Quereinstieg in soziale Berufe: Chance für den Fachkräftemangel

Eine Gruppe junger Menschen steht hintereinander und zeigt mit dem Daumen nach oben.
Dienstag, 05 November 2024 10:50

Der berufliche Quereinstieg ist eine attraktive Möglichkeit, den Arbeitsmarkt zu bereichern und dem steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften entgegenzuwirken – das gilt auch für die sozialen Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen. Die Initiative care4future hat sich bereits bei der Gewinnung von Fachkräften mit professionell organisierten regionalen Netzwerken bewährt. In einem gemeinsamen Kooperationsprojekt mit dem DRK wurde dieses innovative Konzept nun für den Quereinstieg erprobt – mit einigen spannenden Erkenntnissen. In diesem Beitrag zeigen wir Ihnen die Potenziale des Quereinstieg-Trends für die Branche auf, stellen das Projekt vor und geben Einblicke in die gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungswerte.

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde: Vom Krankenhaus über die Altenpflege bis hin zur Eingliederungs- und Kinder- und Jugendhilfe können viele offene Stellen im sozialen Bereich schon jetzt nicht mehr besetzt werden. Traditionelle Rekrutierungsmethoden allein reichen oft nicht mehr aus, um die Personalversorgung sicherzustellen. Als Reaktion rückt auch das Thema Quereinstieg verstärkt in den Fokus der Branche.

Quereinstieg: Definition & Potenziale für die Branche

Der Begriff Quereinstieg bezeichnet den Wechsel in einen neuen Beruf oder ein neues Tätigkeitsfeld, ohne dass die Person die dafür übliche Ausbildung oder den klassischen Berufsweg durchlaufen hat. In der Regel bringen Quereinsteiger*innen dafür Kenntnisse und Erfahrungen aus einem anderen Bereich mit, um in der neuen Branche und/oder Tätigkeit Fuß zu fassen. Ein Quereinstieg kann in verschiedenen Bereichen vorkommen, bspw. im Lehramt, in der IT oder aber auch in sozialen Berufen, und bietet Menschen die Möglichkeit, beruflich neu zu starten oder sich weiterzuentwickeln, auch wenn der vorherige Werdegang nicht direkt zu dem neuen Beruf passt.

Der Quereinstieg in soziale Berufe birgt großes Potenzial, für Unternehmen der Branche und Quereinsteiger*innen gleichermaßen:

  • Unternehmen und Organisationen erhalten mit der Ansprache potenzieller Bewerber*innen, die (noch) nicht über einen klassischen beruflichen Hintergrund im gesuchten Bereich verfügen, Zugang zu einem deutlich breiteren Talentpool. Damit werden Vakanzen schneller besetzt, Engpässe in der Personalbeschaffung verringert und eine kontinuierliche Versorgung sichergestellt.
  • Der soziale Sektor gewinnt an Attraktivität und Diversität.
  • Die sichere Perspektive und Systemrelevanz von Berufen der Sozial- und Gesundheitsbranche machen diese für viele Quereinsteiger*innen attraktiv.

Doch wie können (potenzielle) Quereinsteiger*innen und Unternehmen zusammenfinden, so dass diese Potenziale zu beidseitiger Zufriedenheit zum Tragen kommen? Keine einfache Frage, insbesondere weil die Diversität der Zielgruppe – verschiedene Altersgruppen, Werdegänge und Vorkenntnisse – eine Berufsorientierung herausfordernd gestaltet.

Das Konzept der Fachkräfteinitiative care4future bietet hierbei eine vielversprechende Lösung.

Quereinstieg gestalten: Mit dem innovativen Konzept von care4future

Care4future ist die Fachkräfteinitiative der contec GmbH zur nachhaltigen Gewinnung von Nachwuchskräften für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Mit ihrem einzigartigen Konzept vernetzt sie deutschlandweit auf regionaler Ebene allgemeinbildende Schulen mit Berufsschulen und Unternehmen. In diesen Netzwerkverbünden werden praxisorientierte Curricula zur Gestaltung von Berufsorientierungsangeboten an allgemeinbildenden Schulen entwickelt. Das Konzept wurde zu Beginn nur im Bereich Pflege angewandt, mittlerweile kommt es aber auch in weiteren Berufsfeldern wie der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe zum Einsatz.

Nun wurde das Konzept um eine praxisnahe Orientierung für Quereinsteiger*innen in sozialen Berufen erweitert. Die Idee dazu entstand in der Zusammenarbeit von contec und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und konnte in einem gemeinsamen Kooperationsprojekt bereits erfolgreich erprobt werden.

Pilotprojekt erprobt Rekrutierung: Einblicke & wichtige Erkenntnisse

Das Projekt wurde in Rheinland-Pfalz über einen Zeitraum von rund zwei Jahren durchgeführt. Dabei wurde die Fachkräfteinitiative care4future für die Zielgruppe der Quereinsteiger*innen nutzbar gemacht und mit Hilfe von Netzwerkarbeit und neuen Perspektiven ein (Rekrutierungs-)Konzept aufgestellt.

Bevor die eigentliche Netzwerkarbeit beginnen konnte, galt es zunächst, ein Rahmenkonzept zu erstellen. Die Grundlage bildeten zum einen die Kernprozesse und bereits bestehenden Erfahrungen von care4future und zum anderen Interviews mit Expert*innen. Wichtige Erkenntnisse waren, dass es eine spezifische Zielgruppenansprache, aber auch Angebotsinhalte braucht, die sich flexibel in die Lebensrealitäten der potenziellen Bewerber*innen einfügen. Zudem erfordert die Vielfältigkeit der Zielgruppe eine flexible Herangehensweise und einen breiten Wissenspool.

Nach Erstellung des Rahmenkonzeptes wurde mit Trägern aus den Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe, einem Seniorenzentrum, einem Bildungsträger sowie der örtlichen Bundesagentur für Arbeit ein multiprofessionelles Netzwerk für die weiter Umsetzung gegründet. Die Entscheidung, verschiedene Professionen abzubilden, war eine bewusste Wahl, die sich nicht von Konkurrenzgedanken leiten ließ, sondern vielmehr von dem Gedanken getragen war, dass es vorteilhaft ist, Menschen, die einen Quereinstieg in Erwägung ziehen, eine Vielzahl an sozialen Berufen näherzubringen. Zudem haben die Erfahrungswerte der unterschiedlichen Settings und Professionen die Netzwerkarbeit enorm bereichert.

Quereinsteiger*innen: Die Zielgruppen identifizieren & verstehen

Verschiedene Altersgruppen, Werdegänge und Vorkenntnisse: Wie eingangs bereits erwähnt, ist die Zielgruppe der Quereinsteiger*innen sehr divers. Das betrifft ebenso die Motivation für einen Quereinstieg. Sie reicht von dem Wunsch, einen sinnstiftenden Beitrag zu leisten, bis hin zu einer persönlichen Neuausrichtung der beruflichen Laufbahn.

Ein erster wichtiger Schritt ist also die Identifizierung der Zielgruppen mit dem größten Potenzial – das kann von Region zu Region und Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein. In der Pilotregion Rheinland-Pfalz hat der Netzwerkverbund zwei Zielgruppen als besonders relevant eingestuft:

Frauen als Berufsrückkehrerinnen

  • Durch ihre Erfahrungen in der Familienarbeit bringen viele Frauen wertvolle Kompetenzen für soziale Berufe mit wie bspw. Empathie, Organisation und Pflegefähigkeiten.
  • Nach einer familiär bedingten Auszeit suchen sie oft nach einer erfüllenden und sinnstiftenden Tätigkeit, die ihnen ein sozialer Beruf bieten kann.
  • Flexible Arbeitszeitmodelle und wohnortnahe Arbeitsplätze erleichtern zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Männer in beruflicher Unzufriedenheit und/oder einer Umbruchphase

  • Sie suchen oftmals nach einer neuen beruflichen Herausforderung, die mehr Erfüllung und Sinnstiftung bietet als die bisherige Tätigkeit. Soziale Berufe können diese Bedürfnisse durch die direkte Arbeit mit Menschen und die Möglichkeit, positive Veränderungen im Leben anderer zu bewirken, erfüllen.
  • Soziale Berufe bieten klare Perspektiven und Weiterbildungsmöglichkeiten, die jungen Männern in einer Phase des beruflichen Umbruchs neue Karrierechancen eröffnen.

Weitere mögliche Zielgruppen sind bspw. Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund und Studienabbrecher*innen. So bringen Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund nicht nur sprachliche Vielfalt, sondern auch interkulturelle Kompetenzen mit, die in einer globalisierten Welt von unschätzbarem Wert sind. Durch ihre eigenen Erfahrungen können sie sensibel auf die Bedürfnisse und Herausforderungen von Patient*innen und Klient*innen eingehen und so einen wichtigen Beitrag zur interkulturellen Verständigung leisten. Die Gruppe der Studienabbrecher*innen hat bereits erste Einblicke in andere Fachrichtungen gewonnen und kann die dadurch erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sinnvoll in ihrem neuen Arbeitsfeld einsetzen. Ihr frischer Blick und ihre Bereitschaft, neue Wege zu gehen, können innovative Lösungsansätze hervorbringen und die Branche weiterentwickeln.

Quereinsteiger*innen zielgruppengerecht ansprechen

Für eine effektive Ansprache von Quereinsteiger*innen reichen traditionelle Recruiting-Maßnahmen oft nicht aus. Dafür braucht es differenzierte und maßgeschneiderte Strategien, die die individuellen Motivationen und Interessen der Zielgruppen bei der Ansprache berücksichtigen.

Eine zentrale Frage ist dabei: An welchem Ort – physisch oder virtuell – kann die Zielgruppe wirksam erreicht werden?

Im Fall der Zielgruppe der Frauen als Berufsrückkehrerinnen wurde methodisch erarbeitet, dass eine Ansprache am besten in Supermärkten, auf Facebook und Instagram oder aber in speziellen Eltern- und Familienzeitschriften erfolgen sollte.

Grundsätzlich ist es empfehlenswert, digitale Informationsquellen bereitzustellen, die ressourcenschonend gepflegt und aktualisiert werden können. Diese lassen sich dann bspw. über eine Anzeige am Einkaufswagen oder einen Social-Media-Post verbreiten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das sogenannte Wording. So sollten die Recruiting-Kanäle Sensibilität und kulturelles Verständnis widerspiegeln. Ebenso sollte die Sprache und der Tonfall in Stellenanzeigen, Ansprache-Materialien und während des gesamten Bewerbungsprozesses inklusiv und diversitätsbewusst sein. Wünschenswert ist zudem die Betonung von Transferable Skills: Viele Fähigkeiten aus früheren Tätigkeiten können Quereinsteiger*innen auch in ihrem neuen Arbeitsumfeld einsetzen.

Quereinsteiger*innen authentisch überzeugen

Konnten die relevanten Zielgruppen der Quereinsteiger*innen wirksam angesprochen und auf die Möglichkeit eines Quereinstiegs aufmerksam gemacht werden, gilt es im nächsten Schritt die potenziellen Quereinsteiger*innen in ihrer Entscheidung zu unterstützen und authentisch von sich zu überzeugen.

In der Arbeit mit Schüler*innen hat care4future bereits sehr gute Erfahrungen mit praxisnahen Einblicken in soziale Berufe als Orientierungsangebote gemacht. Diese erfolgen meist über ein Schuljahr durch eine AG oder einen entsprechenden Wahlpflichtkurs. Für Quereinsteiger*innen müssen die Orientierungsangebote wesentlich kürzer und angepasst auf die Entscheidungswege und Lebensumstände ausgestaltet sein.

Auch hier bedarf es also einmal mehr den Blick auf die relevanten Zielgruppen: Welche Informationen und Einblicke werden benötigt? Und wie müssen diese ausgestaltet sein, damit eine Teilnahme möglichst unkompliziert erfolgen kann?

Das Pilotnetzwerk hat sich mit Blick auf diese Fragen entschieden, Hospitationen in den jeweiligen Einrichtungen anzubieten, um maßgeschneiderte Einblicke in die sozialen Berufe geben zu können. Ebenso werden Informationstermine zur Orientierung angeboten, die bewusst zu verschiedenen Tageszeiten und an unterschiedlichen Orten durchgeführt werden, um eine Teilnahme für beide Zielgruppen zu ermöglichen.

Quereinstieg meets care4future: Ein Konzept für die Branche

Das Kooperationsprojekt von contec und dem DRK hat gezeigt: Das Konzept von care4future ist eine wirksames Instrument für die erfolgreiche Anwerbung von Quereinsteiger*innen für soziale Berufe. Durch gezielte Maßnahmen können Träger der Gesundheits- und Sozialbranche gemeinsam dazu beitragen, den steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken und soziale Berufe als Ganzes zu stärken.

➡️Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick ⬅️

  • Die erfolgreiche Ansprache von Quereinsteiger*innen im Gesundheits- und Sozialwesen erfordert eine maßgeschneiderte Strategie, die sich auf spezifische Zielgruppen konzentriert und geeignete Kommunikationskanäle nutzt.
  • Mit einer diversitätsbewussten Herangehensweise können Arbeitgeber das Potenzial dieser vielfältigen Gruppe ausschöpfen und die Bindung sowie das Engagement langfristig fördern.
  • Netzwerkarbeit treibt dieses Bestreben durch Bündelung von Ressourcen und Know-how maßgeblich voran.

 

Text: Saskia Strangfeld
© Foto: freepik

Anna Sophie Pöschel

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