Ein Wandel in der Altenpflege ist notwendig – auch im Qualifikationsmix
Akademisierung Teil III zur Perspektive der Altenpflege: Elisabeth Markovina ist Zentrale Heimleitung der DIAKOVERE Altenhilfe Henriettenstift mit vier Pflegezentren und insgesamt 425 Pflegeplätzen in Hannover. Im Interview berichtet sie über die künftige Rolle akademischer Pflegender, berufliche Einmündungsfelder, Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit von Hochschulen und Einrichtungen sowie über konkrete Herausforderungen für die Pflegepraxis bzw. Anforderungen an den Qualifikationsmix.
Welche Rolle spielen akademisch qualifizierte Pflegende im Qualifikationsmix in Ihren Einrichtungen bzw. sollen/werden sie zukünftig spielen?
Elisabeth Markovina: Wir sind interessiert daran, akademische Qualifikationen einzubinden. Derzeit etablieren wir in einer Einrichtung eine Pflegeaufbauorganisation mit Pflegeprozessmanagement. Dafür werden wir in einer Einrichtung mit 60 Pflegeplätzen und einer Spezialisierung auf die Pflege von Menschen mit demenziellen Veränderungen zwei akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte einsetzen. Momentan spielen die akademischen Pflegequalifikationen noch keine große Rolle. Wir erwarten im Rahmen der Generalistik ab 2023/24, dass die Bedeutung der akademischen Pflegequalifikationen zunimmt. Grundsätzlich sehen wir die Einsatzfelder für akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte in unseren Einrichtungen und wollen darauf auch im Rahmen unserer Personalkonzepte reagieren.
Welche beruflichen Einmündungsfelder bieten Sie für die Bachelorabsolventen und -absolventinnen mit dem Berufsabschluss Pflege in Ihrem Unternehmen? Wie setzen Sie diese Mitarbeitenden ein (Aufgabenprofil)?
Wir haben darüber viel nachgedacht – auch gemeinsam mit der contec. Wir sehen steigende Anforderungen in der Pflege u. a. resultierend aus der indikatorengestützten Outcome-Messung in der Pflege. Dieser Entwicklung wollen wir mit einer gestärkten Beratungs-, Fach- und Methodenkompetenz in unseren Pflegeteams begegnen. Wir wollen Pflegeprozessmanager und -managerinnen einsetzen, die im Pflegeteam angesiedelt sind und die Altenpflegefachkräfte supervidierend fachlich bzw. methodisch begleiten und beraten. Davon versprechen wir uns auch die Weiterentwicklung unserer bereits jetzt sehr guten Pflegequalität hin zu einer evidenzorientierten Pflege und Betreuung, die die individuelle Lebensqualität unserer Bewohner*innen konsequent im Blick hat.
Grundsätzlich unterscheiden wir als Einmündungsfelder das Eintreten in eine Fachkarriere z. B. auf dem Wege des Pflegeprozessmanagements oder einer Mitarbeit im Qualitätsmanagement und ggf. das Eintreten in eine Leitungskarriere mit der Perspektive eines Aufstiegs zur Wohnbereichsleitung oder Fachbereichsleitung, im Verlauf auch als Nachwuchsführungskräfte in die Pflegedienstleitung.
Wie war die Resonanz auf die Ausschreibung dieser Stellen? Mit welchen Erwartungen kommen Absolventinnen und Absolventen auf Sie zu?
Insgesamt hatten wir leider wenig Resonanz und ein sehr gemischtes Bewerberbild bis hin zu sehr interessanten beruflichen Biografien, die aber nicht immer mit der Anforderung kompatibel waren. Wir haben uns dann u. a. für eine Bewerberin mit einer passenden Bachelorqualifikation aus dem europäischen Ausland (Westeuropa) entschieden.
Die Bewerber*innen erwarten in der Regel, dass sie keine Einsätze in der direkten Pflege leisten müssen und dass sie keine Wochenenddienste machen müssen. Damit müssen wir umgehen. Die Entgeltvorstellungen weichen teilweise deutlich von dem ab, was tariflich vorgesehen ist. Die Erwartung an das Entgelt – das muss man so sagen – ist mit den in Niedersachsen üblichen refinanzierten Entgelten nicht kompatibel. Eine Berücksichtigung dieser Qualifikation wird mittelfristig für die Pflegesatzverhandlung relevant werden.
Denken Sie, dass die Bachelorabsolventen und- absolventinnen auf die Pflegepraxis seitens der Hochschule gut vorbereitet sind?
Für die wenigen, die ich kennengelernt habe, würde ich sagen: nein. Da müsste mehr Vorbereitung stattfinden. Optimal wäre eine enge Anbindung an die Altenpflegepraxis, es bedarf einer Vernetzung über Praktika, Hausarbeiten und Bachelorarbeiten und wir bieten unsere Einrichtungen auch als Forschungsfeld für empirische Untersuchungen an. Es gab hierzu auch Ansätze mit lokalen Hochschulen, in der Umsetzung ist das leider abgebrochen. Ich erkläre mir das damit, dass auf beiden Seiten – Hochschulen und Einrichtungen – das Thema nicht mit ausreichender Priorität behandelt wird.
Was raten Sie anderen Einrichtungen: Welche Schritte zur Organisationsentwicklung sind Ihrer Einschätzung nach notwendig, um akademisch qualifizierte Mitarbeitende in ein Pflegeteam zu integrieren und ihre Kompetenzen optimal einzubringen?
Zunächst einmal muss die Erkenntnis vorhanden sein, dass wir diesen Wandel brauchen. Die Geschäftsführung muss auf jeden Fall dahinterstehen – das ist das A und O. Voraussetzung für diesen Organisationsentwicklungsprozess, der mit einer Anpassung der Pflegeaufbau- und Ablauforganisation einhergeht, ist Offenheit und Innovationsbereitschaft. Es bedarf einer Personalentwicklungskonzeption auf Basis von Kompetenzprofilen und der Einbindung der Mitarbeitervertretung.
Die klassische Aufbauorganisation von vollstationären Einrichtungen wird ja überwunden. Ein Fallverstehen ist zu etablieren und das soll ggf. auch eine sektorenübergreifende Reichweite haben. Im Prinzip etablieren wir eine Matrixorganisation und dazu müssen alle Mitarbeitenden mitgenommen werden – nicht nur die Pflege, sondern auch die Betreuung und die Hauswirtschaft. Widerstände können sich natürlich wie in jedem Veränderungsprozess sehr hemmend auswirken.
Wichtig ist auch, dass Entgelt-Korridore für akademisch qualifizierte Mitarbeitende geschaffen werden, die Refinanzierung ist hierbei ein Thema und wie gesagt, die Kooperation mit Hochschulen muss stattfinden.
Welche praxisbezogenen Verknüpfungen finden zwischen Hochschulen und den möglichen Berufsfeldern derzeit statt – sehen Sie noch konkrete Verbesserungsmöglichkeiten?
Wir betreiben unter dem Dach der DIAKOVERE in unserem Fachschulzentrum eine Kranken- und Altenpflegeschule und unterhalten eine Kooperation mit der Fakultät V der Hochschule Hannover, sodass bereits jetzt Verknüpfungen bei der Vermittlung theoretischen Wissens bestehen. Das wirkt sich positiv aus. Wir bieten unsere Zusammenarbeit für Hausarbeiten, Bachelorarbeiten und auch quantitative und qualitative empirische Forschung an.
Mein konkreter Verbesserungsvorschlag ist, dass beide Seiten auf jeden Fall dem Thema Einmündungsfelder und Vernetzung einen dauerhaft höheren Stellenwert geben müssen – sowohl Hochschulen als auch die Altenhilfeträger sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Es müsste eine lebendige Schnittstelle zwischen Hochschulen und Trägern geben. In unseren Einrichtungen stehen wir derzeit unter enormem Druck, die gesetzlich geforderten Vorgaben umzusetzen, sodass schlichtweg auch die Zeit fehlt. Es braucht ein Netzwerk für dauerhaften Austausch und die Annäherung zwischen Praxisanforderung und hochschulischen Konzepten. Dafür wollen wir uns als DIAKOVERE auch einsetzen.
In der Pflegepraxis ist immer noch Skepsis hinsichtlich des Nutzens akademischer Qualifikationen in der Pflege verbreitet: Warum würden Sie z. B. einer stationären Pflegeeinrichtung raten, akademisch primärqualifizierte Mitarbeitende anzuwerben bzw. einmünden zu lassen – welche Vorteile bringen diese Qualifikationen mit und welcher Mehrwert ergibt sich für Ihre Einrichtung? Wo gibt es vielleicht auch Probleme?
Ich denke, dass die Pflegequalität weiter verbessert werden kann. Unsere Einrichtungen haben heute schon eine sehr gute Qualität. Aber wir brauchen eine Weiterentwicklung hin zu einem Theorie-Praxis-Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen, zu einem fachlichen Controlling pflegerischer Prozesse sowie eine kontinuierliche supervidierende Begleitung von Altenpflegefachkräften mit dem Ziel, die Konzepte ,Teilhabe und Lebensqualität‘ für unsere Bewohner*innen und Evidenzorientierung in der pflegerischen Arbeit fest zu verankern. Mir geht es darum, das unverzichtbare Anwendungswissen unserer Altenpflegefachkräfte noch zu vertiefen und anzureichern mit Evidenz und wissenschaftlich gestützten Erkenntnissen. Auch die Durchdringung der Expertenstandards wird uns dann noch besser gelingen.
Wir möchten auch unser Personal, das Freude an der pflegerischen Arbeit hat, um den konzeptionellen Anteil in der pflegerischen Arbeit entlasten – z. B. den pflegerisch-diagnostischen Prozess, die Evaluation der Relevanz und Wirksamkeit der ergriffenen Pflegeinterventionen, die Konzeption der interdisziplinären Zusammenarbeit usw. Jede*r soll zunehmend seinen Fähigkeiten und Eignungen entsprechend arbeiten können.
Wo gibt es Probleme? Man muss aufpassen, dass im Pflegeteam nicht der Eindruck entsteht, dass hier eine Stelle nur für Uni-Absolventen und -Absolventinnen geschaffen wird, obwohl man das eigentlich gar nicht bräuchte. Manche Pflegekräfte sehen das so. Man muss erklären, was man erreichen möchte. Es kann sonst der Eindruck entstehen, dass die bei uns sehr hochgeschätzten Altenpflegefachkräfte sich als ,Pflegekräfte zweiter Klasse‘ fühlen – das wollen wir auf jeden Fall vermeiden.
Ich möchte aber auch sagen, dass wir am Anfang dieser Entwicklung stehen. Wir erkennen die Notwendigkeit eines Wandels in der beruflichen Altenpflege, der sich auch im Qualifikationsmix niederschlagen muss. Die Einbindung akademischer Pflegequalifikationen in unsere Teams werden wir stringent weiterverfolgen und hoffen auch, dass wir damit das Bild der professionellen Pflege, die hervorragende Arbeit in unseren Einrichtungen leistet, in der Öffentlichkeit weiter verbessern.
Es ist auch so, dass wir den Fachkräftemangel immer im Blick haben und vorbereitet sein wollen. Hierfür erproben wir mit diesem Ansatz eine Aufbauorganisation in der Pflege, die sich neben einem motivierten und erfahrenen Pflegeteam auch auf höchstqualifizierte Mitarbeitende stützt, die über eine ausgeprägte Methodenkompetenz verfügen und anleitend supervidierend aktiv ins Pflegeteam hineinwirken. Wir machen das auch, weil wir überzeugt sind, dass der Qualifikationsmix in der Pflege so aufgestellt sein muss, dass ein möglicherweise eintretender Mangel an klassischen Pflegefachkräften verkraftet werden kann, ohne dass Auswirkungen auf die Lebensqualität unserer Kundinnen und Kunden befürchtet werden müssen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Markovina!
Text: Barbara Pews© Production Perig/fotolia.de