die Pflegepolitischen Sprecher und Sprecherinnen der Fraktionen beim 15. contec forum zu den eigentlichen Diskussionen in den Arbeitsgruppen nur sehr wenig bekannt geben konnten. Für mehr Klarheit zu den Inhalten der Arbeitsgruppe 5 der KAP, „Entlohnungsbedingungen in der Pflege“, sorgte Ralf Häsemeyer, Referent des BMAS in der AG 5. Häsemeyer machte deutlich, dass auch in der Arbeitsgruppe keineswegs Konsens darüber herrsche, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für die Pflege die richtige Lösung sei. Darüber hinaus würden in den Diskussionen auch andere Aspekte als die reine Vergütung, wie bspw. Urlaubsanspruch, begutachtet. Dass die Meinungen gerade hierzu in der Branche auseinandergehen, zeigte auch die Diskussion zu dem Thema. Herbert Mauel vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) betonte: „Transparente AVR mit Entgelttabellen sind uns wichtig. In Verhandlungen muss aber auch der notwendige unternehmerische Spielraum berücksichtigt werden.“ Diese Ansicht stieß weder bei Grit Genster, ver.di, noch bei Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen, Personal, Organisation, Recht und Wirtschaft im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung, auf Zustimmung.
„Die Pflegebranche sichert die Arbeitsfähigkeit der Gesamtwirtschaft“ – gemeinsam stark gegen den Fachkräftemangel
Pflege ist ein Wirtschaftsfaktor in zweierlei Hinsicht. Ein wachsender Markt mit sicheren Arbeitsplätzen, gleichzeitig essentiell, um Angehörige von Pflegebedürftigen bestmöglich in ihrer Berufstätigkeit zu unterstützen, um einem um sich greifenden Fachkräftemangel in anderen Branchen entgegenzuwirken. Den Zusammenhang zwischen dem Fachkräftemangel in der Pflegebranche und dem in anderen Sektoren machte Harald Kuhne, Ministerialdirektor und Leiter der Zentralabteilung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, deutlich. Durch gezielte, faire und strukturierte Fachkräftegewinnung, wie beispielsweise in dem Vietnam-Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums, könne man eine Win-Win-Situation schaffen: „Junge Menschen aus dem demografisch sehr jungen und starken Vietnam, in dem das Arbeitskräftepotential eine riesige Herausforderung darstellt, erhalten die Möglichkeit, in Deutschland eine Ausbildung zu absolvieren und so hier dem Fachkräftemangel zu begegnen. Gleichzeitig besteht die Chance einer Rückkehr-Kultur, um auch in der Heimat arbeiten zu können.“ Die Flexibilisierung der Tagespflege ist ein weiterer Meilenstein, der in Zusammenarbeit zwischen Anbietern von Pflegeleistungen und Arbeitgebern der Privatwirtschaft erreicht werden muss. Ein gutes Beispiel wurde auf dem contec forum durch Dr. Kay Großmann, Leiter des Gesundheitsmanagements bei der Porsche AG, vorgestellt.
„Einfach mal machen“ – Pflegebevollmächtigter ruft zu mehr Mut auf
Bei seiner Eröffnung des zweiten Tages machte Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, deutlich, dass auch Sofortprogramme nicht von heute auf morgen funktionieren. Veränderung brauche Zeit, aber auch die könne genutzt werden. Nur Schimpfen auf die Politik führe zu nichts, der Gesetzgeber habe den Ball auf den Elfmeter-Punkt gelegt, reinschießen müsse ihn die Branche selbst, um die Pflege attraktiver zu machen. Als ehemaliger Präsident des Deutschen Pflegerates verstehe er aber auch sehr gut die Ungeduld an vielen Stellen. Darüber hinaus räumte Westerfellhaus ein, dass eine Neustrukturierung des Systems auf lange Sicht unumgänglich sei: „Die Herausforderungen der kommenden 30 Jahre sind mit den Instrumenten der letzten 30 Jahre nicht zu bewerkstelligen“, so Westerfellhaus.
Appell an die Gesellschaft: Pflege ist kein Minderheitenthema!
Beim traditionellen Neujahrsempfang am Abend des 16. Januar machte Prof. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Pflegebranche mit einem Apell deutlich. Niemand dürfe wegsehen, wenn es um die Würde der älteren Menschen ginge. „Die Konzertierte Aktion Pflege ist ein richtiger Schritt, denn nur mit geballten Kräften sind die Herausforderungen der Pflegebranche zu stemmen. Wichtige Aspekte wie die Neustrukturierung der Pflegeversicherung werden jedoch nicht angegangen und so versteift man sich auf Einzelthemen, wo ein großer Umbruch viel wichtiger ist“, fasst Detlef Friedrich die Erkenntnisse der Veranstaltung zusammen. Dass diese beim contec forum diskutierten Forderungen überfällig sind, bestätigte sich noch während der Veranstaltung: Am 17. Januar sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich für eine Grundsatzdebatte zur Finanzierung der Pflege aus. Wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen und freuen uns auf die Diskussionen dazu beim 16. contec forum im Januar 2020.
Text: Marie Kramp©contec GmbH/Ulrich Lange
Detlef Friedrich
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